Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik
Was »Nebendinge« über Goethe sagen
Bevor ab dem 28. August 2019 im Schiller-Museum das Ausstellungsprojekt »Abenteuer der Vernunft. Goethe und die Naturwissenschaften um 1800« gezeigt wird, haben wir mit Thomas Schmuck über Goethes Konzeption eines »Gesprächs mit den Dingen« und dessen geowissenschaftliche Sammlung gesprochen.
Herr Schmuck, das Forschungsprojekt »Parerga und Paratexte – Wie Dinge zur Sprache kommen. Praktiken und Präsentationsformen in Goethes Sammlungen« befasst sich nicht in erster Linie mit den Sammlungsgegenständen, sondern mit den Nebendingen. Was war das Ziel des Projekts? Welche Erkenntnisse erhofften Sie sich?
Die Dinge selbst kommen nicht aus dem Blick, aber die Grundfrage ist: Haben Parerga und Paratexte – Nebendinge und Nebentexte – eine eigene Aussage, einen eigenen Erkenntniswert? Was sagen die Nebendinge, also Etiketten, Beschriftungen, Verzeichnisse usw., aus über die Sammlungen, die Sammlungspraxis, die Erkenntnisinteressen? Können wir so Erkenntnisse gewinnen, die wir durch bloße Betrachtung der eigentlichen Objekte weniger in den Blick bekommen? Und im Zuge der Arbeit hat sich diese hierarchische Beziehung zwischen Parergon und Ergon bzw. Paratext und Text aufgehoben. Alle Objekte haben eine eigene Geschichte, einen eigenen Erkenntniswert.
Was können uns »Nebendinge« erzählen?
Bei der geowissenschaftlichen Sammlung ist zunächst die Frage, wie die Gesteine angeordnet sind. Was kann ich erkennen, wenn ich eine Gesteinslade vor mir habe? Kann ich die Objekte herausnehmen? Sind sie fixiert oder frei handhabbar und können nebeneinander gelegt werden? Kann ich dadurch Gesteinsreihen bilden und Entwicklungsprozesse verstehen? Etiketten sagen auch etwas über das Netzwerk des Sammlers, über Personen und Orte, aus. Aber auch, was denjenigen, der das Etikett beschriftete, am Objekt interessierte. Manchmal sind ganz allgemeine Fundortbezeichnungen wie »Spanien« oder »Sibirien« notiert, sonst nichts. Andere wiederum sind sehr genau. Manchmal werden neben dem Funddatum auch die Fundumstände geschrieben, vielleicht nicht romanhaft, aber doch in vielzeiliger Prosa. Fast immer haben wir den Gesteinsnamen, den Mineralnamen dabei. Das sagt etwas darüber, wie man dieses Stück verstanden und eingeordnet hat.
Man versucht, den Stand der Wissenschaft zu jener Zeit zu rekonstruieren…
Genau. Wir versuchen durch das Verstehen von Ordnung und Benennung den Erkenntnisstand zu rekonstruieren. Wenn man ein Etikett findet, auf dem Trachyt steht, dann weiß man, dass der Begriff »Trachyt« im Jahr 1813 geprägt wurde und sich Anfang der 1820er Jahre durchgesetzt hat. Das heißt, es kann in dieser Anordnung bzw. Beschriftung kein Sammlungsbestand sein, der älter ist. Die Objekte können natürlich früher in die Sammlung gekommen sein. Aber sie wurden umsortiert, neu bearbeitet, wurden Gegenstand von wechselnden Erkenntnisinteressen. Wenn man Glück habt, finden sich alte und neue Bezeichnungen oder konkurrierende Nomenklaturen gleichzeitig. Dann wird es spannend.
In der Projektbeschreibung steht, dass Sie Goethes Konzeption eines »Gesprächs mit den Dingen« zum Ausgangspunkt genommen haben. Was verbirgt sich dahinter?
