Der Fall Josefine Lechner
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Selten sind die Hinweise auf Raubgut so eindeutig wie im Fall Josefine Lechner. In den Akten des Goethe- und Schiller-Archivs stoßen die Historiker auf ein Schreiben aus dem Jahr 1941.
Darin bittet Reinhard Heydrich, der Leiter des Reichssicherheitshauptamts, dem die Sicherheitspolizei und der Sicherheitsdienst unterstellt sind, den Thüringischen Gauleiter Fritz Sauckel, zwei Briefe Goethes für das Goethe- und Schiller-Archiv in Empfang zu nehmen.
Deren Herkunft verhehlt Heydrich nicht:
»Die Briefe wurden 1939 von der Geheimen Staatspolizei bei der Wiener Jüdin Josefine Lechner beschlagnahmt und sichergestellt«.
Wenig später kommt Sauckel der Bitte nach. Er nimmt die Schriftstücke entgegen und überstellt sie an das Archiv.
»Schönstens« dankt dessen Direktor Hans Wahl für die »Überlassung der beiden Briefe«.
Die Provenienzforscher tragen Informationen aus verschiedenen Quellen zusammen und können schließlich eine bruchstückhafte Biografie rekonstruieren.
Sie reicht aus, um den Verdacht auf NS-Raubgut zu bestätigen: Am 6. Juli 1870 wird Josefine Perutz in Prag geboren. Sie ist wie ihr Mann Karl Lechner jüdischer Herkunft, gemeinsam leben sie in Wien. Als die Gestapo die Briefe beschlagnahmt, ist die mittlerweile verwitwete Josefine Lechner fast 70 Jahre alt.
Zu dieser Zeit plant Josefine Lechner, in die Schweiz auszuwandern. Im April 1938 wird im Deutschen Reich, zu dem Österreich inzwischen gehört, die »Verordnung über die Anmeldung des Vermögens von Juden« erlassen.
Jeder Jude muss sein Vermögen, zu dem auch Kunst- und Kulturbesitz gerechnet wird, anmelden und bewerten, sofern der Gesamtwert mehr als 5.000 Reichsmark beträgt.
Mit dieser Verordnung wollen die Nationalsozialisten verhindern, dass emigrierende Juden Vermögen oder wertvollen Kunstbesitz ins Ausland retten können.
Josefine Lechners Erfassungsbogen ist überliefert, Angaben zu den Goethe-Briefen fehlen jedoch.
Es ist anzunehmen, dass die Gestapo vor Lechners Emigration ihre Wohnung durchsucht hat. Die beschlagnahmten Briefe gelangen zunächst aus Wien an das Reichssicherheitshauptamt in Berlin und schließlich nach Weimar.
Mit Hilfe der Israelitischen Kultusgemeinde Wien können die Provenienzforscher der Klassik Stiftung Nachkommen Josefine Lechners in der Schweiz ausfindig machen, wo diese 1955 verstorben ist.
Im November 2011 werden die beiden Goethe-Briefe an die Erben zurückgegeben, im Archiv verbleiben Faksimiles.
Die Mobile Vitrine mit dem Fall Josefine Lechner, der Geschichte eines NS-verfolgungsbedingten Entzuges, ist bis Ende Januar 2016 im Foyer des Goethe- und Schiller-Archivs zu sehen.
Zur Reihe »NS-Raubgut in der Klassik Stiftung Weimar«
In den Beständen der Klassik Stiftung Weimar befinden sich unrechtmäßig erworbene Kulturgüter. Seit 2010 sucht die Stiftung systematisch nach NS-Raubgut in ihren Beständen und strebt gemeinsam mit den Verfolgten oder deren Erben gerechte und faire Lösungen an. 2011 hat die Stiftung diese Aufgabe in ihr Leitbild aufgenommen.
In mehreren Fällen konnten als Raubgut identifizierte Objekte an die Erben der einstigen Besitzer zurückgegeben werden. Ab dem 25. November informiert die Mobile Vitrine über »NS-Raubgut in der Klassik Stiftung«. Die Vitrine wird in den kommenden Jahren auf Wanderschaft durch die Foyers der Häuser gehen und besonders interessante Einzelfälle vorstellen.
Am jeweiligen Standort, der alle drei Monate wechselt, werden Objekte vorgestellt, die als NS-Raubgut identifiziert wurden. Zugleich informiert die Vitrine über die Verfolgungsschicksale der früheren Eigentümer.
Zu jedem Fall wird ein Blogbeitrag veröffentlicht.