Der Fall Michael Berolzheimer
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Mitunter werden Museen, Archive oder Bibliotheken erst durch externe Anfragen auf sogenanntes NS-Raubgut in ihren Beständen aufmerksam. So erkundigt sich im September 2008 das Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen bei der Klassik Stiftung nach vier Zeichnungen aus der Sammlung von Michael Berolzheimer.
Tatsächlich können die Provenienzforscher die Objekte im Bestand der Graphischen Sammlungen ausmachen: Es handelt sich um zwei Zeichnungen von Carl Ferdinand Sprosse (1819–1874), eine von Moritz von Schwind (1804–1871) sowie eine von Friedrich Preller d. Ä. (1804–1878).
Die Recherchen zum einstigen Besitzer Dr. Michael Berolzheimer beginnen. Sie sollen klären, unter welchen Umständen die damaligen Staatlichen Kunstsammlungen zu Weimar die Zeichnungen 1939 erworben haben.
Michael Berolzheimer wurde 1866 im bayerischen Fürth geboren. Er stammte aus einer jüdischen Unternehmerfamilie, die mit der Produktion von Bleistiften auch in den USA wirtschaftlich erfolgreich war.
Die Familie Berolzheimer genoss in Fürth und Nürnberg hohes Ansehen, nicht zuletzt wegen ihrer volkspädagogisch orientierten Wohltätigkeit.
Im Jahr 1906 eröffnete in Fürth das von Heinrich Berolzheimer gestiftete Berolzheimerianum, ein Volksbildungsheim mit frei zugänglicher Bibliothek. Zudem spendete er große Summen für die Errichtung des Künstler- sowie des Luitpoldhauses in Nürnberg.
Nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten im Januar 1933 war die Familie zunehmend der Verfolgung durch das neue Regime ausgesetzt. Michael Berolzheimer wohnte inzwischen mit seiner Frau Melitta Berolzheimer und ihren beiden Söhnen aus erster Ehe in Untergrainau bei Garmisch-Partenkirchen. 1938 beschloss die Familie, in die USA zu emigrieren.
Um ausreisen zu dürfen, musste Berolzheimer den Großteil seiner Kunstsammlung in Deutschland zurücklassen.
Betroffen war auch seine Sammlung wertvoller Handzeichnungen und Druckgrafiken.
Im März 1939 wurde sie durch das Münchner Auktionshaus Adolf Weinmüller, das mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern handelte, versteigert. Darunter befanden sich auch die vier Zeichnungen, die von den Staatlichen Kunstsammlungen zu Weimar erworben wurden.
Auf die Auktion konnte Michael Berolzheimer weder Einfluss nehmen, noch wurde er am Erlös der Verkäufe beteiligt. Es handelt sich daher eindeutig um sogenanntes NS-Raubgut.
1942 starb Michael Berolzheimer in Mount Vernon im Staat New York/USA.
Der Klassik Stiftung gelingt es, den rechtmäßigen Erben zu finden.
2013 werden die vier Zeichnungen restituiert und neu angekauft. Heute befinden sie sich somit rechtmäßig im Besitz der Stiftung.
Die Mobile Vitrine mit dem Fall der Sammlung Berolzheimer, der Geschichte eines NS-verfolgungsbedingten Entzuges, ist bis Ende Juli 2016 im Foyer des Schlossmuseums zu sehen.
Zur Reihe »NS-Raubgut in der Klassik Stiftung Weimar«
In den Beständen der Klassik Stiftung Weimar befinden sich unrechtmäßig erworbene Kulturgüter. Seit 2010 sucht die Stiftung systematisch nach sogenanntem NS-Raubgut und strebt gemeinsam mit den Verfolgten oder deren Erben gerechte und faire Lösungen an. 2011 hat die Stiftung diese Aufgabe in ihr Leitbild aufgenommen.
In mehreren Fällen konnten als NS-Raubgut identifizierte Objekte an die Erben der einstigen Besitzer zurückgegeben werden. Seit November 2015 ist die Mobile Vitrine auf Wanderschaft durch die Foyers der Häuser und stellt besonders interessante Einzelfälle von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern und die Verfolgungsschicksale der früheren Eigentümer vor.
Zu jedem Fall wird ein Blogbeitrag veröffentlicht.