Zum einen wollte das Projekt der Dichotomie entkommen, dass Wissen einerseits als bloß sozial konstruiert angesehen wird und kein Fundament in den Dingen habe; die andere Sichtweise wäre die, dass die Objekte nur bestimmte Fragen zulassen oder selbst so »wirkmächtig« sind, dass sie letztlich vorgeben, wie mit ihnen zu verfahren sei. Man kann etwa ein Gestein analysieren und herausfinden, ob es verwertbar ist. Man kann aber auch ganz andere Fragen stellen, beispielsweise, ob es Aufschlüsse über die Entstehung der Erde gibt. Man kann einen ökonomischen, einen geologischen, einen kosmologischen Ansatz verfolgen. Die ursprüngliche Bedeutung des Begriffs »Geologie« war jene, die auf die Entstehung der Erde als Ganzes abzielte. Goethe hat eine solche Erklärung auch gesucht.
Was zeichnet Goethes »Gespräch mit den Dingen« aus?
Das Zitat bezeichnet die Möglichkeit eines dritten Wegs: dass Wissen weder Sozialkonstrukt ist, noch dass vorrangig die Objekte vorgeben, wie mit ihnen zu agieren ist. In der von Goethe mitentwickelten Herangehensweise geht es dagegen um eine Interaktion zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Betrachter und Gegenstand. »Gespräch« ist also zum einen metaphorisch, zum anderen ist damit eine Interaktion gemeint, die dazu führt, neue Bewertungen, neue Anordnungen bestimmter Gesteine, Mineralien, Fossilien vorzunehmen. Das ist das Besondere an Naturdingen, dass sie Überraschendes und Unerwartetes zulassen, Antworten auf Fragen, die wir heute noch gar nicht stellen können. Sie sind eine widerständige Wirklichkeit und nicht bloßes Konstrukt. Fragen entstehen aus dem Wissen, das wir haben, aber auch aus den Objekten selbst. Damit stehen wir irgendwo zwischen Naturerfindung und Interaktion zwischen dem Objekt und dem Erkennenden.
Kommen wir zu Ihrem Teilprojekt: Sie widmeten sich der Präsentations- und Ordnungsform in der geowissenschaftlichen Sammlung Goethes. Was macht diese Sammlung so besonders?
Das Besondere ist, dass sie eine der wenigen Sammlungen dieser Größe – über 18.000 Stück – und dieses Alters ist, die fast vollständig erhalten ist und, soweit wir wissen, größtenteils in der Ordnung, wie sie uns Goethe hinterlassen hat. Das Schicksal solcher Sammlungen war oft, dass sie entweder zugrunde gegangen oder in größere Sammlungen aufgegangen sind und damit ihre Ordnung verloren haben. Weil das hier nicht der Fall ist, ist die Sammlung wissenschaftshistorisch von Bedeutung, denn wir können hier Fragstellungen der Zeit um 1800 rekonstruieren. Und diese Zeit ist bedeutend, weil in ihr die Geologie zu einer modernen Naturwissenschaft wurde.
Welche Ziele verfolgte Goethe mit seiner Sammlung? Was war sein Hauptinteresse?
Am Anfang hatte Goethe wenig Ahnung von Geologie. Kaum nach Weimar gekommen, sollte er den Bergbau in Ilmenau, der viele Jahrzehnte brach gelegen hatte, wiederherstellen. Das ist trotz vielfacher Anstrengungen nicht gelungen, aber daraus hat sich Goethes Interesse für geologische Theorien, für Gesamtentstehungstheorien der Erde entwickelt.
Wie sind Sie in Ihrem Projekt vorgegangen?
Aufgrund des bemessenen Zeitraums von drei Jahren war klar, dass eine solche Sammlung nicht vollständig bearbeitet werden kann. Hier können nur exemplarisch Objekte ausgewählt und untersucht werden. Aus verschiedenen Teilbereichen habe ich Objekte herausgesucht, die mir besonders vielversprechend erschienen. Ich wollte nicht bekannte Entstehungstheorien, etwa Neptunismus oder Vulkanismus, wie man sie auch aus dem »Faust« kennt, gegeneinander abwägen, sondern mich mit Dingen beschäftigen, über die Goethe wenig publiziert hat, über die es aber Material im Nachlass gibt, beispielsweise die Zinnformation. Goethe hat hier versucht, an Erdentstehungstheorien anzuschließen, ist aber nicht wirklich vorangekommen. Ein weiteres Beispiel sind Fossilien, etwa Flugsaurier oder die Abgüsse tertiärer Fossilien aus dem Pariser Becken.
