Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik
Schwarzkunst und Neunte Kunst: »Faust« im Comic
Hochkultur und populäres Medium? Kein Widerspruch – das zeigen »Faust«-Comics aus mehr als einem halben Jahrhundert.
Literarische Werke, die zu Graphic Novels verarbeitet werden, sind heute ganz normal – das war nicht immer so. Comics galten lange als vulgäres Medium für die Massen, später für Kinder und Jugendliche. Doch spätestens in den 1930er Jahren begannen Zeichner, Texte der Hochliteratur zu adaptieren. Was dazu gehörte, bestimmte der Kanon der eigenen Kultur. Wenige Stoffe haben Zeichner und Texter dabei so inspiriert wie »Faust«. Selbst in den maßgeblichen Comic-Universen von DC (z.B. Batman, Superman) und Marvel (z.B. Captain America, Spiderman) gibt es Faust-Figuren als Gegenspieler der Superhelden, die sich an der »Faust«-Version von Shakespeares Zeitgenossen Christopher Marlowe orientieren. Verbreiteter sind jedoch die Versionen, die sich auf Goethes Stück stützen. Neben den Werken Kafkas hat wohl kein Text aus dem deutschen Sprachraum so viel Resonanz bei Zeichnern aus der ganzen Welt gefunden.
In einer frühen Phase sollten Literaturcomics jugendliche Leser an das ›eigentliche‹ Sprachkunstwerk heranführen. Schon ab 1939 schrieb Federico Pedrocchi italienische Faust-Comics, die von verschiedenen Zeichnern umgesetzt wurden. Legendär ist die US-Serie »Classics Illustrated«, in der 1962 ein »Faust« erschien – etwas später auch auf Deutsch. Auf billigem Papier gedruckt, ästhetisch anspruchslos und mit gekürztem Originaltext macht das Heft keinen Hehl aus seiner didaktischen Absicht; atemlos hetzt der Comic auf den letzten Seiten durch »Faust II«. Unter den letzten Panels werden die Leser aufgefordert, nun das Original in ihrer Schul- oder Stadtbibliothek zu lesen. Das Heft bleibt ein Wegwerfprodukt, das man hinter sich lassen kann – und soll.
Auch die meist in Italien gezeichneten Disney-Versionen literarischer Stoffe, in Deutschland durch die »Lustigen Taschenbücher« weit verbreitet, sollen gleichermaßen unterhalten und bilden. Carlo Chendi und Luciano Bottaro zeichneten 1958 einen »Doktor Duckenfaust« – deutlich von Pedrocchi inspiriert, der in der Mussolini-Ära auch die ersten italienischen Donald Duck-Comics geschrieben hatte. Hier sucht Donald Duck als alter Wissenschaftler ein Friedensserum, um den Krieg zwischen Herzog Dagobertus von Duckenstein und den Herren von Knack zu beenden. Mit Mephistos Hilfe wird Duckenfaust zum jungen Ritter, der für Dagobertus kämpft und sich in dessen Nichte Margarete verliebt. Der Teufel persönlich macht aber seine Verwandlung rückgängig, so dass ihm später niemand seine Heldentaten glaubt. Das Vorbild Goethe ist kaum zu erkennen, weil die Vorlage für das Format kindgerecht umgearbeitet werden muss. Wichtige Aspekte wie der Teufelspakt, die Walpurgisnacht und selbst die erotische Beziehung zwischen Faust und Margarete fallen daher unter den Tisch. Im Jahr 2000 schuf Bottaro dann noch einen zweiten Teil, der mit dem Vorbild außer dem Namen fast nichts mehr gemein hatte.
Als sich der Comic als eigenständige ›Neunte Kunst‹ etablierte, nahmen auch die »Faust«-Versionen zu, jeweils mit ganz eigener Handschrift: Alfred von Meysenbug und Hadayatullah Hübsch produzierten 1968 einen Mini-Faust in Pop Art-Ästhetik und kreisrundem(!) Format, in dem der Erzählfluss von eingestreuten Hegel-, Marcuse- und Adorno-Zitaten durchbrochen wird. Wo die Belgier David Vandermeulen und Ambre in ihrer Version von 2006 in düsteren Farben schwelgen, erzählt Jürgen Bernhard Kuck (2001) in Schwarz-Weiß, zwischen Holzschnitt und expressionistischer Grafik. Der biographische Comic »Goethe: Zum Schauen bestellt«, im Jubiläumsjahr 1999 erschienen, faltet die zweite Lebenshälfte des Dichters und die Handlung des »Faust«-Dramas kunstvoll ineinander. Eines haben diese Versionen bei aller Verschiedenheit gemein: es geht ihnen weniger um die didaktische Vermittlung als um den souveränen, eigenständigen Umgang mit dem Stoff.
