Sogenannte Urabschrift Elisabeth Förster-Nietzsches, 22. Februar 1887. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Zeitungsausschnitt mit Notiz an Reinhard von Seydlitz. Beilage zum Brief vom 24. Februar 1887. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Fragmente eines ursprünglich von Nietzsche an seine Mutter Franziska gerichteten Briefes, vermutlich 17. Februar 1888, der nachträglich beschnitten und angesengt wurde. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Notizbuch Nietzsches mit Entwurf zum Brief an die Mutter, vermutlich 17. Februar 1888. Hier ist die Anrede »Meine l. Mutter«. Im weiteren Verlauf finden sich Textstellen, die auch im fragmentarisch erhaltenen Originalbrief sowie dem zweiten Entwurf zu finden sind. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Notizbuch Friedrich Nietzsches mit Entwurf zum Brief an die Mutter, vermutlich 17. Februar 1888. Alle eindeutigen Anreden wurden nachträglich unkenntlich gemacht»Dieses mal muß ich an m[...] einen recht freundlichen und lieblichen Brief schreiben, nachdem ich sie das letzte Mal so arg erschreckt habe [...]« © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Elisabeth Förster-Nietzsche auf einer Bank im Garten des Nietzsche-Archivs sitzend mit Hut © Klassik Stiftung Weimar

Die gefälschten Briefe der Elisabeth Förster-Nietzsche

Dass der Nachlass Friedrich Nietzsches in einer so seltenen Vollständigkeit für die Nachwelt erhalten blieb, ist der Verdienst seiner Schwester, Elisabeth Förster-Nietzsche, die jeden Fetzen von ihrem Bruder beschrieben Papiers akribisch ansammelte und aufhob. Dies ist ihr durchaus anzurechnen, wenngleich sich über die Philosophenschwester, ihre Verdienste und vor allem ihre Methoden kontrovers diskutieren lässt. Was längst bekannt ist und anhand einiger Beispiele nachvollzogen werden kann:

Sie hat manipulierend in den Nachlass ihres Bruders eingegriffen.¹

Allein das angebliche Hauptwerk Nietzsches, »Der Wille zur Macht«, längst als Kompilation des Nietzsche-Archivs geoutet, gibt Forschern bis heute Rätsel auf.

Aber auch und vor allem im Briefnachlass finden sich Spuren ihrer eifersüchtigen, schwesterlichen Liebe. Bei den sogenannten Urabschriften zeigt sich der Wunsch nach einer besonderen Stellung im Leben des Bruders. Es sind Briefabschriften der Schwester, die sie als Abschriften von Nietzsche-Briefen ausgab, zu denen das Original verloren gegangen sei. Bezeichnenderweise fallen diese Urabschriften zumeist in eine Zeit, in der das Verhältnis der Geschwister zerrüttet war – der Inhalt der gefälschten Briefe sollte diese Tatsache beschönigen.

Brief an Reinhard von Seydlitz, 24. Februar 1887

Immer wieder verwandte Elisabeth Förster-Nietzsche originale Textpassagen ihres Bruders in einem anderen Kontext. So auch in folgendem Fall: Einem Brief, den Nietzsche am 24. Februar 1887 an den Freund Reinhart von Seydlitz schrieb, lag ein Zeitungsausschnitt bei, auf dem Nietzsche noch eine kurze Nachricht notiert hatte:

 »NB der Verlust an Menschenseelen stellt sich, nach eingetretener Beruhigung, als unerheblich heraus: an der ganzen Riviera ungefähr 1000 Personen. Die ersten Ziffern waren viel höher. F. N.«

Zeitungsausschnitt mit Notiz an Reinhard von Seydlitz. Beilage zum Brief vom 24. Februar 1887. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Zeitungsausschnitt mit Notiz an Reinhard von Seydlitz. Beilage zum Brief vom 24. Februar 1887. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Nizza war tags zuvor von einem Erdbeben erschüttert worden, dessen Eindrücke und Nachwehen Nietzsche in den nächsten Tagen in der Korrespondenz mit Freunden und Familie thematisierte. An die Schwester hingegen erging keine beruhigende Nachricht. Den kurzen Text an Seydlitz baute die Philosophenschwester in eine Urabschrift, datiert auf den 22. Februar 1887 (mit Ergänzung am 24. Februar), ein. Auf diese Weise gliederte sie sich selbst in die Gruppe der engsten Vertrauten ihres Bruders ein.

