Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik
»Faust« in der deutschen Sprache
Nur Nerds zitieren Goethe? Nein – vielmehr hat Goethes »Faust« die deutsche Sprache stark geprägt und auch Eingang in die Alltagssprache gefunden.
Die Verbreitung einzelner sprachlicher Bruchstücke – Zitate, Redewendungen, Begriffe, Bilder – in der geschriebenen und gesprochenen Sprache relativ breiter Bevölkerungsschichten ist zweifelsohne ein starkes Indiz für die Popularität von literarischen Werken. Im deutschen Sprachraum gibt es in der jüngeren Literaturgeschichte vermutlich kein anderes Werk, das derart tiefe Spuren hinterlassen hat wie Goethes Faust. Zitate wie
»Es irrt der Mensch, solang er strebt«, »Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein« oder »Das Ewig-Weibliche zieht uns hinan«,
die Redewendungen von »des Pudels Kern« und »der Weisheit letzter Schluss«, oder Begriffe wie die »Gretchenfrage« und »mephistophelisch« – sie alle zeigen: Beide Faust-Dramen, besonders Faust I, haben sich ins sprachliche Gedächtnis der Deutschsprechenden eingeschrieben und sind zum Allgemeingut geworden.
Im 19. Jahrhundert stieg der Begriff »faustisch« zu einem kulturellen und ideologischen Schlüsselbegriff der deutschen Kultur auf und entfaltete seine Wirkung vor allem in der Publizistik. Beispielsweise wurde der Reichskanzler Otto von Bismarck immer wieder mit dem Protagonisten von Goethes Tragödie verglichen und als »faustische Natur« bezeichnet.
Faust-Reminiszenzen sind zu dieser Zeit auch in den modernen Massenmedien auszumachen, darunter in der Werbung. Zum Beispiel referiert eine Anzeige der Sektfirma Henkell Trocken im Jahre 1909 auf den Faust-Mythos. Ebenfalls um 1900 erscheinen mehrere Serien von Faust-Sammelbildern, die Firmen wie Liebig und Erdal zu Werbezwecken vertreiben und die neben bildlichen Darstellungen der Protagonisten teilweise wörtliche Zitate an ein größeres Publikum vermitteln.
Postkarten, die Ende des 19. Jahrhunderts millionenfach in Umlauf gelangen, tragen ebenfalls sehr wirksam zur Verbreitung von Faust-Zitaten bei. Besonders beliebt sind Faust-Gretchen-Postkarten, die die fotografische Abbildung eines in historischen Kostümen gewandeten Liebespaars mit bekannten Textzitaten kombinieren wie »Mein Fräulein, darf ich wagen« oder »Er liebt mich – liebt mich nicht«
In dieser populärkulturellen Ausprägung begegnet man bisweilen auch einem parodistischen, teils schlüpfrig-zotigen Sprachgebrauch.
Stoffgeschichtlich gesehen steht Goethes Faust seit der Mitte des 20. Jahrhunderts zwar weniger im Fokus als in der Zeit davor. Es finden sich aber auch in dieser Periode zahlreiche Spuren im Sprachgebrauch. Beispielsweise erfährt der Begriff »Gretchenfrage« – in dieser Form kein Zitat aus Faust, sondern eine Ableitung aus einem Satz Margaretes im Faust I, »Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?« – erst seit Mitte des 20. Jahrhunderts eine stärkere Verbreitung.
Zitate und Sprachspuren aus Goethes Faust begegnen uns bis heute in den Medien. Häufig sind es spielerisch-parodistische Abwandlungen, wie etwa in der Überschrift eines Zeitungsartikels, der sich kritisch mit den geheimdienstartigen Überwachungspraktiken im klassischen Weimar befasst:
»Zum Dichten geboren, zum Spitzeln bestellt«,
in Anlehnung an die Verse des Lynceus in Faust II:
»Zum Sehen geboren, / Zum Schauen bestellt«.
Sporadisch kommen Faust-Zitate auch noch in der Werbung zum Einsatz, darunter die Werbeslogans eines Lübecker Bäckers,
»Es irrt der Mensch, solang er strebt und morgens ohne Brötchen lebt«
und eines Freiburger Drogeriemarkts:
»Hier bin ich Mensch – hier kauf ich ein«.
Insgesamt dienen sprachliche Faust-Bruchstücke im neueren Deutsch zwar nach wie vor als Bildungszitate, die die Autorität des Sprechers unterstreichen sollen. Gegenüber diesem bildungssprachlichen Gebrauch tritt jedoch in jüngerer Zeit ein mehr spielerischer Umgang in den Vordergrund: Faust-Zitate werden primär als rhetorisches Mittel zur spielerisch-ironischen Durchmischung und Pointierung der Rede verwendet.
Bis zum 29. Juli läuft in der Kunsthalle München die Ausstellung »Du bist Faust. Goethes Drama in der Kunst«. Die Schau wurde in Kooperation zwischen der Kunsthalle München und dem Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel exklusiv für die Kunsthalle entwickelt und maßgeblich von der Klassik Stiftung Weimar unterstützt. Die Inszenierung der Ausstellung wurde gemeinsam mit dem Bühnenbildner und Künstler Philipp Fürhofer konzipiert.