Die erfolgreichste Adaptation der letzten Jahre ist »Faust: Der Tragödie erster Teil« von Flix (2010). Hier ist der Titelheld als Dauerstudent und Taxifahrer im heutigen Berlin unterwegs und verliebt sich in die junge Türkin Margarete. Um sie zu erreichen, unterzeichnet er einen Vertrag mit dem ›Coach‹ Mephisto von der Firma ›Happy Life‹ – natürlich gegen »die exklusiven Nutzungsrechte an seiner unsterblichen Seele«. Flix‘ Faust-Parodie ist gespickt mit popkulturellen Anspielungen von Disneys »Dschungelbuch« über den Johnny Cash-Songtext bis zur RTL-Talkshow. Ihren vollen Witz entfaltet sie jedoch erst, wenn man die Goethe‘sche Vorlage kennt, die Flix – wie sich selbst – nicht allzu ernst nimmt. Zur Vermittlung des Stoffes taugt Flix‘ »Faust« so wenig wie die Disney-Versionen. Das ist aber auch nicht ihr Ziel – sondern das virtuose und freie, gleichzeitig aber zugängliche Spiel mit Goethes Drama.
Abseits von amerikanischen und europäischen Traditionen entwickelte Osamu Tezuka (1928-1989) in Japan seine eigenen Faust-Visionen. Tezuka gilt als Großmeister des Manga, der den japanischen Comic nach dem Zweiten Weltkrieg maßgeblich weiterentwickelte. Der »Faust«-Stoff hat ihn zeitlebens fasziniert; Tezuka fertigte nicht weniger als drei Versionen an. Die erste Fassung von 1950 ist noch ganz auf ein kindliches Publikum zugeschnitten. Mephisto erscheint als Micky-Maus-artige Figur mit Hörnern, die Insektenfühlern ähneln; später begleitet er Faust als niedlicher Pudel bei der Mission, Gretchen zu gewinnen, die hier eine Königstochter ist. Ein interessantes Detail: Hier ist es der Herr, der Mephisto herausfordert, Faust zu verführen, keine Wette zwischen beiden.
Viel komplexer, virtuoser, aber auch düsterer ist der unvollendete »Neo-Faust«, den Tezuka kurz vor seinem Tod zeichnete. Dieser Manga spielt im Japan der 60er Jahre, spricht die brutalen Studentenunruhen jener Zeit ebenso an wie die Möglichkeiten der genetischen Manipulation. Die Rolle des ›Faust‹ spielt der alte Genetiker Ichinoseki, der von der Unsterblichkeit träumt. Mephisto tritt abwechselnd als verführerischer Vamp und schwarzer Höllenhund auf, der mit dem niedlichen Pudel der älteren Version nichts mehr gemein hat. Ichinoseki wird verjüngt, gleichzeitig um einige Jahre zurück versetzt und verliert sein Gedächtnis. Als junger Wissenschaftler Daiichi Sakane begegnet er seinem Alter Ego Ichinoseki, ohne sich das Gefühl innerer Verbundenheit zunächst erklären zu können. Als Mephisto ihn einweiht, begreift er, dass er in einer zeitlichen Endlosschleife gefangen ist. Es gelingt ihm, sie zu überwinden, doch dabei verliert er die Studentin Mariko, die ›Gretchen‹-Figur des »Neo-Faust«, die das gemeinsame Kind ermordet hat.
Mit Dank an Jan Süselbeck und Mai Ito.
Bis zum 29. Juli läuft in der Kunsthalle München die Ausstellung »Du bist Faust. Goethes Drama in der Kunst«. Die Schau wurde in Kooperation zwischen der Kunsthalle München und dem Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel exklusiv für die Kunsthalle entwickelt und maßgeblich von der Klassik Stiftung Weimar unterstützt. Die Inszenierung der Ausstellung wurde gemeinsam mit dem Bühnenbildner und Künstler Philipp Fürhofer konzipiert.