Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik
Geheimratsecken: Goethe und Lucas Cranach der Schnellste
Er ist wieder da. Johann Wolfgang von Goethe – Was er über Cranach zu sagen hat …
Gestern, um kurz nach Mitternacht, schlich ich mich aus dem Haus. Mein Gefängnis in der Kutsche wird mir fad, also beschloss ich, der Beengtheit meines Quartiers zu entfliehen und mich auf einen Spaziergang zu machen. Maria war bei mir, die treue Seele weicht mir kaum von der Seite.
Sie erzählte mir etwas über Kraniche, die hier zurzeit ausgestellt werden. Ich wusste zwar, dass ihre Majestät eine ausgesprochene Naturfreundin war. Aber solch groß-elegante Zugvögel in einem Zwinger zu halten und auszustellen, schien selbst mir, dem doch sonst jede Gefühlsduselei der jungen Romantiker abgeht, ein Unrecht gegenüber der Kreatur zu sein.
Sie schien mich nicht recht zu verstehen. »Lucas Kranich« wiederholte sie mehrmals in ihrem erstaunlich starken slawischen Akzent. Ich hatte keine Ahnung, von welchem Lucas sie sprach. Die einzigen mir bekannten Kraniche waren die des Ibykus, denen der selige Schiller eine Ballade gewidmet hatte. In freudiger Erinnerung an den toten Freund hob ich an und deklamierte seine Verse:
Und finster plötzlich wird der Himmel,
Und über dem Theater hin,
Sieht man in schwärzlichtem Gewimmel,
Ein Kranichheer vorüberziehn.
Ich war wohl etwas laut. Eine Gruppe Reisender hatte uns bereits bemerkt und blickte verwirrt in Richtung des nächtlichen Himmels. Zum Glück waren sie betrunken. Maria legte mir schnell den Finger auf die Lippen, zog mich in eine Seitengasse und führte mich wie einen Blinden an der Hand in Richtung der Stadtkirche Sankt Peter und Paul.
Trotzdem ich unterwegs den Himmel weiter nach Kranichen absuchte, entging mir übrigens nicht die erstaunliche Anzahl italienischer Wirtschaften mit Namen wie »Versilia« und »Da Antonio«, die mich an meine schönen Jahre in Rom erinnerten. Die Stadt hatte sich verändert, seit ich das letzte Mal durch ihre Straßen schritt.
Obwohl die Stunde weit nach Mitternacht geschlagen hatte, war die Tür der Stadtkirche nicht verschlossen. Maria zerrte mich förmlich vor den Altar und deutete, wie mir schien, leicht genervt auf den Altar, während sie selbst nun beinah schrie:
»Cranach, ich sage dir: Lucas Cranach! Ausstellung in Schillermuseum«
»Ich sagte ja: Freund Schiller, die Ballade«, gab ich kleinlaut zurück.
Dann fiel es mir wie Schuppen von den alten Augen. Wir standen vor dem großartigen Altarbilde, das der altdeutsche Meister 1553 hier in Weimar gefertigt und auf dem er sich gar selbst neben Martin Luther gemalt hatte. Maria warf mir einen spöttischen Blick zu.
»Alter Angeber, sag nicht, den hast du auch gekannt. So alt bist du nicht.«
Obwohl mich ihre Anspielung auf mein Alter ärgerte, belehrte ich Maria geduldig:
»Ich habe ihn nicht gekannt, aber seine Bekanntheit hat er mir zu verdanken.«
Schließlich hatte ich viele seiner Druckblätter gesammelt und dahin gewirkt, dass Publikationen über seine Werke erschienen. Mich beeindruckte die natürliche Ausdruckskraft, mit der dieser Meister die Heiligen im Kampf mit sich und ihrem Schicksal darstellte. Mag sein, manches grenzte an Karikatur. Aber wie sich der heilige Christoph, den Heiland im Nacken, ins Gebüsch am Ufer krallte – das war echt und neu! Anders als alles, was diese Romantiker, diese jungen Malerfürstchen von heute, mit ihrer Altdeutschelei an künstlerischem Unvermögen aufgebracht haben.
Während ich mich über die Romantiker in Rage redete, stand Maria still vor dem Altar. Als ich ihre Schulter ergriff, spürte ich, dass sie Gänsehaut hatte. Sie starrte auf das ungeheuerliche Kreuzigungsbild: aus der Wunde an der Brust des Heilands spritzte ein Blutstrahl direkt auf den Kopf des alten Cranach, der links neben Luther zu Füßen des Kreuzes stand.
»Die italienischen Maler, Kinder des Licht, haben immer mit Licht gesegnet«, erklärte ich, selbst ergriffen von der barbarischen Vitalität des Altars, »aber wir Deutschen segnen mit Blut«.
»Das ist doch scheußlich«, seufzte Maria. »Und Blut lässt sich so schlecht wegputzen.«
Da ich sie lieb gewonnen hatte, überging ich ihre plumpe Bemerkung und erkundete den Rest des Kirchenraums. Verwundert entdeckte ich an der Nordwand des Chores den Grabstein des Malers, der doch auf dem Jakobshof begraben lag. Es musste sich um eine Nachbildung handeln, und dazu eine eilig hergestellte.
Zwar war sein Konterfei vorzüglich getroffen, aber bei der Inschrift hatte offensichtlich ein betrunkener Steinmetz gepfuscht.
»PICTOR CELERRIMUS« las ich kopfschüttelnd vor. Als Maria mich fragend ansah, übersetzte ich aus dem Lateinischen. »Der schnellste Maler«…Als ob es beim Malen auf Schnelligkeit ankäme. »Sie haben zwei Buchstaben vergessen«, rief ich empört. »Es hätte ‘CELEBERRIMUS’ heißen müssen, der Berühmteste!«
Nun gut, Cranach mochte ein Lutherbild nach dem anderen gemalt haben. Warum nicht? Es ist nur recht, wenn ein Künstler sich durch Geschäftstüchtigkeit unabhängig von den Launen eines einzelnen Mäzens hält. Aber mir graute vor dem Gedanken, dass mir nach meinem Tode dereinst ein gleiches Schicksal widerfahren könnte.
Noch auf dem Rückweg zur Kutsche beschloss ich, umgehend ein neues Testament aufzusetzen, in dem ich den letzten Stein meines großen Werkes festlegen würde, meine Grabinschrift.
»Goethe – der schnellste Dichter«? Nicht über meine Leiche!
Es tut mir leid,aber es nervt,auch wenn es originell sein will,ist es höchstens ,um bei der Nachsituation zu bleiben ermüdend.
Er hätte einfach schauen sollen und dann schreiben,was er geschaut hat.
Da wäre vielleicht ein Hauch Vollkommenheit zu spüren gewesen,so bleibt das Gähnen über gewollte Originalität.
Statt Danke weitermachen ,kann ich darum nur sagenDanke Aufhören!
Danke ! Aufhören !