Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik
»Der Faustische Pakt«
Daniel Wilson befasst sich in seinem neuen Buch »Der Faustische Pakt« mit dem Goethe-Bild und der Goethe-Gesellschaft im Dritten Reich. Ein Gespräch über den sogenannten »Deutschen Goethe« und was an diesem Bild dran ist.
Herr Wilson, wie würden Sie die Rolle der Goethe-Gesellschaft zur Zeit des Dritten Reichs beschreiben?
Die Goethe-Gesellschaft pflegte nicht in einer Art Opposition die »Bewahrung und Rettung humaner Werte«, wie man das noch heute lesen kann, sondern propagierte einen nationalistischen bzw. nationalsozialistischen Goethe. Und ihre Tätigkeit wurde nicht vom Regime verhindert, sondern gefördert, sie war sogar privilegiert im Vergleich zu anderen literarischen Gesellschaften.
Wie ging die Gesellschaft mit ihren jüdischen Mitgliedern um?
Die jüdischen Mitglieder sollten nicht abstrakt behandelt werden, als Zahlen. Sie waren zum Teil sehr verdiente Mitglieder, die von den Vereinsleitern menschlich hoch geschätzt wurden. Seit 1933 nahm die Gesellschaft keine neuen jüdischen Mitglieder auf, doch versuchte sie – auch aus finanziellen Gründen –, die bestehenden so lang wie möglich zu halten. Es ist der Goethe-Gesellschaft hoch anzurechnen, dass sie erst nach dem Novemberpogrom 1938 – also vergleichsweise spät – ihre verbliebenen jüdischen Mitglieder ausschloss, allerdings mit fragwürdigen Begründungen. Und es ist ihr anzurechnen, dass sie nur einmal in der seit 1936 erscheinenden neuen Zeitschrift, die durchaus antisemitische Seitenhiebe austeilte, auf die judenfeindlichen Äußerungen Goethes anspielte. Jüdische Autoren wurden aus der Zeitschrift – abgesehen von einem einzigen Fall – ausgegrenzt, jüdische Themen schief dargestellt (etwa die Bedeutung Spinozas für Goethe wurde heruntergespielt).
Wie betrachteten die Nationalsozialisten Goethe zunächst? Weshalb wandte sich das Regime dem Dichter ab 1935 zu und welche Rolle spielte die Goethe-Gesellschaft dabei?
Viele Nationalsozialisten betrachteten Goethe als Vertreter des verhassten Liberalismus und Kosmopolitismus, außerdem als Judenfreund – und diese Haltung verschwand 1935/36 nicht. Doch allmählich setzte sich das Bild eines nationalistischen, antisemitischen Goethe durch, der insbesondere nationalsozialistische Erziehungsprinzipien vorausgeahnt habe und daher für die Reichsjugendführung interessant wurde, mit der der Vizepräsident Hans Wahl paktierte. Die Goethe-Gesellschaft spielte die Hauptrolle im Durchbruch des ›nationalen‹ Goethe. Im Jahr 1936 schaltete sie außerdem die antigoethesche Verschwörungstheorie Mathilde Ludendorffs mit Goebbels‘ Hilfe aus und konnte die Olympiade nutzen, um den Wert Goethes für die nationalsozialistische Kulturpolitik herauszustreichen.
Auch vor 1933 habe die Goethe-Gesellschaft weniger das Bild des aufgeklärten Humanisten Goethe als das des konservativen Nationalisten propagiert, schreiben Sie.
Die Parteigänger des nationalen Goethe-Bildes konnten durchaus auf Vorgänger aus der Zeit vor 1919 zurückgreifen, doch verschärften sich die Auseinandersetzungen um konkurrierende politische Goethebilder in der Weimarer Republik. Es ist durchaus nicht so, dass die Nationalsozialisten »mit Goethe nichts anfangen konnten«, wie man oft hört. Aber es war ein anderer Goethe, als heute bekannt ist.
Wer waren die treibenden Kräfte, aus Goethe den sogenannten »Deutschen Goethe« zu machen?
Auf Seiten des Regimes wollte man Goethe seit etwa 1935/36 für ein erstarkendes Nationalbewusstsein des deutschen Volkes mobilisieren. Als der Krieg sich abzeichnete, wurde im Propagandaministerium eine »Weltmission« für die Goethe-Gesellschaft vorgesehen (ein Begriff, der jedoch offenbar zuerst von der Goethe-Gesellschaft in Umlauf gebracht worden war): Goethe sollte die Überlegenheit der deutschen Kultur im Ausland beweisen und das Recht der Deutschen auf Eroberungskriege untermauern. Hier spielte die internationale Ausstrahlung der Goethe-Gesellschaft eine wichtige Rolle, obwohl viele ausländische Mitglieder gerade während des Krieges ausschieden.
Wie verhielt sich die Goethe-Gesellschaft nach 1945? Welches Goethe-Bild wurde verbreitet?
Der erste Vizepräsident Hans Wahl überzeugte Vertreter der amerikanischen und dann der sowjetischen Besatzungsmacht, dass die Nationalsozialisten Goethe als »gegnerische Kraft« gesehen und bekämpft hätten und dass die Goethe-Gesellschaft das Ziel gehabt habe, »das Angesicht Goethes sauber durch die Jahre zu bringen«. Das war der Wahrheit diametral entgegengesetzt. Nun verwandelte sich Goethe praktisch über Nacht in einen Aufklärer, Friedensapostel und Kosmopolit.
Was ist am antisemitischen, nationalistischen und kriegsbefürwortenden Goethe dran?
Leider mehr, als die Forschung und auch die Verehrer Goethes zugeben wollen. Ersetzt man das historisch unpassende Wort »antisemitisch« durch »judenfeindlich«, dann lassen sich Äußerungen Goethes anführen, die nicht zu unserem heutigen Goethebild passen und selten thematisiert werden. Allerdings ist Goethes Haltung zu Juden widersprüchlich und nur schwer erklärbar. Er bekehrte sich erst spät und wohl halbherzig zum Nationalismus seiner Zeit. Das nationalsozialistische Zerrbild Goethes als Kriegstreiber kann entschieden zurückgewiesen werden. Bei der Interpretation des Dichters als Gegner von Freimaurerei und Geheimbünden hatten die Nationalsozialisten – und mit ihnen Hans Wahl – mehr Recht als Unrecht, obwohl sie seine Äußerungen dazu ganz eindeutig zu ihren Zwecken missbrauchten.
Daniel Wilson stellt sein Buch »Der Faustische Pakt. Goethe und die Goethe-Gesellschaft in Dritten Reich« am Dienstag, 6. November um 19 Uhr in der Petersen-Bibliothek des Goethe- und Schiller-Archivs vor. Der Eintritt ist frei. Das Buch ist bei dtv erschienen. (ISBN 978-3-423-28166-9; 28€)