Ein Leben, das um die Ecke biegt
Bernhard Fischer, Johann Friedrich Cotta, Verleger – Entrepreneur – Politiker, Wallstein Verlag, 49,90 €
»Die Literatur war nicht sein Schicksal«, sagt Bernhard Fischer, wenn er auf das Leben von Johann Friedrich Cotta blickt, jenes Cotta, den die meisten nur als Verleger kennen. Als den Klassik-Verleger, der Goethe phantastische Honorare zahlte, was für Cotta eine nebenbei bemerkt gute Investition war. Auf fast eintausend Seiten spürt Bernhard Fischer im Jahr des 250. Geburtstages von Cotta dem Leben des vielseitig Begabten und unternehmungslustigen Mannes nach.
Der 1764 geborene Johann Friedrich Cotta wollte zunächst Offizier werden. Gleichzeitig hatte er starke naturwissenschaftliche Interessen, die dann dem Unternehmer und Pionier der Dampfschifffahrt auf Bodensee und Rhein zugutekamen. »Die wahre Ruhe der Gemüther/Ist Tugend und Genügsamkeit« dichtete er als junger Mann, doch daraus wurde nichts. Der junge Schwabe studierte Jura in Tübingen. »Die Literatur war nicht sein Schicksal« – aber 1787 wurde sie es. Er übernimmt in diesem Jahr die Tübinger Verlagsbuchhandlung von seinem Vater. Er erweist sich als guter Sohn, indem er sich an einen Betrieb wagt, nach dem ihm der Sinn nicht stand und der außerdem noch heruntergewirtschaftet war. Er erweist sich als Genie, indem er aus einem Verlag am Abgrund eine Gipfelhütte macht,
Cottas Verlagsbuchhandlung wird lange Zeit der wichtigste deutsche Verlag sein.
Den Weg dahin hat Bernhard Fischer akribisch nachgezeichnet, man lernt einen Cotta kennen, der nicht nur im Verlagswesen neue Wege ging, sondern auch politische Fäden zog. Auf die Vielfalt der Cottaischen Interessen weist schon der Titel des Buches hin: Verleger, Entrepreneur – also Unternehmer – und Politiker.
Das umfangreiche Buch hält, was es verspricht. Wir lernen Cotta kennen und zugleich sein Zeitalter, das er verlegerisch verändert hat. Cotta führte absatzabhängige Honorare ein und wird zu einem der modernsten deutschen Verleger. Über seinen Landsmann Schiller lockte er Goethe in sein Haus. Schon das ist eine Leistung, denn Goethe war gegenüber Verlegern misstrauisch, er hatte einst geschrieben: »Die Buchhändler sind alle des Teufels, für sie muss es eine eigene Hölle geben.«
Cottas Haus ist letztendlich ein Paradies für ihn geworden, wenn man nur an die Honorare denkt, vor allem an jene für seine Ausgabe letzter Hand. Das hat Goethe auch dreißig Jahre in Cottas Haus gehalten, auf das Wort seines Verlegers konnte Goethe sich verlassen, über dessen Honorare konnte er sich freuen. Durch die Namen Goethe und Schiller waren plötzlich auch viele andere Autoren interessiert, wer auf sich hielt, wollte von Cotta verlegt werden. Cotta ist nun nicht mehr der Name eines Verlages, sondern ein Qualitätssiegel.
Das ist ein erstaunlicher Weg für einen Verlag, der früher Bücher über Pferdezucht herausgegeben hatte. Nun hatte Cotta die besten Pferde der deutschen Literatur in seinem Stall. Dazu zählen Namen wie Johann Heinrich Voss, der berühmte Homer-Übersetzer, auch Christoph Martin Wieland und Jean Paul sind fortan in den Cottaischen Verlagskatalogen zu finden, ebenso August von Kotzebue und Nikolaus Lenau. Friedrich Hölderlin wurde von Cotta verlegt, gleichfalls die Gebrüder Schlegel, Varnhagen von Ense, Friedrich de la Motte Fouqué, Ludwig Uhland und Justinus Kerner.
