Auf der Schaubühne der Klassik Stiftung Weimar im Liebhabertheater Schloss Kochberg ist in diesem Jahr Goethes Lieblings-opera-buffa „Die Theatralischen Abentheuer“ von Domenico Cimarosa zu sehen. Foto: Maik Schuck
Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik
Goethes Lieblings-opera-buffa auf Schloss Kochberg
Als Souvenir der besonderen Art brachte Goethe von seiner italienischen Reise eine Oper mit nach Weimar. Er schuf eine eigene Fassung, die bald erfolgreich auf vielen deutschen Bühnen gespielt wurde. Das Liebhabertheater Schloss Kochberg zeigt nun “Die Theatralischen Abentheuer“ in einer eigenen aufwendig nachgebildeten Bearbeitung.
Von Silke Gablenz-Kolakovic
Das Liebhabertheater Schloss Kochberg widmet sich in diesem Sommer dem Thema »Theater!« und reiht sich damit in die Jahresthemen „Welt übersetzen“ des Freistaats Thüringen und „Sprache“ der Klassik Stiftung Weimar ein. Eigens für diesen Kontext produziert die Schaubühne der Stiftung Goethes Lieblings-opera-buffa „Die Theatralischen Abentheuer“ von Domenico Cimarosa.

Innenansicht des Liebhabertheaters. Foto: Klassik Stiftung Weimar
Nach dem großen Erfolg des ersten gemeinsamen Projektes, der Haydn-Oper „Der Apotheker“ (Lo speziale), ist dies die zweite Koproduktion des Theaters und des renommierten Barockorchesters lautten compagney BERLIN. Diese Opernproduktion geht weit über die „Ausgrabung“ eines heute selten gespielten historischen Musiktheaterstückes hinaus, denn es geht dem Theater um eine Wiederbelebung von Goethes verschollener Bearbeitung von Cimarosas „L´impresario in angustie“. Das Liebhabertheater Schloss Kochberg – Theater an der Klassik Stiftung Weimar präsentiert nun eine eigene Fassung der Oper, ließ dafür eine Neuübersetzung des Librettos von Giuseppe Maria Diodati aus dem Italienischen anfertigen und fügte Arien aus Goethes Bearbeitung ein. Diese aufwendig nachgebildete und dadurch zugleich auch neu interpretierte Fassung kommt entsprechend der historischen Aufführungspraxis des späten 18. Jahrhunderts am authentischen Ort, im Theater aus der gleichen Epoche, auf die Bühne.

„Theatralische Abentheuer“ heißt die Neuinszenierung von Goethes Lieblings-opera-buffa, die im Liebhabertheater Schloss Kochberg aufgeführt wird. Foto: Maik Schuck
Es war ein Souvenir der ganz besonderen Art: Als Goethe 1788 von seiner italienischen Reise zurückkehrte, hatte er unter anderem eine Oper im Gepäck. Goethe muss seine helle Freude am selbstbezüglichen Satirestoff entdeckt haben, als er 1787 in Rom eine Aufführung von
„L´impresario in angustie“ besuchte. Intrigen, Liebesaffären, Erfolge und Misserfolge: Cimarosas bissige, gleichwohl lebensnahe Satire schickt einen Kapellmeister, drei Diven, einen Dichter und einen Theaterdirektor auf die Bühne und führt den Opernbetrieb als solchen vor. Auch Geldknappheit spielt eine Rolle. Ein Spiegeleffekt, so ganz nach Herzenslust und Poetenlist des Italien-Reisenden Johann Wolfgang von Goethe.

