Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik
Goethes Blitzkugel und andere „Zeichenträger“
Gudrun Püschel erforscht Objekte aus Goethes Sammlungen, die beschriftet oder mit Texten versehen sind. Im Interview erläutert sie, welche Erkenntnisse sie gewinnen konnte.
Frau Püschel, Sie schreiben eine Dissertation im Rahmen des Projekts „Parerga und Paratexte – Wie Dinge zur Sprache kommen. Praktiken und Präsentationsformen in Goethes Sammlungen“. Was genau nehmen Sie in Ihrer Arbeit in den Blick?
Im Rahmen des Projekts schaue ich mir Dinge aus Goethes Nachlass an, die nicht zu den klassischen Sammlungsbereichen gehören. Also keine Steine, keine Graphiken, keine Gemälde, sondern Varia – Objekte, die sich im Laufe der Zeit in Goethes Haushalt angesammelt haben. Sei es, weil er sie geschenkt bekommen hat oder weil er sie schlicht nicht wegschmeißen konnte. Und aus diesem Objekt-Pool untersuche ich im Speziellen solche Gegenstände, die mit Texten verbunden sind. Entweder sind die Objekte direkt beschrieben oder es wurden ihnen kleine Zettel beigelegt. In meiner Doktorarbeit „Beschriebene Objekte. Schriftlichkeit, Materialität und Performativität in Goethes Sammlungen“ untersuche ich, was der jeweilige Text mit dem Objekt macht – und umgekehrt. Unter anderem betrachte ich Handschuhe, ein Schreibset, Haarlocken oder gravierte Gläser.
Wie haben Sie zu Ihren Objekten gefunden?
Es ist sehr schwer, gezielt nach solchen Objekten in den Datenbanken zu suchen. Dort steht in der Regel nicht „Objekt mit Text“, sondern beispielsweise „Handschuh der Ulrike von Levetzow“. Man braucht häufig das Vorwissen, dass ein bestimmter Gegenstand einen Textbezug aufweist, in diesem Fall also, dass jemand in diese Handschuhe geschrieben hat. Ich musste mich durch hunderte Datensätze arbeiten, um irgendwo in den Bemerkungen oder in den Objektbeschreibungen Hinweise auf Text zu finden. Von 100 Objekten, die ich in der größeren Auswahl hatte, sind am Ende gut 25 übriggeblieben, die ich mir intensiver angeschaut habe.
Sind die Objekte beschriftet in Goethes Besitz gekommen oder wurden die Texte erst im Laufe der Zeit hinzugefügt, etwa von Erben oder im musealen Kontext?
Das ist ganz unterschiedlich. Zum einen gibt es Objekte, die schon beschriftet in Goethes Besitz kamen, beispielsweise ein Glas der Levetzow-Schwestern. Das hat Goethe von den Schwestern Ulrike, Amelie und Bertha 1823 zu seinem Geburtstag bekommen, den sie zusammen in Böhmen auf Kur verbracht haben. Die drei Schwestern hatten ihre Namen sowie „Andenken den 28. August 1823. in Carlsbad“ eingravieren lassen. Im Übrigen hat Goethe das Glas der Levetzow-Schwestern zusammen mit Briefen der Damen aufbewahrt. Briefe und Glas bilden ein kleines Objektensemble.
Ich habe aber auch ein kleines Schreibset aus Blech entdeckt, das Goethe seinem Enkelsohn Wolfgang Maximilian geschenkt hat. Und der hat wiederum draufgeschrieben: „Geschenk des Apapa’s Weihnachten 1831. Mit dem Schreibtisch, welcher noch in seiner Stube unter dem Fenster steht. Wolfgang von Goethe.“ Hier ist die Schrift also erst später hinzugefügt worden.
Können Sie an einem Beispiel verdeutlichen, worin die besondere Bedeutung von Beschriftungen oder beigegebenem Text für ein Objekt liegt?
