Gemüse am Horn
„Man merkt dem Haus Am Horn an, dass am Bauhaus keine Landschaftsarchitekten ausgebildet wurden“, sagt Angelika Schneider. Der rund 2500 Quadratmeter große Garten rund um das Versuchshaus sei mit seinen Terrassen eher technisch angelegt, erklärt die Referentin für Gartendenkmalpflege. Doch in diesem Freiraum für die Hausbewohner steckten viele Ideen der Reformbewegung. Es geht um Luft, Licht und gesunde Ernährung. Gemeinsam mit der Gärtnerin Bianka Risch und dem Gärtner Ragnar Leipelt wurde eines der vier Gemüsebeete bepflanzt, damit die Besucher einen besseren Eindruck bekommen, wie das Versuchshaus mit Garten konzipiert war.
„Wir haben uns an den Gemüsesorten orientiert, die für die Kantine des Staatlichen Bauhauses angebaut wurden“, sagt Angelika Schneider. Walter Gropius befasste sich früh mit der Frage, wie die Ernährung der Studierenden am Bauhaus gesichert werden konnten. Ein erster Schritt war im Oktober 1919 mit der Eröffnung einer Kantine im Glaushaus getan. Das 1886 erbaute Gebäude diente ursprünglich als Atelier für den Maler Albert Brendel, den damaligen Direktor der Weimarer Kunsthochschule. Doch Gropius wollte die Speiseanstalt auch von den inflationsbedingt schwankenden Nahrungsmittelpreisen unabhängig machen. Im Herbst 1920 pachtete das Staatliche Bauhaus daher eine 7000 Quadratmeter große Fläche, auf der sich heute das Haus Am Horn befindet, um selbst Gemüse anzubauen.
„Seine Idee war, dass die Studierenden selbst im Garten arbeiten. So richtig klappte das aber nicht, also musste Gropius später Gärtner einstellen“, sagt Angelika Schneider. In den Akten finden sich Hinweise, was gepflanzt wurde: Himbeersträucher, Erdbeeren, Rhabarber, aber auch verschiedene Gemüse wie beispielsweise Kartoffeln, Zwiebeln, Mangold, Buschbohnen, Salate oder Kohl. Ebenfalls überliefert ist ein Konflikt über die Mazdaznan-Ausrichtung der Kantine, die Johannes Itten bald durchsetzte. Am 5. Dezember 1921 kursierte eine Liste am Bauhaus mit den Optionen „Ich bin für Essen mit Zwiebel“ oder „Ich bin für Essen ohne Zwiebel“. Die Abstimmung ging knapp zugunsten der Zwiebel aus. Auch die Weimarer mokierten sich über die zwiebel- und knoblauchreiche Mazdaznan-Kost, erzählt Angelika Schneider. „Bevor man einen Bauhäusler sieht, riecht man ihn“, hätte manch einer gespottet.
Die Idee der zumindest teilweisen Selbstversorgung ist auch in das Haus Am Horn eingeflossen. Ein interessanter Kontrast: innen die moderne Einbauküche, hinter dem Haus vier Bereiche, die als Selbstversorgergarten gedacht waren. Wobei man sich eher angestellte Gärtner als die Bewohner selbst bei der Gartenarbeit vorstellen kann.
Bei der kürzlich geschehenen Neugestaltung des Gartens orientierten sich die Gärtner der Klassik Stiftung an der Ausstellungssituation von 1923. Auch die Wege wurden mit Hochofenschlacke wiederhergestellt. „Wir haben die alten Wege bei unseren Untersuchungen fast vollständig gefunden und konnten so die Wegeführung genau rekonstruieren“, sagt Schneider.
Wo Bauantrag, Pläne oder Fotografien keine Informationen lieferten, habe man mit Zitaten gearbeitet. Beispielsweise die Erdbeeren, die im Eingangsbereich des Grundstücks neu gepflanzt wurden, waren auch am Bauhaus beliebt. Im Inventarverzeichnis des Gartens für die Bauhaus-Kantine von 15.4.1922 sind unter anderem 800 Erdbeerpflanzen notiert. Die große Rotbuche im Garten des Hauses Am Horn, wahrscheinlich in den 1930er-Jahren gepflanzt, gehört zwar nicht zum ursprünglichen Baumbestand, wird aber als Naturmonument erhalten. „Für uns war klar, dass wir so einen schönen Baum nicht fällen können, auch wenn er eigentlich nicht hierher gehört“, sagt Schneider.
Sie freut sich, dass Besucher Erdbeeren naschen oder sich Samen aus dem Garten mitnehmen. „Viele haben keinen eigenen Garten und wissen nicht, wie Gemüse angebaut wird. Hier können wir zeigen, wie sich die Pflanzen entwickeln.“ Im kommenden Jahr sollen, wenn es die Arbeitskapazitäten erlauben, alle vier Beete des Gartens bepflanzt werden, mit pflegeleichten Gewächsen wie Kartoffeln oder Himbeeren, die auch für das Bauhaus angebaut wurden. Angelika Schneider könnte sich gut vorstellen, das Gemüse dann mit Kindergruppen zu ernten und gemeinsam zu kochen. So, wie es gedacht war.