Alte Meister am Bauhaus
Wie ging das Weimarer Bauhaus mit den alten Meistern der Kunstgeschichte um? Diese und andere Fragen beantwortet Ute Ackermann im Vortrag »Cranach und das Bauhaus«. Hier geben wir einen Vorgeschmack.
Das Staatliche Bauhaus wurde 1919 in Weimar gegründet. Im Aufbruchspathos der ersten deutschen Demokratie verschrieb es sich einem rigorosen Avantgardismus, dessen Programmatik im Brennpunkt alles Neuen aufflammte und begeisterte. So scheint es nur folgerichtig, dass Walter Gropius klassischen kunsthistorischen Unterricht, wie er an den herkömmlichen Akademien erteilt wurde, für das Bauhaus ablehnte.
Die vorgetragene Geschichtslosigkeit wurde jedoch immer wieder unterwandert. Am deutlichsten zeigt dies wohl der Unterricht von Johannes Itten, der mit seinen »Analysen alter Meister« die Beschäftigung mit historischer Kunst in den Status eines Pflichtfachs erhob. In diesem Kurs wurden unter anderem Werke von Grünewald, Meister Francke und Cranach analysiert. Wenn auch von einer explizit bauhauspezifischen Cranach-Rezeption kaum gesprochen werden kann, standen Werke von Lucas Cranach in Ittens »Analysen« und ihrer Publikation 1921 im Utopia-Almanach an exponierter Stelle und qualifizierten sich durch ihre spezielle Bildauffassung und -motive als Unterrichtsgegenstände.
Darüber hinaus fanden am Bauhaus regelmäßig Vorträge zu kunsthistorischen Themen statt und es scheint auch mehr als verwunderlich, dass ausgerechnet das Manifest der Schule mit Feiningers Holzschnitt »Kathedrale« geschmückt war, die in expressionistisch-kristallin aufgelöster Bildsprache auf den Inbegriff gotische Baukunst verweist. Bauhüttenromantik bestimmte in den ersten Jahren des Bauhauses das Selbstverständnis der Schule.
Die Geschichtsaneignung am Bauhaus, die sich ganz im Sinne von Nietzsches Nützlichkeitsdenken vollzog, soll im Kontext der historischen Kunsttheorie betrachtet und insbesondere mit Blick auf das psychologisierende Konzept Wilhelm Worringers von »Abstraktion und Einfühlung« verständlich gemacht werden. Der Blick zurück in die Geschichte wird durch seine Definition der Gotik als überzeitlicher Stil von seiner Epochegebundenheit erlöst und damit für Avantgardebewegungen, wie den Expressionismus oder das Bauhaus, zum Messpunkt für die Konstruktion zeitloser psychologischer Merkmale deutscher Kunst. Mit diesem Konzept ist Legitimation durch künstlerische Ahnen möglich, ohne in die Historismusfalle zu geraten oder den Ruf des Modernen zu riskieren.
Neben seinen Werken »Abstraktion und Einfühlung« (1907) und »Formprobleme der Gotik« (1911) versuchte Worringer in seinem Essay »Lukas Cranach« (1908) anhand des Phänomens Cranach den notwendigen Untergang der Gotik als »deutsche Kunst« durch die Renaissance zu exemplifizieren. Cranach ist für ihn das Sinnbild des Untergangs eines deutschen also »gotischen« Kunstwollens unter den Bedingungen der »klassischen« Renaissance.
Im Spannungsfeld einer »reinen Gotik« und Lukas Cranach als Indikator ihres Untergangs setzten sich die Zeitgenossen mit Worringers Theorien intensiv auseinander. Insbesondere die Künstler des Blaue Reiter und damit die späteren Bauhaus-Meister Paul Klee und Wassily Kandinsky nahmen intensiv an dieser Debatte teil. Für das Bauhaus war diese Auseinandersetzung maßgeblich, da sie die scheinbare Ambivalenz von Modernität und Geschichtsaneignung aufhob und den Gegenstand der »Analysen alter Meister« sowie den frühen Gotikbezug legitimierte.
Ausgerechnet eine Analysestunde soll – nach Ittens Erinnerung – Gropius allerdings schließlich endgültig gegen ihn eingenommen und die radikale Hinwendung des Bauhauses zur Verbindung von Kunst und Technik 1923 initiiert haben.