Tipp · Kosmos Weimar
»Historische Instrumente sind wie Lebewesen«
Am kommenden Sonntag erklingt zum ersten Mal in Weimar ein frisch restaurierter Hammerflügel nach Wiener Bauart, entstanden um 1835, der fortan die Sammlung der Klassik Stiftung bereichern wird. Restauriert wurde der Flügel in Wien bei Gert Hecher. Ein Interview mit dem Pianisten und Klavierbaumeister und Liese Klahn-Albrecht, künstlerische Leitung »Klingendes Schloss«, die auf dem Hammerflügel spielen wird.
Frau Klahn-Albrecht, welche Geschichte steckt hinter dem historischen Instrument?
Klahn-Albrecht: Hinter dem Hammerflügel verbirgt sich eine ganz persönliche Geschichte. Ein viel zu früh verstorbener Kollege, der Cembalist Walter Geist, hatte sich eine kleine Sammlung an Instrumenten mit wunderbaren Cembali und mehreren Hammerflügeln aufgebaut. Seine Frau Susanne Buscher erzählte mir, sie wisse gar nicht, wohin mit all den Instrumenten. Für uns Musiker ist es immer traurig, wenn Instrumente nicht gespielt werden. Also lud ich sie nach Weimar ein. Es ist ja Teil unseres Konzepts, dass auch die historischen Instrumente gespielt werden.
Ich hatte sofort ein Auge auf diesen Hammerflügel geworfen, weil ich fand, dass er unsere Sammlung sehr abrunden würde. Frau Buscher kam also nach Weimar und fand das Konzept sehr schön und hatte sofort die Idee, den Flügel zu stiften, damit er bei uns weiterlebt. Das war eine glückliche Fügung. Und auch, dass von Seiten der Klassik Stiftung die Restaurierung finanziert werden konnte. Denn es musste doch etwas nach den vielen Jahren am Flügel getan werde. In Wien wurde das Innenleben des Flügels von Gert Hecher restauriert, in Gera die Außenhülle vom Holzrestaurierungsspezialisten Karsten Skwierawski. Es ist also ein österreichisch-thüringisches Gemeinschaftsprojekt.
Herr Hecher, in welchem Zustand befand sich der Hammerflügel, als er bei Ihnen in Wien ankam?
Gert Hecher: Er war unspielbar, weil er ganz bedeutende statische Schäden hatte; die Saitenanfänge waren losgerissen. Das erforderte eine ziemlich große Reparatur. Das heißt, wir mussten alle Saiten abnehmen, den Resonanzboden herauslösen, die hölzerne Konstruktion komplett zerlegen und wieder verleimen. Es war auch einiges vom tragenden Holz zerbrochen, das haben wir natürlich erneuert. Nach dem Zusammenbau wurden die Originalsaiten wieder aufgezogen; um die 80 Prozent hatten überlebt. Der Flügel ist also in einem sehr hohen Grad mit Originalsaiten versehen.
Wie lange haben Sie am Flügel gearbeitet?
Gert Hecher: Ich glaube, wir haben etwa vier Monate daran gearbeitet, aber immer wieder mit Pausen zwischen den einzelnen Arbeitsschritten, denn man kann ja nicht einfach die Konstruktion zusammenleimen und sie sofort wieder belasten.
Was mich bei diesem Flügel besonders gefreut hat, ist die Tatsache, dass die Belederung der Hämmer in einem schönen Zustand war. Ich habe die originalen Leder wiederverwendet, ich habe sie nur ein wenig versetzt, damit ein neuer, frischer Anschlagspunkt die Saiten trifft. Das ist ein authentischer Beweis dafür, dass romantische Hammerklaviere einen relativ weichen Ton hatten. Der Flügel klingt wunderbar weich und rund. Durch die Originalsaiten und durch die originalen Hämmer können wir mit einiger Bestimmtheit sagen, dass es sich dabei um ein sehr originales Klangbild handelt.
Klahn-Albrecht: Der Klang ist ganz wunderbar, weich und edel. Als der Flügel vor einigen Wochen ins Stadtschloss geliefert wurde und ich die erste Probe mit Peter Hörr hatte, dem Cellisten, mit dem ich auch das Konzert spielen werde, waren wir beide ganz hingerissen, weil er so weich und so ausgesprochen geeignet ist für die Musik dieser Zeit, sprich: Mendelssohn, Schumann, der spätere Beethoven. Der Flügel hat eine große Wärme. Es ist mit ihm möglich, klanglich mit viel Gefühl zu spielen.
Was ist über die Herkunft des Flügels bekannt?
Gert Hecher: Der Flügel ist wahnsinnig schön gebaut, wirklich meisterhaft gemacht. Umso bedauerlicher ist, dass der Flügel kein Namensschild trägt. Und auch die Tatsache, dass nur eine Händlervignette von Baerwindt am Resonanzboden klebt, zeigt, dass der Bauer des Flügels sich darin nicht verewigt hat. Über Baerwindt weiß man eigentlich nur, dass er ein Händler war und nichts gebaut hat.
