»Die Loreley« – Ein frühes Lied
Franz Liszts nach Heinrich Heine
Heines Gedichte sind durch viele tausend Vertonungen weltberühmt geworden. Die Forschung zählt 8.000 Heine-Lieder, die allein im romantischen Musikzeitalter entstanden sind. Komponisten wie Franz Schubert, Fanny Hensel und Johannes Brahms, aber auch Joachim Raff, Ingeborg Bronsart von Schellendorf oder Anton Urspruch, um einige Namen aus dem Liszt-Kreis zu nennen, haben sich von Heines Lyrik inspirieren lassen.
Das Gedicht über die verführerische Jungfrau, die durch ihren Gesang vom Rheinfelsen herab vorbeifahrende Schiffer betört und in den Tod lockt, wurde zum ersten Mal 1824 gedruckt. 1826 erschien es im Zyklus »Die Heimkehr« im 1. Band der »Reisebilder«. 1827 wurde der Zyklus in Heines ersten großen Gedichtband, das »Buch der Lieder«, aufgenommen, der noch zu Lebzeiten des Dichters 12 Neuauflagen erfuhr. Die berühmteste Komposition des Gedichts »Ich weiß nicht, was soll es bedeuten …« schuf Friedrich Silcher. Das einfache Strophenlied aus dem Jahre 1837 hatte rasch Popularität erlangt und ist seither fest im deutschen Liedgut verankert.
Liszts Komposition für Mezzosopran (oder Tenor) und Klavier ist eine seiner frühesten Liedkompositionen, wahrscheinlich sogar seine erste. Wie dem Autograph der ersten Fassung zu entnehmen ist, entstand sie im November 1841. Bis dahin hatte sich der Komponist intensiv mit dem Liedschaffen seiner Vorgänger befasst. Allein 45 Lieder Franz Schuberts, darunter die »12 Lieder« sowie die Zyklen »Schwanengesang« und »Winterreise« waren zu diesem Zeitpunkt bereits in Liszts Klavierübertragungen erschienen. Die Ausgabe der »12 Lieder« widmete er Marie d’Agoult, seiner damaligen Lebensgefährtin und Mutter seiner Kinder Blandine, Cosima und Daniel.
Die Entstehung des Liedes geht auf die noch relativ ungetrübten Zeiten der Verbindung Liszts mit der Gräfin zurück. Nach seinen strapaziösen England-Tourneen und zwischen neuen Konzertverpflichtungen in Deutschland hatte sich der Pianist 1841 mehrfach zu Erholungsaufenthalten auf die Rheininsel Nonnenwerth zurückgezogen. In der Abgeschiedenheit der Natur, umgeben von den alten Klosteranlagen, verbrachte er glückliche Wochen mit Marie.
Anfang November führten ihn seine Virtuosenreisen durch die Provinz Westfalen nach Kassel. Hier komponierte er die »Loreley«. Möglicherweise entstanden auf dieser Reise auch die ersten Fassungen der Lieder »Am Rhein, im schönen Strome« nach Heine und »Die Zelle in Nonnenwerth« nach einem Text des Fürsten Felix von Lichnowsky. Keine der überlieferten Handschriften zu diesen Liedern ist so genau datiert wie die der »Loreley«. »Cassel 20. Nov. 1841« heißt es am Schluss des 8-seitigen Autographen und darunter »für Marie geschrieben!«
Mit seiner frühen Vertonung war Liszt eine großartige musikalisch-poetische Ausdeutung des Gedichts gelungen. Die einfühlsame, differenzierte Melodik und der tonmalerische Wechsel der Szenen und Stimmungen, der vor allem dem Klavierpart übertragen ist, erschließen auf überzeugende Weise die Spannung und Dramatik, die Heines Versen innewohnen. In der zweiten, in den 50er Jahren entstandenen Fassung des Liedes, der Liszt ein neues Klaviervorspiel anpasste und in der er verschiedene harmonische und melodische Modifikationen vornahm, wird dieser Eindruck noch verstärkt.
Im Jahre 1843 gab Liszt die frühen Versionen der »Loreley« und »Am Rhein, im schönen Strome« zusammen mit seinen ersten Liedern nach Gedichten Goethes und Victor Hugos bei Schlesinger in Berlin heraus. Die Ausgabe nannte er, dem Vorbild Heines folgend, »Buch der Lieder«. Im »Buch der Lieder für Piano allein« erschienen ein Jahr später in diesem Verlag seine Klavierübertragungen der sechs Lieder. Schließlich wandte sich Liszt 1860 noch einmal der »Loreley« zu und instrumentierte das Lied für Gesang und Orchester. Diese Bearbeitung folgt der zweiten Liedfassung mit Klavier. Sie erschien 1862 bei Kahnt in Leipzig.