»Es ist das Who-is-Who der deutschen Klassik und Romantik«
»Es ist«, so Bernhard Fischer, »das Who-is-Who der deutschen Klassik und Romantik«. So wurde Cotta zum Klassikerverlag schlechthin. Man fragt sich beim Lesen, warum Cotta, als er den Verlag übernahm, nicht naturwissenschaftliche Werke herausgegeben hat. Die Verbindung seiner ursprünglichen Neigungen mit dem Erfüllen der Sohnespflicht wäre ja möglich gewesen. Wer so fragt, hat nicht mit Cottas unternehmerischem Gespür gerechnet. Das ist so eine der erstaunlichen Stellen in dieser Biographie, wenn Bernhard Fischer uns miterleben lässt, wie Cottas Leben um die Ecke biegt, indem er nicht das tut, was der Außenstehende für »logisch« hält. Das macht die Person Cotta auch so interessant. Warum Cotta sich gegen naturwissenschaftliche Bücher entschied, lag daran, dass man damit nicht so viel und so schnell Geld verdienen konnte. Kleine Auflagen für wenige Leser. Bei Belletristik ist das umgekehrt. Diese Marktlage nutzte Cotta geschickt aus, indem er die Klassiker auch in sogenannten »wohlfeilen« Ausgaben herausbrachte. Durch seine Volksausgaben gab es, und das war neu, viel Klassik für wenig Geld. Damit wurden Klassiker-Ausgaben nicht nur preiswerter, die Werke wurden auch populärer. Goethe und Schiller in Originalausgaben für alle, das ist eines jener Verdienste, die man Cotta nicht nehmen kann.
Über andere ist die Zeit hinweggegangen, aber nicht über alle. Bernhard Fischer lässt uns miterleben, dass Cotta ein großer Anreger war, er hat Entwicklungen initiiert, deren Fernwirkungen noch bis heute spürbar sind. Schlagworte sind dabei: industrielle Revolution, Nationalliteratur und öffentliche Meinung. Cotta war einer der Ersten, der begriffen hatte, dass die Öffentlichkeit ein guter Platz ist, um Meinungen auszutauschen. So stand Johann Friedrich Cotta am Anfang von Entwicklungen, die bis in unsere Tage Bedeutung haben, die aber niemand mehr mit ihm in Verbindung bringt. Es ist ein Verdienst Bernhard Fischers, daran in seinem Buch zu erinnern. Dazu zählen neben Ideen auch ganz praktische Dinge, die Cotta in seiner Zeit propagiert und musterhaft vorgeführt hat: rationeller Landbau auf seinen Gütern, das Maschinenwesen in seinen Fabriken und bei seiner Dampfschifffahrt. Nicht ohne ein gewisses Erstaunen nimmt man zur Kenntnis, dass Cotta auch ein Pionier der industriellen Revolution gewesen ist. Dazu gehört beispielsweise das Erscheinen eines polytechnischen Journals in seinem Verlag, das lange Zeit die führende Technikzeitschrift ihrer Zeit gewesen ist. Das erfolgreiche Bemühen, Gedanken auch in die Tat umzusetzen, unterscheidet diese große Persönlichkeit von Philosophen und Gesellschaftstheoretikern.
Aber auch die Aktualität, die Zeitgeschichte, hat Cottas Verlag vorangetrieben. Die Ereignisse der Französischen Revolution ab 1792 hatten das Nachrichtenbedürfnis der Leser geweckt, Zeitungen waren gefragt. Dieses Bedürfnis bediente Cotta, und das brachte den Verlag explosionsartig voran.
Es ist Bernhard Fischer hoch anzurechnen, dass er den ganzen Cotta für uns wiederentdeckt hat. Nicht immer mit leichter Hand geschrieben, aber mit überwältigender Detailkenntnis, erzählt Bernhard Fischer das faszinierende Leben Johann Friedrich Cottas, und eben nicht nur das des Verlegers.
Das Buch »Johann Friedrich Cotta, Verleger – Entrepreneur – Politiker« von Bernhard Fischer ist 2014 im Wallstein Verlag erschienen.