Sogenannte Urabschrift Elisabeth Förster-Nietzsches, 22. Februar 1887. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Sogenannte Urabschrift Elisabeth Förster-Nietzsches, 22. Februar 1887. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Brief an die Mutter Franziska Nietzsche, vermutl. 17. Februar 1888

Ein weiterer Originalbrief Nietzsches ist nur in drei Fragmenten, schmalen beschnittenen oder an den Rändern versengten Streifen, erhalten.

Fragmente eines ursprünglich von Nietzsche an seine Mutter Franziska gerichteten Briefes, vermutlich 17. Februar 1888, der nachträglich beschnitten und angesengt wurde. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Fragmente eines ursprünglich von Nietzsche an seine Mutter Franziska gerichteten Briefes, vermutlich 17. Februar 1888, der nachträglich beschnitten und angesengt wurde. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Dass dieser Brief an die Mutter gerichtet war, lässt sich aus deren Antwortbrief vom 20.–23. Februar 1888 schließen, in dem sie direkten Bezug auf einige der Textstellen nimmt. Darüber hinaus existieren zwei Entwürfe zu diesem Brief. In einem ist die Mutter auch explizit als Adressatin genannt.

Notizbuch Nietzsches mit Entwurf zum Brief an die Mutter, vermutlich 17. Februar 1888. Hier ist die Anrede »Meine l. Mutter«. Im weiteren Verlauf finden sich Textstellen, die auch im fragmentarisch erhaltenen Originalbrief sowie dem zweiten Entwurf zu finden sind. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Notizbuch Nietzsches mit Entwurf zum Brief an die Mutter, vermutlich 17. Februar 1888. Hier ist die Anrede »Meine l. Mutter«. Im weiteren Verlauf finden sich Textstellen, die auch im fragmentarisch erhaltenen Originalbrief sowie dem zweiten Entwurf zu finden sind. © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Im zweiten Entwurf finden sich deutliche Spuren nachträglicher Eingriffe. Die Anredeformen wurden mit Tintenkleksen überdeckt oder ausrasiert.

Notizbuch Friedrich Nietzsches mit Entwurf zum Brief an die Mutter, vermutlich 17. Februar 1888. Alle eindeutigen Anreden wurden nachträglich unkenntlich gemacht »Dieses mal muß ich an m[...] einen recht freundlichen und lieblichen Brief schreiben, nachdem ich sie das letzte Mal so arg erschreckt habe [...]« © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Notizbuch Friedrich Nietzsches mit Entwurf zum Brief an die Mutter, vermutlich 17. Februar 1888. Alle eindeutigen Anreden wurden nachträglich unkenntlich gemacht »Dieses mal muß ich an m[…] einen recht freundlichen und lieblichen Brief schreiben, nachdem ich sie das letzte Mal so arg erschreckt habe […]« © Klassik Stiftung Weimar, Goethe- und Schiller-Archiv

Im 5. Band der gesammelten Briefe (an Mutter und Schwester) schließlich führte Förster-Nietzsche diesen Text unter der Nr. 768, unter Abänderung aller Anreden, als Brief an sich selbst an.

Ein besonders anschauliches Beispiel für das Vorgehen der Nietzsche-Schwester ist noch bis zum 18. Dezember in der Ausstellung »Nietzsches Nachlass« im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar zu sehen: Es handelt sich hierbei um einen Brief, den Nietzsche an seine mütterliche Freundin Malwida von Meysenbug schrieb, und den Förster-Nietzsche nachträglich als Brief an sich selbst ausgab. Um dies zu verschleiern versengte sie kurzerhand Teile des Briefes und ließ so persönliche Anreden sowie negative Äußerungen ihres Bruder über ihre Person – Nietzsche hatte seine Schwester in einer Briefstelle beispielsweise als »antisemitische […] Gans« bezeichnet – verschwinden.


1 Karl Schlechta hatte die Fälschungen mit einigen Beispielen im Philosophischen Nachbericht seiner dreibändigen Nietzsche-Werkausgabe von 1956 publiziert.