»Tausend Dank für Ihre aufopfernde Freundschaft«
Im vergangenen Jahr konnten in der Autographenhandlung Stargardt neun Briefe von Ottilie von Goethe an Charlotte Hardtmuth für das Goethe- und Schiller-Archiv erworben werden.
Ottilie von Pogwisch ist als Goethes Schwiegertochter in die Literaturgeschichte eingegangen: 1796 in Danzig geboren, kam sie als Kind mit ihrer Mutter Henriette und der Schwester Ulrike nach Weimar. Seit 1811 verkehrte sie des Öfteren im Hause Goethe. 1817 heiratete sie August von Goethe, obwohl sie zeitlebens für ihre Jugendliebe Ferdinand Heinke schwärmte. Mit August hatte sie drei Kinder: Walther, Wolfgang und Alma. In den 1820er Jahren machte sie die Mansardenräume im Haus am Frauenplan zum geselligen Mittelpunkt Weimars und gab wöchentlich die Zeitschrift ›Chaos‹ heraus. Nach dem Tod ihres Mannes 1830 und des Schwiegervaters 1832 verließ sie Weimar. Ottilie fand eine neue Heimat in Wien, wo sie 1835 eine uneheliche Tochter zur Welt brachte, die schon 1836 starb. Zeitweilig lebte sie in Leipzig und Dresden und unternahm vier lange Italienreisen, bevor sie 1870 – kurz vor ihrem Lebensende – in ihre Mansarde nach Weimar zurückkehrte.
Doch wer ist die Adressatin von Ottilies Briefen, wer ist Charlotte Hardtmuth? Sie kam 1821 als Tochter des sachsen-weimar-eisenachischen Hofrats Julius Adolph Völkel in Weimar zur Welt. Charlotte und ihre Schwestern Karoline und Alexandra waren etwa im gleichen Alter wie Ottilies Söhne. Familie Völkel bewohnte das sogenannte Völkelsche Haus an der damaligen Esplanade, neben dem Schiller-Haus: Sie vermieteten die zweite Etage an Henriette und Ulrike von Pogwisch – Ottilies Mutter und Schwester. So verwundert es nicht, dass die jüngeren Generationen der Familien Völkel und Pogwisch‑Goethe in einem engen Verhältnis standen. Einige handschriftliche Theaterzettel zeugen heute noch vom gemeinsamen Spiel. Eine besondere Beziehung bestand zwischen Charlotte Völkel und Walther von Goethe. Noch ihren Enkeln erzählte sie, dass er mehrfach um ihre Hand angehalten habe.
1846 heiratete Charlotte Völkel jedoch den Bleistiftfabrikanten Ludwig Hardtmuth, den sie in Karlsbad kennen gelernt hatte und der fünf Söhne aus seiner ersten Ehe mitbrachte. Charlotte Hardtmuths neuer Lebensmittelpunkt wurde Wien. Hier traf sie wieder auf ihre mütterliche Freundin Ottilie von Goethe, die sie in das gesellige Leben der Stadt einführte. Auch als Charlotte 1848 ins böhmische Budweis umzog, wo die Koh-I-Noor-Fabrik ihres Mannes angesiedelt war, bestand das herzliche Verhältnis der beiden Frauen weiter. Ottilie, die ihre eigene Tochter Alma 1844 durch Typhus verloren hatte, wurde 1851 Patin von Charlottes erster Tochter gleichen Namens: Alma. Als die Kleine im zarten Alter von drei Jahren starb, waren beide in der gemeinsamen Trauer tief verbunden. Ein Jahr später stand Walther von Goethe Pate für Charlottes zweiten Sohn Walther Hardtmuth. 1855 zog sich Charlottes Ehemann Ludwig aus seinen Geschäften in der Koh-I-Noor-Fabrik zurück. Familie Hardtmuth ließ sich nun dauerhaft in Weimar nieder.