Im klassizistischen Privattheater auf Schloss Kochberg, etwa 30 Kilometer von Weimar entfernt, werden vor allem Werke des Barock, der Klassik und der Romantik aufgeführt. Foto: Klassik Stiftung Weimar
Wieder in Weimar, übersetzte er eigenhändig das Libretto des
„L´impresario“ von Giuseppe Maria Diodati und schuf als frisch gebackener Theaterdirektor eine eigene deutsche Fassung mit dem Titel „Die Theatralischen Abentheuer“, der er weitere Arien von verschiedenen Komponisten hinzufügte. Mit der Uraufführung am 24. Oktober 1791 am wenige Monate zuvor eröffneten Weimarer Hoftheater begann der Siegeszug dieser Oper durch die deutschen Bühnen.
Der Komponist Domenico Cimarosa
Domenico Cimarosa (1749-1801), ein höchst erfolgreicher Opernkomponist der Neapolitanischen Schule, hatte im Lauf seines Lebens bedeutende musikalische Posten in ganz Europa inne, darunter am Hof von St. Petersburg und am Hof von Kaiser Leopold II. in Wien. In Deutschland – und auch am Weimarer Hoftheater – gehörten seine Opern zum oft und gern gespielten Repertoire. Goethes Kulturimport „L’Impresario in angustie“, seine eigenen und weitere Bearbeitungen, feierten bis weit ins 19. Jahrhundert große Erfolge an deutschsprachigen Bühnen.
Die Botschaft ist zeitlos
Die „Theatralischen Abentheuer“ öffnen den Vorhang zu einem Blick hinter die Kulissen einer Opernproduktion und ihrer Beteiligten. Ein reizvoller Spiegelungseffekt entsteht, allerdings auf der Hauptbühne. Dort agieren ein Direktor, ein Dichter und Librettist, ein Kapellmeister und Komponist sowie drei Primadonnen im Streit um Liebe, Ruhm und Karriere. Während alle bestrebt sind, möglichst viel Vorteil aus dem Unternehmen zu schlagen, wird an der Oper geprobt, werden Allianzen geschmiedet und kräftig intrigiert. Die Dinge spitzen sich zu, bis am Ende der von allen bedrängte Direktor auch noch mit der Kasse durchbrennt. Die Botschaft der Oper ist zeitlos: Wo viele Egoismen zusammenkommen, wird ein Projekt verhindert statt befördert. Auch im 18. Jahrhundert gab es natürlich schon „MeToo“, wenn auch nicht unter der heutigen Bezeichnung. Und die Kultur litt schon damals unter Geldmangel.

Der einstige Landsitz von Goethes Freundin Charlotte von Stein in Kochberg mit Schloss, Museum, Theater und herrlichem Landschaftspark. Foto: Klassik Stiftung Weimar
In Weimar blieb es jedoch nicht bei der ersten Fassung von 1791. Vielmehr gab Goethes Import- und Übersetzungswerk einen Anstoß für immer weitere Ergänzungen und Überarbeitungen. Im 18. Jahrhundert ging man sehr flexibel mit Opern und anderen musikalischen Werken um. So wurden häufig Fassungen bearbeitet, eigene erstellt, Arien eingefügt oder gestrichen. Man musste dabei natürlich auch an das am Haus vorhandene künstlerische Personal denken oder die Kapellmeister fügten Arien für ihre Stars ein.
Keine der Weimarer Fassungen ist vollständig erhalten
Goethes Dramaturg Christian August Vulpius erstellte unter Hinzufügung von Mozarts „Der Schauspieldirektor“ und weiteren Arien eine zweite Weimarer Version, die am 14.10.1797 ihre Uraufführung erlebte. 1799 bearbeitete Vulpius die Oper noch einmal. Ob diese dritte Version aufgeführt wurde, ist ungewiss. Keine der Weimarer Fassungen dieser Oper ist vollständig erhalten. Die Dialoge sind nicht mehr verfügbar, sodass der Verlauf der Handlung nur aus der Arienfolge erschlossen werden kann. 1905 versuchte sich Max Morris mithilfe der Partitur an einer Rekonstruktion des Librettos von Goethes Erst-Bearbeitung („Goethe als Bearbeiter von italienischen Operntexten, in: Goethe-Jahrbuch 26, 1905, S. 3-50). Seit 1950 ist die Partitur verschollen.
Um die neue Opernfassung so nah wie möglich an Goethes Fassung von 1791 anzulehnen, wirken im Produktionsteam Spezialist*innen für historische Aufführungspraxis auf den Gebieten Musik, Oper und Bühnenkunst zusammen: der Regisseur und Musikwissenschaftler Nils Niemann, einer der wenigen Spezialisten für die historische Bühnenkunst, der gefragte Dirigent und musikalische Leiter der lautten compageny BERLIN, Wolfgang Katschner und dessen Assistent Daniel Trumbull begaben sich zusammen mit der Theaterleiterin auf die Suche nach Spuren der Weimarer Fassungen.

