»Fricke war ein
klassischer Mitläufer«
»Das Bauhaus in Oldenburg – Avantgarde in der Provinz«, heißt das Forschungsprojekt am Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Oldenburg. Prof. Dr. Rainer Stamm, Direktor des Museums, und die wissenschaftliche Mitarbeiterin Gloria Köpnick untersuchen hierin die Geschichte des Zusammenwirkens des Landesmuseums Oldenburg mit dem Bauhaus der Weimarer Republik sowie das Wirken von vier Bauhäuslern aus Oldenburg und Ostfriesland.
Welche Verbindung gibt es zwischen dem Landesmuseum Oldenburg und dem Bauhaus der Weimarer Republik?
Gloria Köpnick: Die erste Verbindung entstand noch vor der Eröffnung des Landesmuseums durch den prägenden persönlichen Kontakt zwischen Walter Müller-Wulckow, dem Gründungsdirektor des Landesmuseums Oldenburg, und Walter Gropius, dem Bauhaus-Gründer. Müller-Wulckow war einer der ersten, die über das Bauhaus publizierten. Er hat schon im April 1919 in der Frankfurter Zeitung über Gropius‘ Ideen geschrieben.
Rainer Stamm: Bevor Müller-Wulckow 1921 Direktor in Oldenburg geworden ist, lebte er in Frankfurt am Main und hatte sich eine Existenz als Publizist zu Fragen der Gegenwartskunst aufgebaut. Er war freier Mitarbeiter verschiedener Zeitungen und beide, Müller-Wulckow und Gropius, waren kluge, strategisch denkende Männer. Gropius wusste um die Bedeutung Müller-Wulckows als wichtiger Publizist und hat ihn sehr früh mit den Ideen und Konzepten der Bauhaus-Gründung versorgt. Müller-Wulckow hatte gleichsam den Horizont, zu erkennen, was zu dieser Zeit noch nicht wirklich absehbar war. Ihm war schnell klar, dass mit dem Bauhaus in Weimar eine ganz neue Form von Kunsthochschule in Gründung begriffen war.
Wie lebte und lebt der freiheitliche Gedanke des Bauhauses in Oldenburg fort?
Stamm: Auch wenn in Oldenburg wenig Sichtbares geblieben ist, hat sich das Museum dadurch verändert. Die vier Künstler, die am Bauhaus studierten und teilweise im engen Dialog mit dem Landesmuseum standen, haben jeder für sich den Bauhausgedanken in den unterschiedlichsten Konstellationen weiterleben lassen. Hin Bredendieck zum Beispiel wurde in die Emigration gezwungen und installierte an der Georgia Tech in Atlanta einen exzellenten Studiengang im Bereich Industriedesign, nach dem Vorbild des Vorkurses. Karl Schwoon passte sich hingegen den Gegebenheiten der Bundesrepublik an. Er gründete schon Ende der 40er Jahre in Oldenburg eine Avantgardegalerie, konnte davon aber wirtschaftlich nicht existieren und wurde dann Bildredakteur bei der Hörzu. Hermann Gautel hat hier in der Provinz Stahlrohrmöbel vertrieben, entwickelt und hergestellt. Hans Martin Fricke, der in Weimar so wunderbar als früher, ganz junger Avantgardekünstler vorgestellt wird, hat eigentlich den faszinierendsten und schockierendsten Lebensweg: Fricke war im ›Dritten Reich‹ Landesleiter der Reichskammer der Bildenden Künste für den Gau Weser-Ems.
Fricke schloss sich ja bereits in den frühen 30er Jahren den Nationalsozialisten an – einer Ideologie, die dem Bauhaus diametral entgegengesetzt ist. Wie erklären Sie sich das?