Können Sie ein Objekt exemplarisch herausgreifen?
Wir haben den Gipsabguss eines Anoplotherium-Kiefers, eines kamelverwandten Tieres aus dem mittleren Tertiär, in der Sammlung, das ihm Georges Cuvier, der große Pariser Paläontologe, geschickt hat. Es gibt mehrere Aspekte, die hier interessant sind: Erstens, dass Cuvier ihm ein Exemplar eines damals sehr bekannten vorzeitlichen Lebewesens schickte – ein Hinweis darauf, wie hoch er ihn einschätzte. Und zweitens: Cuvier versuchte, anhand solcher Fossilien und den Schichtenfolgen des Pariser Beckens die Abläufe der Vergangenheit zu rekonstruieren. Das Anoplotherium, das nur in bestimmten Schichten vorkommt, erzählt von auftretenden und wieder verschwundenen Faunen in Mitteleuropa, die für Cuvier durch Katastrophen ausgelöscht wurden.
Auch fossile Elefanten spielten für Goethe und in der Diskussion der Zeit eine wichtige Rolle. In und um Weimar wurden Exemplare aus den Warmzeiten zwischen den Eiszeiten gefunden und kamen in die Sammlung. Das Besondere daran ist, dass Goethe – noch bevor die Eiszeittheorien wissenschaftlich publiziert wurden – sich Gedanken über großräumige Vereisungen machte. In manchen Dingen war er sehr innovativ, in anderen eher kritisch-ablehnend, in einigen nur rezeptiv. Diese Vielschichtigkeit Goethes ist etwas, das wir in unserem Vorhaben deutlich herausstellen konnten.
Um auf den Titel Ihres Forschungsprojekts zurückzukommen: Wie hat Goethe seine Sammlung präsentiert? Welche Ordnungsformen gab es?
Goethe hat mit verschlossenen Schränken gearbeitet, mit Laden, die das Herausnehmen der ganzen Lade verlangen und das Herausnehmen und Anordnen der Objekte auf einem Tisch. Eine andere Möglichkeit wären Glasschränke gewesen, die er aber ausdrücklich ablehnte. Präsentiert wurde im Gespräch: der Sammler nahm die Objekte heraus und legte sie vor. Maßgebend für die Sammlungsordnung waren u.a. Abraham Gottlob Werners schöne klare Schriften »Von den äußerlichen Kennzeichen der Fossilien« 1774 und »Klassifikation und Beschreibung der verschiedenen Gebirgsarten« 1787, wo Gesteine – Fossilien war der Sammelname – nach ihrem vermuteten Alter angeordnet wurden. Das machte Goethe ähnlich. Heute würde man, da beispielsweise Basalte sehr alt oder im Gegenteil sehr jung sein können, nicht mehr so ordnen. Aber diese Ordnung wird verständlich, wenn man sich bewusst macht, dass die Geologie aus Erdbildungstheorien entstanden ist.
Vom 28. August 2019 bis zum 5. Januar 2020 wird im Schiller-Museum das Ausstellungsprojekt »Abenteuer der Vernunft. Goethe und die Naturwissenschaften um 1800« gezeigt. Unter drei Leitthemen Zeit und Erde, Ordnung und Entwicklung sowie Licht und Materie präsentiert wir erstmals Goethes naturwissenschaftliche Sammlung im Überblick.
Goethe hat mich in Ellwangen eingefangenen als ein Schild über einer Tür eines Gasthauses
zu lesen stand ‘ Goethe war hier ‘ ~~~seitdem hat mich das Universal Genie
Johann Wolfgang von Goethe bis heute begleitet: Ihr Beitrag hat mich erfreut, fasziniert und staunend gemacht weil ich spüre wie nahe ich Goethe im geistigen Wesen bin .Gern wäre ich Goethe im Ilmenpark begegnet auf ein Austausch im Gespräch, ich war mehrmals in Weimar und in Italien auf Goethes Spuren generell!
Einmal Goethe immer Goethe!