Backen wie zu Goethes Zeiten
Gekocht und gebacken wird schon immer, aber die Art und Weise hat sich stark verändert. Schmeckt uns auch heute noch, was Goethe und Nietzsche mundete? Und lassen sich ihre Rezepte überhaupt nachbacken? Wir haben’s getestet.
Schön sehen sie ja aus, die handschriftlichen Notizen, nur für den Laien sind sie beinahe unmöglich zu entziffern. Aber zum Glück gibt es Transkriptionen. Die erste Rezept-Wahl fällt auf die sogenannten »Hobelspäne« aus dem Kochbuch von Nietzsches Großmutter Erdmuthe Nietzsche, da die Zubereitung auf den ersten Blick recht simpel wirkt. Den Zutaten nach schließe ich auf süßes Gebäck – das sollte doch machbar sein!
Nach Spaß und Herausforderung für den zweiten Backtag klingt der »englische Puting«: Alkohol und Feuer!
Zunächst zu den angegebenen Mengen: 1 Pfund entspricht 32 Lot, 1 Lot wiederum entspricht ungefähr 14,6 Gramm. Bei ¼ Pfund Zucker ergibt das rund 117 Gramm. Da Gewichte im 19. Jahrhundert in ganz Deutschland noch unterschiedlich gemessen wurden und sich nicht genau sagen lässt, woher das Rezept stammt, können die Mengen nicht ganz exakt bestimmt werden.
Aber ist »geriebener Zucker« gleich Puderzucker? Eier und »feines Weizenmehl« sind eindeutig: Da letzteres heutzutage viel feiner gemahlen wird als früher, kann der Zusatz getrost ignoriert werden.
Das Rezept für die »Hobelspäne« ist denkbar einfach: Erst die Eier schaumig schlagen, Zucker, Mehl und Zitronenschale hinein, mit Mandelsplittern bestreuen, backen und fertig. Da es zu Goethes Zeiten kein elektrisches Rührgerät gab, muss auch jetzt eine Gabel genügen; statt einer Küchenwaage hilft als Messbecher eine Tasse sowie gesundes Augenmaß.
Ziemlich flüssig ist der Teig geworden. »Auf einem Bleche bey schnellem Feuer« wird zu 180 Grad Umluft, die Backzeit ist Gefühlssache. Beim Probieren stellt sich heraus, dass es sich wohl um den Vorläufer von Eierplätzchen handelt. Eigentlich ganz lecker.
Das Rezept stammt übrigens aus dem Bestand der Familie Friedrich Nietzsches, genauer gesagt von Erdmuthe Nietzsche, der Großmutter des Philosophen. Sie begann aller Wahrscheinlichkeit nach 1802 im Alter von 24 Jahren mit ihrem handschriftlichen Kochbuch »Recepte zu Speisen u. Backwerk«. Auch ein »Mittel gegen den Magenkrampf« ist hier vermerkt.
Die ersten Rezepte schrieb sie wohl in einem Zuge nieder, ergänzte später einzelne. Ihre Handschrift wurde im Laufe der Jahre etwas nachlässiger. Abgegriffen sieht das Buch aus, da es über Generationen weitergereicht wurde.
Die enthaltenen Rezepte entsprechen weniger der alltäglichen Kost als dem sonntäglichen Essvergnügen: Kuchen, Torten und Plätzchen mit reichlich Mehl, Butter, Eiern, Milch sowie Rosinen, Zitrone und Gewürzen wie Kardamom, Zimt, Nelken oder Muskat. Friedrich Nietzsche, der bis zum Tod der Großmutter mit ihr zusammenlebte, hat die »Hobelspäne« wohl auch genossen.
Der zweite Backtag beginnt wie der erste: Zutaten herausschreiben, Rezept leicht anpassen und schon kann es losgehen. Semmelbrösel ersetzen das geriebene Weißbrot, dazu süße Butter statt dem laut Rezept ebenfalls möglichen Ochsenfett, Rosinen, Zucker, etwas Zitronenschale, Eier, Rum, Gewürznelken und Muskat. Wer den Teig nicht »3 Stund lang in einer Kasserol mit siedendemWasser stehen laßen« möchte, kann auch den Backofen nutzen.
Zum Schluss das beste: »Beim Anrichten sticht man mit einer Gabel einigemal hinein [u]nd gießt Rum darauf herum [u]nd zündet es an.« Der Kuchen brennt, es duftet nach Silvester und Feuerzangenbowle. Lecker ist der »Puting«, der 57-prozentige Rum aber auch am nächsten Tag noch deutlich bemerkbar.
Goethes Sohn August verwahrte dieses und 27 weitere Rezepte in einem blauen Kuvert. Wie damals üblich unterschied auch er in seinem Rezeptbuch nicht zwischen hauswirtschaftlichen, medizinischen oder kulinarischen Empfehlungen. Deshalb findet sich auch eine selbstgemischte Tinktur zur Schuhpflege, »Bereitung der Englischen Wichse«, darunter.
Und das Fazit? Die meisten Rezepte gäbe es wohl so auch im Internet, mit angepassten Maßangaben und Zutaten. Aber der Reiz liegt ja gerade darin, dass auch die damalige Vorgehensweise prinzipiell selbst nach 200 Jahren noch funktioniert.
Die Ausstellung »Sardellen Salat sehr gut« zeigt bis zum 22. Dezember 2016 Kochbücher, Rezepte und Menükarten aus den reichen Beständen des Goethe- und Schiller-Archivs.
Schon allein für einen brennenden Kuchen werde ich das Rezept mittelfristig ausprobieren. Vielen Dank!
Schöner Beitrag
zum thema Göthe
Danke
LG von meiner namibia rundreise