Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik
Geheimratsecken: Facebook? Goethe gefällt das
Er ist wieder da. Johann Wolfgang von Goethe – Was er über angebissene Äpfel und das Internet zu sagen hat …
Langsam wird mir mein Aufenthalt hier verdrießlich. Die Großherzogin drängte mich, meine Räumlichkeiten nur des Nachts zu nutzen und dafür tagsüber auf den durchgesessenen Polstern meiner alten Reisekutsche in der Remise zu schlafen.
»Zu viele Leute hier im Haus, du darfst nicht erwischt werden«, sagte sie, ohne meinem Erstaunen über die ungeladenen Besucher Aufmerksamkeit zu schenken. In meinem Haus scheint eine Gastflut zu herrschen wie in einem Kurbad! Wer hat die Fremden eingeladen, es sich in meinen Gemächern bequem zu machen? Und wo waren meine wahren Freunde, wo blieben Eckermann und Zelter?
Sie versprach, mir bei der Kontaktaufnahme behilflich zu sein. Am nächsten Abend kroch sie zu mir in die Kutsche und zeigte mir eine hell strahlende Tafel, die mit Lichttinte beschrieben zu sein schien.
»Hier, damit kannst du dir nachts die Zeit vertreiben«.
Mit flinken Gesten huschten ihre Finger über die Oberfläche des Geräts und zauberten immer wieder neue ephemere Erscheinungen hervor.
»Was ist das für ein Zauberspiegel?« fragte ich – nicht ohne die Hoffnung, mithilfe des Gerätes die widersinnige Irrlehre des Engländers Newton endgültig widerlegen zu können.
»Komm jetzt, du hast noch nie ein iPhone gesehen?« fragte sie verwundert.
Ich schüttelte verärgert den Kopf, bis ich auf der Rückseite den Schattenriss eine angebissenen Apfels gewahrte. Also doch Newton! Oder kam das aus Schillers Erbe? Schließlich hatte der Freund eine Vorliebe für Äpfel, die er gerne in seinen Schubladen verfaulen ließ.
Sie lachte schallend, was mir ziemlich unziemlich für eine Majestät schien.
»Pass auf, ich zeige dir, wie du deine Freunde auf Facebook finden kannst.«
»Facebook?« fragte ich verunsichert Was steckte dahinter? Ein Katalog mit Porträts bedeutender Leute am Hof?
»Quatsch, du kannst dich auf Facebook mit deinen Freunden verbinden und Lustiges mit ihnen teilen. Zum Beispiel Tiervideos«. Dann zeigte sie mir einen Hund, der immerfort im Kreis lief und seinen eigenen Schwanz jagte.
»Das soll des Pudels Kern sein?« fragte ich misstrauisch. Mit was für idiotischem Tand die Leute doch ihre Zeit vertrödelten.
Sie ignorierte meine Bemerkung und fuhr fort, mit dem Finger über die Tafel zu wischen.
»Schau, hier kannst du deinen Freunden mitteilen, was du gerade tust«.
Die Sache war wohl doch nicht ganz so dumm. Ich hatte mir schon öfter Gedanken über Freundschaft gemacht. Dass das sicherste Mittel, ein freundschaftliches Verhältnis zu hegen und zu erhalten, war darin zu finden, dass man sich wechselweise mitteile, was man tut.
»Denn die Menschen treffen viel mehr zusammen in dem, was sie tun, als in dem, was sie denken« belehrte ich Maria.
Ich entwand die Tafel ihren Händen und wischte über die Lichtpunkte. Hätt ich’s früher gekannt, ich hätte Mephistopheles so ein Werkzeug an die Hand gegeben. Was war eine Feder dagegen, hier schrieb man wie mit tausend Griffeln! Wie Hexenwerk sprangen die Erscheinungen hin und her, Lettern erschienen aus dem Nichts und verschwanden wieder.
Ich tupfte so lange hier und da, bis ich endlich den wackeren Eckermann fand.
»Er hat eine Bücherstube in der Markstrasse in Weimar eröffnet!« rief ich freudig. »Und er hat 126 Freunde, denen das gefällt«. Offensichtlich wußte Eckermann inzwischen besser mit seinem Geld, aber auch mit Freundschaften umzugehen.
»Ich will ihn gleich besuchen« rief ich und sprang auf. Aber Maria drückte mich zurück in die Kutsche.
»Daraus wird nichts. Der Laden ist nachts geschlossen. Aber du kannst ihm auf Facebook eine Nachricht schicken«.
»Nun gut,« seufzte ich, »schließlich kommt es nicht darauf an, dass Freunde zusammenkommen, sondern darauf, dass sie übereinstimmen.«
Dann tupfte ich in großen Lettern »GOETHE«. Das Ergebnis war erhebend. Bei aller mir völlig zurecht nachgesagten Bescheidenheit war mir immer bewusst, dass mein Naturell den Menschen gefällig war. Aber selbst ich hatte nicht darauf gerechnet, im Laufe meines langen Lebens 282.000 Freunde gemacht zu haben.
»Schreib ihnen was«, stachelte mich Maria an.
»Was soll ich ihnen schreiben?« gab ich zurück, »die Muse schweigt«.
»Dann mach halt ein Selfie«.
Ehe ich mich versah, hatte sie mir das Tablet aus der Hand genommen, sich neben mich in die Polster gedrückt und es auf Armeslänge vor unsere Nasen gehalten. Dann blitzte es kurz und unsere Gesichter waren auf das magische Gerät übertragen worden.
Ich muss gestehen, dass ich für mein Alter nicht schlecht aussehe, und natürlich vergass ich nicht, meiner Hoheit Komplimente zu machen.
»Tja, wenn das so ist, kannst du hier ›Gefällt mir‹ klicken«, kicherte sie. »Und bitte nenn mich Maria, wir sind doch jetzt Freunde«.