Zu all diesen Fassungen sind im Liszt-Bestand des Goethe- und Schiller-Archivs Autographen, überarbeitete Abschriften, Druckvorlagen und korrigierte Frühdrucke überliefert. Sie gehören in den Komplex des reichlich 100 Signaturen zählenden Quellenfundus’ zu Liszts Liedschaffen, das am Ende seines Lebens 89 Titel umfasste und das noch immer zu Unrecht im Abseits der Forschung steht.
Aus dem Entstehungsjahr der »Loreley« von Franz Liszt stammt ein Brief Heinrich Heines vom 25. Mai 1841, der 1995 für den Liszt-Bestand erworben werden konnte. Er ergänzt seine im Nachlass bereits vorgefundenen drei Schreiben an Liszt. Insgesamt sind nur 11 kurze Briefe aus dem Liszt-Heine-Briefwechsel bekannt – 8 Schreiben des Dichters und 4 des Musikers aus den Jahren 1833-1844, die weltweit verstreut in 6 verschiedenen Einrichtungen in Ungarn, den USA, Frankreich, Russland und Deutschland bewahrt werden.
Liszt hatte Heine bald nach dessen Übersiedlung nach Paris im Sommer 1831 persönlich kennengelernt. Sie trafen sich in den Salons oder zu den Veranstaltungen der Saint-Simonisten, Heine besuchte Liszts Konzerte und berichtete darüber in französischen und deutschen Zeitungen. Wie aus einem seiner Schreiben hervorgeht, war ihm der gedankliche Austausch mit Liszt sehr wichtig. Bei aller Hochachtung vor der Leistung des gefeierten Virtuosen stand er seiner Musik jedoch skeptisch gegenüber. Das drückte er nicht zuletzt auch in seinem 10. Brief »Über die französische Bühne« aus, der unter den »Lettres confidentielles« im Februar 1838 in der »Revue et Gazette Musicale de Paris« zu lesen war. Liszt hatte am 15. April 1838, im 7. Brief seiner Artikelserie der »Lettres d’un Bachelier ès-musique« in der »Revue« darauf reagiert.
Das freundschaftliche Verhältnis war bald erheblicheren Spannungen unterworfen, die auf Heines zunehmende Kritik an Liszts Auftreten als »großer Agitator« und »irrender Ritter aller möglicher Orden«, wie er ihn im Artikel »Musikalische Saison in Paris« vom 25. April 1844 nennt, zurückzuführen sind. In seinem Bericht über die »Musikalische Saison in Paris«, der am 20. April 1841 in der Augsburger »Allgemeinen Zeitung« zu lesen war, rühmte er jedoch die Konzerte, die Liszt im März und April in der Salle Erard, dem Konzertsalon des Klavierfabrikanten Pierre Erard, gespielt hatte. In der Presse gab es auch kritische Stimmen. Heine lobte indes, Liszt habe »den wunderbarsten Fortschritt« gemacht. Man denke gar nicht mehr an »überwundene Schwierigkeiten«, wenn man ihn erlebt, »das Clavier verschwindet und es offenbart sich die Musik«.
Möglicherweise hatte Liszt Heine noch vor seiner Abreise aus Paris, am 5. Mai 1841, für diesen Artikel einen Betrag von 300 Francs versprochen. Am 25. Mai erinnert ihn der Schriftsteller an eine Absprache und bittet außerdem um Berichte über die Konzerte in London. Damit der Brief seinen Empfänger auch baldmöglichst erreicht, sandte Heine ihn an die Adresse der Klavierfirma Erard, die in London eine Dependance unterhielt und dem Virtuosen die Klaviere zur Verfügung stellte. Ob Liszt Heine geantwortet und das Geld überwiesen hat, bleibt unbekannt.
Paris den 25 May 1841.
Liebster Lißt!
Von Ihren Triumphen in London habe ich seitdem vielfach Nachricht erhalten und mich gewiß herzlich darüber gefreut. Nur die 300 fs, die Sie mir hierherschicken wollten, sind nicht so schnell gereist und ich habe sie bis auf diese Stunde noch nicht erhalten. Ich will gern dem Zufall diese Verzögerung zuschreiben, obgleich die große zersplitternde und betäubende Zerstreuung, worin Sie dort leben, ebenfalls Schuld dran seyn kann. Den 8‘ oder 9ten Juny reise ich ins Bad, und wenn mich also Ihr Brief noch hier treffen soll, müssen Sie mir bald schreiben, addressirt: rue Bleue, No 25. – Lassen Sie bey dieser Gelegenheit mir auch einige Notizen über dortiges Treiben zukommen, wenn Ihnen ein Moment Muße übrig bliebe. – Leben Sie wohl und seyn Sie überzeugt daß ich Sie liebe; denn ich verstehe Sie.
Ihr
Henri Heiné.
Die Ausstellung »›Génie oblige‹. Autographen aus dem Nachlass« ist bis zum 17. September bei freiem Eintritt im Goethe- und Schiller-Archiv zu sehen.