Kosmos Weimar · Glossar
Ein Fest für alle Sinne
Besucher der Stadtkirche St. Peter und Paul (Herderkirche), die nach den bekannten Motiven des Cranach-Altars suchen, werden in der Karwoche vom 29. März bis 4. April 2015 einen sicherlich ungewohnten Anblick erleben: die Flügel des 1555 fertig gestellten Altars sind geschlossen.
Im Gottesdienst am Palmsonntag, den 29. März, werden die Flügel an einer dafür vorgesehenen Stelle nach Innen geklappt und erst während des Gottesdienstes zur Osternacht nach dem Evangelium von der Auferstehung Jesu wieder feierlich geöffnet. Während der Karwoche sind die Rückseiten der Flügel des Altarretabels mit den Bildern von Jesu Taufe und seiner Himmelfahrt zu sehen.
Das Schließen der Altarflügel liegt in der Passionszeit begründet.
Vermutlich besteht dabei ein Zusammenhang zu der im Mittelalter aufgekommenen Tradition, Altäre, Kreuze oder Bilder mit sogenannten Fasten- bzw. Hungertüchern zu verhängen. Auch Hungertücher waren und sind durchaus mit Motiven aus Jesu Leben oder mit Szenen seines Leidensweges verziert. Oft sind Flügelaltäre während der gesamten Passionszeit verschlossen oder besonders prächtige Altarbilder mit Fastentüchern verhängt. In manchen Kirchen wird dies jedoch auf die Karwoche oder die beiden letzten Wochen der Passionszeit reduziert.
Dass die Zeit vor Ostern ab Aschermittwoch eine Fastenzeit ist, wissen heute wieder viele.
Es geht dabei religiös eigentlich nicht ums Abnehmen an Gewicht, sondern um Konzentration auf das Wesentliche, um Besinnung und Auseinandersetzung mit dem Leiden und Sterben Jesu, um eine Form von persönlicher Anteilnahme, die den Sinn dieses Geschehens erschließen hilft.
Da ist »Fasten« eine ganzheitliche Angelegenheit für alle Sinne.
Der Geschmacksinn ist beteiligt, das Gehör – die Fastenzeit und insbesondere die Karwoche ist eine stille Zeit – und sogar die Augen sollen mitfasten, denn das, was in der Leidensgeschichte geschieht, soll unser Inneres erreichen. Man könnte sagen, solches Fasten besteht in der Reduzierung von äußeren Reizen. Ein interessanter Gedanke und eine ernsthafte Anfrage an unsere reizüberflutete Zeit.
Es ist wirklich ein großer Moment, wenn dann in der dunklen Kirche zur Osternachtsfeier der Altar wieder geöffnet und in seiner Farbenpracht und Schönheit ganz neu wahrgenommen wird.
Auch das Auge kann nun wieder erfahren, was da Großes an Karfreitag und Ostern geschehen ist: Christus triumphiert als Sieger über das Böse und über den Tod. Wer es nicht miterlebt hat, der wird es kaum glauben. Denn im Zeitalter von Multimedia und Lichtshows schauen hunderte Menschen gebannt zu, wie zwei Helfer mit Hilfe von zwei Schnüren manuell die Flügel des Altares öffnen und staunen über das alte Bild, dass wieder neu zu sehen ist. Mit Blick auf den Auferstandenen singen sie das uralte Osterlied »Christ ist erstanden von der Marter alle, des soll´n wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein, Halleluja«.
Der Cranach-Altar ist eines der zentralen Exponate in der Ausstellung »Cranach in Weimar«, die vom 3. April bis zum 14. Juni 2015 im Schiller-Museum und in der Stadtkirche St. Peter und Paul in Weimar zu sehen ist.