Stamm: Uns geht es nicht darum, ein Urteil über die Person Hans Martin Fricke zu fällen. Ich denke, die intellektuelle Herausforderung ist, auch zu akzeptieren, dass diese Avantgardehochschule Bauhaus nicht automatisch jeden gegen die Verlockungen durch das nationalsozialistische Regime immun gemacht hat. Und so wie es Bazon Brock vor zwanzig Jahren einmal polemisch formuliert hat, wäre sogar Gropius 1933/34 vermutlich gerne Leiter der Reichskulturkammer geworden. Ebenso ist bekannt, dass beispielsweise Herbert Bayer das Design für nationalsozialistische Propagandaausstellungen konzipierte. So müssen wir uns also auch mit dieser Dialektik auseinandersetzen. Intellektuell finde ich das fast herausfordernder und spannender als die großen, vermeintlich heroischen Biographien.
Acht Jahre nach dem Krieg war Fricke bereits Vorsitzender des Bundes der Architekten seiner Region. Hat sich Fricke je öffentlich oder privat zu seiner Rolle im Nationalsozialismus geäußert?
Köpnick: Unter den vier Biographien, die wir in unserem Forschungsprojekt untersuchen, ist er derjenige, der sich klar zum Nationalsozialismus bekannte, während andere wie Bredendieck den Weg ins Exil wählten, um den politischen Umbrüchen zu entfliehen.
Stamm: Fricke war hier in Oldenburg ein erfolgreicher Architekt des Wiederaufbaus. Der nahtlose Übergang dieser in sich gebrochenen Biographien gehört wohl auch zu unserer bundesrepublikanischen Vergangenheit. Wir wissen nur, dass er hier in den 50er bis 70er Jahren ein anerkannter Architekt war, der typische westdeutsche Nachkriegsarchitektur lieferte. Modern, aber eben in der Weise, wie in den 50er Jahren gebaut wurde, beispielsweise mit Glasfassaden, die man auch als »Curtain Wall« interpretieren könnte. Fricke hat im Grunde alles mitgemacht: Er war in Weimar avantgardistischer Student, im ›Dritten Reich‹ ein kulturpolitischer Funktionär und in den 50er Jahren dann ein typischer westdeutscher Architekt – also ein klassischer Mitläufer.
Fricke war einerseits an der Umsetzung der kulturpolitischen Staatsdoktrin in seiner Region beteiligt, andererseits versuchte er wohl, eine Modersohn-Becker-Sammlung vor der Beschlagnahmung zu retten. Die Kunst Modersohn-Beckers galt als entartete Kunst. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
Stamm: Da sind unsere Forschungen noch nicht weit genug fortgeschritten. Wir kennen jetzt, am Anfang des Projekts, viele Fragen, die zu beantworten sind und wenige Antworten. Es ist zumindest so, dass er als Verantwortlicher der Reichskammer der bildenden Künste für Bremen und Nordwestdeutschland derjenige war, der während des ›Dritten Reichs‹ Ausstellungen und Präsentationen moderner Kunst genehmigen musste, genehmigen konnte oder auch ablehnte.
Wir versuchen uns jetzt unter anderem ein Bild davon zu machen, inwieweit er versucht hat, die modernen Künstler zu schützen oder sich gegenteilig dazu verhielt. Es zeichnet sich allerdings schon jetzt anhand der Ausstellungen ab, die er förderte, eröffnete oder zu denen er Texte schrieb, dass er im ›Dritten Reich‹ und wohl auch danach einen eher völkischen Kunstgeschmack vertrat und mehr oder weniger die Heimatkunst beförderte.
Konnten Sie in Erfahrung bringen, ob Fricke seinen Bauhaus-Idealen abschwor?
Köpnick: Ich denke, diese Frage ist schon jetzt klar zu beantworten. Den Nachlass, der in Weimar präsentiert wird, hat er bis zu seinem Tod verwahrt und unter Verschluss gehalten. Was wir von Zeitgenossen Frickes wissen, ist, dass er nicht nur mit der Designgeschichte des Bauhauses bricht und die Bauhäusler als Kommunisten bezeichnet, sondern auch bis zu seinem Tod von den Ansichten überzeugt blieb, die er während des ›Dritten Reichs‹ vertreten hat.
Am 8.3.2017 halten Prof. Dr. Rainer Stamm und Gloria Köpnick einen Vortrag zum Thema »Hans Martin Fricke und das Bauhaus in Oldenburg«. Beginn ist um 18 Uhr im Vortragssaal des Schiller-Museums.