Für mich ist relativ eindeutig, dass er aus dem Osten Deutschland stammt, vielleicht Thüringen oder Sachsen. Denn dort wurden Wiener Flügel sehr genau kopiert. Aber es ist ein Flügel, der ein bisschen provinziell hinter den Wienern hinterherhinkt. Ich würde meinen, dass der Flügel so um 1840 gebaut wurde. Mit einer Gehäuseform, die eigentlich den Wiener Instrumenten von 1820 bis 1833 entspricht.
War es damals unter Intrumentenbauern üblich, Flügel nicht zu kennzeichnen?
Gert Hecher: Das ist eigentlich ganz selten. Warum? Darüber kann man nur mutmaßen. Ich selbst besitze einen polnischen Flügel von etwa 1850, der auch keine Namensgebung hat, den ich aber inzwischen mit einiger Sicherheit zuschreiben kann. Ich habe noch nichts in der Literatur gefunden, warum manche Flügel keine Namensschilder haben. Gott sei Dank ist es eher selten, aber es kommt leider vor.
Was fasziniert Sie persönlich an historischen Flügeln? Sie sind ja Pianist und erst später Klavierbaumeister geworden.
Gert Hecher: Für mich steht außer Frage, dass alles, was wir auf modernen Instrumenten spielen, im Grunde eine Transkription ist, die nicht den Intentionen der Komponisten entsprechen, weil sich das Klavier so enorm verändert hat. Werke von Schumann oder Mendelssohn, um Komponisten dieser Zeit zu nennen, lassen sich mit modernen Instrumenten einfach nicht adäquat aufführen. Der Klang historischer Instrumente ist viel transparenter.
Frau Klahn-Albrecht, was bedeutet es für Sie als Musikerin, auf einem historischen Instrument zu spielen?
Klahn-Albrecht: Für einen Musiker ist es das größte Geschenk, auf einem Instrument zu spielen, das aus der Zeit stammt, in der die Stücke geschrieben wurden. Sie entdecken beim Musizieren so viele Dinge, die plötzlich möglich oder anders sind. Ein Beispiel: Wenn Beethoven forte fortissimo schreibt und Sie das auf einem Steinway-Flügel spielen, dann ist es etwas ganz anderes, als wenn Sie ein filigranes Instrument aus Beethovens Zeit haben. Wenn Sie gemeinsam mit einem Sänger musizieren, dann muss er nicht gegen das Instrument ansingen. Streichern geht es ganz genauso: Man hört sie endlich, sie müssen nicht »drücken«, wie wir sagen. Wir lesen und hören die Partituren ganz neu; das ist ein spannender Prozess und ich freue mich, dass sich immer mehr Musiker um historische Tasteninstrumente bemühen.
Das zweite ist, dass die alten Instrumente wie Lebewesen sind und ganz verschieden reagieren. Nichts ist genormt. Die Instrumente sind wie Tiere und machen eben nicht immer das, was Sie als Dompteur wollen. Sie können die alten Instrumente nicht überspannen, sie zeigen Ihnen genau den Rahmen und das ist eine neue Erfahrung.
Weshalb klingen Flügel heute so anders als früher?
Gert Hecher: Das ist eine lange Geschichte, die natürlich auch mit den Virtuosenkonzerten im 19. Jahrhundert zu tun hat. Die Säle wurden immer größer und aus diesem Grund wurden die Klaviere immer stärker gebaut, weil sie dann als zu leise empfunden wurden. Umgekehrt haben Komponisten dann die stärkeren Klaviere genutzt.
Beispielsweise kann man die Klaviersonate h-moll von Liszt nicht gut auf einem Flügel von 1820 spielen, da muss man schon extrem vorsichtig sein. Liszt setzt eben einen Flügel voraus, der ein donnerndes Fortissimo herausbringen kann, weil er ihn 1850 zur Verfügung hatte. Die Klaviere haben sich im 19. Jahrhundert alle fünf bis zehn Jahre verändert, ganz besonders in Wien. Sie wurden immer stärker und wuchtiger, die Saiten dicker, die Hämmer größer. Das erzeugte immer mehr Klang, immer mehr Lautstärke. Andererseits verliert sich die Transparenz und der Obertonreichtum. Schubert auf einem Flügel von 1890 ist eben wesentlich fetter als auf einem von 1820 und im Grunde genommen nicht mehr das, was Schubert im Ohr hatte, als er komponierte.
Heutige Klaviere klingen wahnsinnig neutral. Das Schöne im 19. Jahrhundert ist, dass Sie eine wunderbare Vielfalt an Instrumenten haben. Ich selbst habe eine Sammlung von ungefähr 30 spielbaren Instrumenten und die sind alle vollkommen verschieden. Selbst die einer einzigen Marke sind oft verschieden. Man kann sich dann wirklich ein Instrument für die Stücke aussuchen. Übrigens bemerkte auch Brahms in einem Brief, dass er sich den Flügel nach dem zu spielendem Repertoire aussuche. Historische Flügel haben eine unglaubliche Individualität und Klangvielfalt und einen Reichtum, den es heute einfach nicht mehr gibt.
Am Sonntag, 25. Juni 2017, erklingt um 11 Uhr im Festsaal des Schloss Belvedere der frisch restaurierte Hammerflügel im Rahmen des Konzerts »Sonntag rutscht man auf das Land«. Gespielt werden Kammermusik und Chorgesänge von Beethoven, Schubert, Mendelssohn und Schumann. Das Konzert ist Teil der Reihe Klingendes Schloss 2017.