So begegneten sich Ottilie von Goethe und Charlotte Hardtmuth 1870 abermals in Weimar: Ottilie hielt offenes Haus. Zur Teestunde versammelten sich Freunde und Besucher der Familie Goethe. Charlotte half, die Gäste zu begrüßen und zu bewirten. Häufig erschien Großherzog Karl Alexander, Anfang des Jahres 1872 sogar in Begleitung seiner Schwester Augusta, seit einem Jahr deutsche Kaiserin.
Charlotte Hardtmuth wird in der Forschungsliteratur kaum wahrgenommen. Woher stammt das Wissen über sie? Es liegt versteckt in vielen Briefen, die im Goethe- und Schiller-Archiv aufbewahrt werden: Erhalten sind Briefwechsel mit den Schwestern Ottilie von Goethe und Ulrike von Pogwisch, dem Ehepaar Friedrich Johannes und Wilhelmine Frommann und Großherzog Karl Alexander. Die neun neu erworbenen Briefe Ottilie von Goethes an Charlotte Hardtmuth aus den Jahren 1869 und 1870 finden im Goethe- und Schiller-Archiv ihre Ergänzungen und Antworten.
Und worum geht es in diesen neun Briefen? Es sind Briefe an eine Vertraute. Stets verwendete Ottilie die Anrede »Liebes Lottchen!« oder »Mein liebes Lottchen!«. Ihre lebenslange Freundschaft betonend schloss sie mit »Ihre alte Freundin Ottilie« oder »Ihre treue Freundin Ottilie«. Auf einem undatierten Fragment, möglicherweise dem abgerissenen Ende eines Briefes, heißt es:
Häufiges Thema war Ottilies Sorge um den Gesundheitszustand ihrer Söhne, so schrieb sie am 14. Juli 1869 aus Jena:»Tausend Dank für Ihre aufopfernde Freundschaft und Gott behüte Sie und Alle die Ihnen theuer sind.«
»Ich werde mich freuen wenn er [Wolfgang] andre Luft athmet. Ich wünsche Walther dasselbe«.
Fast ein Jahr später, am 25. Mai 1870, meinte sie:
»Walthers Husten Ton erinnert mich nur zu sehr wie ein südlicheres Klima gewiß nöthig wäre«.
Dabei äußerte sich Ottilie an mehreren Stellen über das altersbedingte Nachlassen ihrer eigenen Kräfte, wie im Brief vom 22. Februar 1870:
»Ich habe in diesem Jahr und überhaupt seit ich hier bin keine andre Briefe beinah als Condolenz Briefe, oder Briefe an schwere Kranke und Geprüfte schreiben können, und bin jetzt seit 8 Tagen krank ja Bettlägerig gewesen, denn ein paar Tage wo ich wieder aufstehen versuchte bekamen mir schlecht.«
Trotz ihres hohen Alters nutzte Ottilie von Goethe moderne Kommunikationsmittel. Am 15. Juni 1869 versicherte sie etwa: »und wenn ich einmal telegraphiere soll sich Niemand erschrecken es ist dann bloß damit sich nicht einmal die Wege [der Briefe] kreutzen«. Sie kombinierte gern Briefe mit Telegrammen, oder schickte ihren Telegrammen erläuternde Briefe hinterher. Zum 49. Geburtstag von Charlotte Hardtmuth schrieb sie:
»Der telegraphische Draht will mir nicht genügen um Ihnen meinen herzlichsten Glückwunsch auszusprechen«.
Die Briefe kamen fast alle aus Jena. Von dort aus suchte Ottilie ein neues, geeignetes Quartier in Weimar. Charlotte Hardtmuth unterstützte sie bei der Suche nach einer Mietwohnung, bis Ottilie in einem undatierten Brief antwortete: »Also keines der Quartiere lautet die Losung, und ich eile mich es auszusprechen«, um aus finanziellen Gründen zurück in ihre Mansarde nach Weimar zu ziehen.