Die lange Blüte des Klassizismus in Weimar
Weimar zählt zu den Residenzen im deutschsprachigen Raum, in der die Kunst des Klassizismus, das mediterrane Erbe und die Antike am längsten prägend waren. Die rein ideellen Horizonte von Hellas und Italien dominierten nicht nur durch die Dichtung der Weimarer Klassik. Bedeutende Werke von klassizistischen Malern wie J. P. Hackert, J. H. W. Tischbein, A. J. Carstens und Angelika Kauffmann gelangten in die Sammlungen der herzoglichen Familie und der Goethes.
Herzogin-Witwe Anna Amalia gestaltete sich im Schloss Belvedere ein »Italienisches Museum« und das »Römische Haus«, das Herzog Carl August und Goethe im Ilm-Park errichten ließen, erweiterte die Territorien der mediterranen »Parallelwelt« in der thüringischen Residenz.
Als der zum Großherzog erhobene Carl August 1817 nach Oberitalien und Mailand reiste, erwarb er nicht nur eine Fülle italienischer Kunstschätze, er vitalisierte auch ein bestehendes transalpines Netzwerk. Der aus Frankfurt stammende Bankier und Unternehmer Heinrich Mylius, der auch Weimarer Verwandte hatte, erwies sich als zentrale Mittlerfigur im Kulturtransfer.
Um ihn herum wurden immer neue Verbindungen geknüpft. So gelangten über das Mailand-Weimar Netzwerk die jungen Maler Friedrich Preller und Adolph Kaiser nach Italien, nach Mailand und Rom.
In Italien befreundete sich Preller mit Bonaventura Genelli (1798–1868), der 1859 nach Weimar berufen wurde und neben Preller einer der führenden Verfechter des späten Klassizismus gegenüber den immer mehr an Boden gewinnenden Realisten, Naturalisten und Pleinair-Malern wurde. Prellers langes Leben und seine künstlerische Potenz bis ins hohe Alter wie auch seine Schülerschaft stabilisierten das spätklassizistische Erbe.
Der kunstsinnige und liberale Großherzog Carl Alexander, der die Großherzoglich-Sächsische Kunstschule in Weimar protegierte und aus seiner Privatschatulle unterstützte, blieb bei aller Offenheit gegenüber den modernen Tendenzen der Schule von Barbizon den klassischen hochgesinnten Überlieferungen innerlich verpflichtet. Berufungen wie die von Arnold Böcklin, Protegé des Münchner Mäzens und Ästheten Adolph Friedrich von Schack, der künstlerisch den Auffassungen von Carl Alexander nahe stand, waren Versuche, das mediterran-klassische Erbe in neuen Formfindungen anspruchsvoll weiterzuentwickeln.
Auch die Berufung des Italieners Giulio Aristide Sartorio 1895 als Professor an die Großherzoglich-Sächsische Kunstschule Weimar als alleinige Entscheidung Carl Alexanders ist diesem ideellen Hintergrund verpflichtet. Sie stellt eine der späten kulturellen Leistungen im Sinne der alten »Musenhof«-Tradition dar.
Der polyglotte und kosmopolitische, dem mediterranen Menschenbild emphatisch und mit virtuoser Sinnlichkeit zugewandte Meister stellte offenbar gerade auch in den Augen Carl Alexanders ein liebenswertes Gegengewicht gegen das eher kühl-zurückgenommene Lebensgefühl der aktuellen Freilichtmalerei in der Tradition der Schule von Barbizon dar, der »Spinatmalerei«, wie deren Gegner scherzten. Zwar war visuell das klassische Menschenbild in der kleinen Residenz überall anzutreffen, doch bewogen die kleinstädtische Enge – die auch die Farbtupfer und Lichter der Großherzoglichen Hofhaltung nicht verdecken konnten – den italienischen Maler schon 1899 wieder zur Abreise.
Sartorios Berufung ist insofern für Weimar bedeutsam, als es zumindest episodisch gelang, eine herausragende künstlerische Persönlichkeit aus Italien zu gewinnen, die nochmals das klassisch mediterran inspirierte Menschenbild zeitgenössisch international anerkannt zu interpretieren und fortzuentwickeln vermochte.
Die Welt des Klassizismus sieht man aber auch bei Künstlern in Weimar weiterhin wirksam, die man nicht dem Spätklassizismus, sondern Symbolismus und Jugendstil zuordnet. Diese klassizistischen Grundhaltungen scheinen beispielsweise im Werk von Sascha Schneider, Ludwig von Hofmann und Richard Engelmann auf. Auch die historistische Architektur in Weimar blieb lange klassizistisch geprägt, wie die Bauten des neuen Deutschen Nationaltheaters und des Südflügels des Residenzschlosses erkennen lassen.
Der Einfluss des Klassizismus ist ein zentrales Thema der Ausstellung »Von Leonardo fasziniert: Giuseppe Bossi und Goethe«, die noch bis zum 13. November im Schiller-Museum zu sehen ist.