Das ist eine ganz spannende Frage. Wäre das Glas nicht beschriftet, wüssten wir eventuell den Kontext nicht. Dann wäre es nur eins von vielen Gläsern, die Goethe in seinem Besitz hatte. So sind dort drei Namen von Personen zu lesen, die Goethe nahestanden und mit denen er besondere Erinnerungen verband. Er selbst nimmt in einem Brief an Amalie von Levetzow, die Mutter der drei Schwestern, Bezug darauf: „Indessen bleibt der zierliche Becher der Vertraute meiner Gedanken, die süßen Namenszüge nähern sich meinen Lippen […]“. Und von der anderen Seite aus betrachtet: Die Schwestern ließen bewusst „Andenken den 28. August 1823 in Carlsbad“ eingravieren, also: „Denke an uns!“. Das ist eine Aufforderung, fast schon ein Befehl und macht einiges mit dem Objekt sowie mit demjenigen, der es geschenkt bekommt. Mit seinem Brief zeigt Goethe, dass er die Botschaft auf dem Glas verstanden hat – er zelebriert das Andenken.
Ein anderes Beispiel: Wir haben diese sehr interessante schwarze Holzkugel in unserer Sammlung, von der wir eigentlich nichts wussten. Woher kommt dieses Objekt? Wie ist es entstanden? Der einzige Weg führte über die kleine, museale Beschriftung auf der Kugel – die man aber nur sieht, wenn man bewusst danach sucht. Erst dadurch konnte ich das Objekt in seinen Kontext einbetten und durch weitere Recherchen nachvollziehen: Diese Kugel ist 1820 nach einem Blitzeinschlag in der Welle einer Windmühle nahe Greifswald gefunden worden. Auf verschlungenem Wege kam sie zu Goethe, der gemeinsam mit seinen Freunden überlegte, wie sie entstanden sein könnte, was im Übrigen auch heute noch keiner genau weiß. Die Kugel hat also eine Sprache für sich, die uns auf den ersten Blick nicht verständlich war. Erst über die Beschriftung konnte die Geschichte der Kugel erzählt, sie wieder in einen Zusammengang gebracht werden.
Haben Sie ein Lieblingsobjekt?
Tatsächlich das Paar Handschuhe, das vermutlich Ulrike von Levetzow gehörte. Es war sehr aufregend, auf deren Beschriftung zu stoßen. Die Handschuhe wurden im Rahmen des Projekts noch einmal materialtechnisch durch Laura Petzold, Textilrestauratorin der Klassik Stiftung, untersucht. Erst unter dem Mikroskop konnte man eindeutig sehen, dass das Leder tatsächlich einmal beschrieben worden war. Das Objekte-Datenblatt der Handschuhe war in diesem Zusammenhang nicht eindeutig. Zwar hieß es immer, es seien die Handschuhe von Levetzow. Aber de facto konnten wir erst durch die mikroskopische Untersuchung feststellen, dass in der linken Stulpe mit Tusche „Carlsbad den 28. August “ notiert wurde.
Die Tusche ist im Laufe der Zeit abgeplatzt, jetzt ist nur noch der Negativabdruck der Schrift zu erkennen – und auch das nur unter dem Mikroskop. Natürlich können wir nicht ganz sicher sagen, dass die Handschuhe wirklich von „Goethes letzter Liebe“ sind. Aber allein die Tatsache, dass Goethe sich die Mühe gemacht hat, sehr, sehr klein in die Stulpe hineinzuschreiben, wann er sie geschenkt bekommen hat, ist eine spannende und bedenkenswerte Erkenntnis.
Bis zum 16. Februar präsentieren wir erstmalig Goethes umfassende naturwissenschaftliche Sammlung im Schiller-Museum Weimar. Zwischen den Diskursen der sich formierenden Naturwissenschaften um 1800 und heutigen Fragestellungen entwickelt sich ein spannungsreicher Themenparcours mit innovativen Medienstationen.
Zur Ausstellung „Abenteuer der Vernunft”