Die Sammlung Ludewig
Am 16. September 2010 hat die Klassik Stiftung die weltweit einzigartige Sammlung zur Kunst- und Designgeschichte des Berliner Sammlers Manfred Ludewig erworben. Die Sammlung umfasst mehr als 1.500 Objekte aus der Zeitspanne von etwa 1780 bis zur Gegenwart, darunter große Werkgruppen von Möbeln, Metallarbeiten, Leuchten, Geräten, Fahrzeugen, Modellen, Keramik, Glas und Porzellan sowie typographischen Arbeiten, insbesondere zum Bauhaus und zum russischen Konstruktivismus. Sie wird einen wesentlichen Bestandteil des neuen Bauhaus-Museums in Weimar bilden.
Den Anstoß für die Erwerbung gab ein Zusammentreffen des Stiftungspräsidenten Hellmut Seemann mit Herrn Ludewig bereits im Frühsommer 2008. Die Voraussetzungen für eine Erwerbung waren für beide Seiten von Anfang an denkbar günstig: so war die Klassik Stiftung an der einzigartigen Kollektion in hohem Maße interessiert, versprach sie doch einen entscheidenden Zugewinn und einen zweiten Schwerpunkt für das neue Bauhaus-Museum; Manfred Ludewig seinerseits suchte eine bleibende Heimstatt für seine Sammlung, die er in den letzten vier Jahrzehnten aus ganz Europa zusammengetragen und seit 1977 in Ausschnitten mehrfach öffentlich präsentiert hatte.
Die Übergabe erfolgte als Ankauf eines Teils der Sammlung, einer großzügigen Schenkung von Manfred Ludewig und der Dauerleihgabe von zwei Objekten – je einem Sideboard von Edward William Godwin von 1867 und einem Vitrinenschrank Marcel Breuers vom Ende der 1920er Jahre.
Die Sammlung
Manfred Ludewig hat das Konzept seiner Sammlung mit einem Flugzeug verglichen, dessen langer Rumpf die Geschichte des funktionalen Designs vom Ende des 18. Jahrhunderts bis zur Gegenwart symbolisiert, dessen Flügel hingegen die Geschichte des frühen Bauhauses in Weimar und dessen weitere Ausprägung in Dessau veranschaulichen.
Die Sammlung Ludewig enthält wichtige Konvolute internationalen Designs, so z.B. des niederländischen »De Stijl« mit Arbeiten von Gerrit Rietveld, die das Bauhaus in Weimar entscheidend beeinflusst haben, oder ein stattliches Konvolut exquisiter Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer, aber auch von Mies van der Rohe oder den Brüdern Luckhardt. Wichtige Sammlungskomplexe, darunter nahezu sämtliche Arbeiten von Wilhelm Wagenfeld oder die umfassende Kollektion von Bugholz-Möbeln der Firma Thonet sowie die Erzeugnisse für die Firmen Kaffee Hag, Sarotti oder Braun dokumentieren ferner den Übergang zum Industriedesign. Die Sammlung Ludewig ergänzt damit die einzigartigen Weimarer Bauhaus-Bestände in idealer Weise und wird diese im neuen Bauhaus-Museum anschaulich in einen weiteren design- und kulturgeschichtlichen Zusammenhang einbetten. Die Exponate der Sammlung werden deutlich machen, dass ein rationalistisch-funktionales Gestaltungsideal nicht erst von den Entwicklungen des Bauhauses in Weimar und Dessau ausgeht, sondern dass der ästhetische Aufbruch bereits um 1800 eine unscheinbare Geschichte einer antiornamentalen, asketischen Funktionalität begründet, in der – über die Epochen der Industrialisierung und des Historismus hinweg – auch das Bauhaus seinen Ursprung hat.
Die seit Ende der sechziger Jahre entstandene Sammlung Ludewig orientiert sich zwar an den Prinzipien, die das Bauhaus programmatisch vertrat und auf beispiellose Weise international zum Maßstab ernannte. Sie umfasst jedoch nur zu rund 15 % Objekte, die in Weimar oder Dessau entstanden sind. Sie vereint vielmehr überwiegend Gebrauchs- und Designobjekte aus dem Zeitraum vom Beginn der Industrialisierung bis zur Gegenwart. Die Kriterien des Sammlers bei seiner Auswahl richten sich nach der ornamentfreien Funktion, der geometrischen Formgebung und nach der handwerklich-technischen Solidität, nach Qualität der Form und Originalität des Entwurfs. So entstand eine Sammlung, die, obgleich sie mehr als zwei Jahrhunderte umspannt, eine überzeugende Geschlossenheit aufweist, wobei sowohl Modelle führender Entwerfer als auch anonyme Erzeugnisse aufgenommen wurden.
Von Thomas Föhl