Für die aktuelle Opern-Aufführung nahm das Team Cimarosas und Diodatis ursprüngliche Fassung von 1786, die Goethe in Rom so begeisterte, als Grundlage. Foto: Maik Schuck
Im Thüringischen Landesmusikarchiv in Weimar fand sich handschriftliches Aufführungsmaterial, das für das Theater digitalisiert wurde: ein Souffleurbuch und sämtliche Orchesterstimmen einer Aufführung am Weimarer Hoftheater von 1791. Auffällig ist, dass das Material keine Rezitative enthält, jedoch auf „Dialog“ zwischen den Gesangsnummern verweist. Ein Hinweis darauf, dass das Werk als Singspiel mit gesprochenen Dialogen aufgeführt wurde. Weitere Recherchen in der Literatur und im Internet führten u.a. zur Universitätsbibliothek Augsburg, der Staats- und Universitätsbibliothek Dresden, der Staatsbibliothek zu Berlin und der Bibliothèque National de France und brachten verschiedene Fassungen des „L´impresario“ zutage. Zusätzlich eingesetzte Arien wurden aufgefunden. Die Augsburger Version der Oper folgt weitgehend der Bearbeitung durch Vulpius. In Dresden fand sich eine Variante des Dresdner Hoftheaters von 1794. Eine Pariser Fassung des „L´impresario“ – nicht genau datierbar, aber auf jeden Fall von vor 1791 – wurde als Singspiel aufgeführt. Für die Entwicklung der nun entstandenen Fassung der Oper von 2022 wurden Teile der Partituren und viele der aufgefundenen Arien digitalisiert.
Eine gepfefferte Opernsatire
Aus den nun zusammengetragenen Dokumenten lässt sich erschließen, dass Goethe sich bei seiner 1791er Bearbeitung von der in Paris erfolgreichen französischen Singspielfassung inspirieren ließ. Offensichtlich kannte er dieses Singspiel, da er in einem Schreiben französische Namen der Rollen aus dieser Pariser Oper erwähnt, die er dann aber nicht übernahm. Wie aus dem Material der Weimarer Aufführung von 1791 hervorgeht, setzte auch Goethe offensichtlich Dialoge an die Stelle der bei Cimarosa vorgefundenen Rezitative. In verschiedenen Quellen stieß das Team auf von verschiedensten Komponisten vertonte Arien, die Goethe in seine Weimarer „Theatralischen Abentheuer“ einfügte.
Aufgrund der nicht überlieferten Dialogtexte lassen sich aber weder die zweiaktige Fassung von Goethe noch die Fassung von Vulpius rekonstruieren. Das betrifft vor allem den zweiten Akt, der – wie man an der Arienabfolge ablesen kann – stark von Cimarosa beziehungsweise seinem Librettisten Diodati abweicht. Die Folge von Arien zeigt, dass die köstliche, gepfefferte Opernsatire offenbar eher zu einer romantischen Liebesgeschichte am Theater wurde. Vielleicht gefiel dem Theaterdirektor Goethe 1791 die Darstellung eines von allen Seiten bedrängten Direktors, der am Schluss auch noch mit der Kasse durchbrennt, nicht mehr so gut wie dem in einer „Künstler-WG“ in Rom lebenden Italienreisenden von 1787?
In der Praxis des 18. Jahrhunderts
Für die nun zur Aufführung kommende Oper nahm das Team Cimarosas und Diodatis ursprüngliche Fassung von 1786, die Goethe in Rom so begeisterte, als Grundlage: Eine dramaturgisch stringente, köstliche Satire auf den Opernbetrieb mit wunderschöner Musik. Babette Hesse, Spezialistin für diese Art von Opern aus dem 18. Jahrhundert, hat sie aus dem Italienischen neu übersetzt. An Stellen, die passend erscheinen, wurden Goethes von verschiedenen Komponisten vertonte Einlage-Arien aus der Fassung von 1791 eingefügt und, wo es für den Lauf der Handlung erforderlich war, durch kurze, hinleitende Rezitative ergänzt. So z. B. die Arie des Dichters Orlando „Sanfte Glut wallt im Blut“, die Goethe aus der Oper „L´arbore di Diana“ (Der Baum der Diana) von Vicente Maritin y Soler entnahm. (Diese Oper wurde später auch am Weimarer Hoftheater aufgeführt.) Aus der gleichen Oper stammt die Arie „Schön wie die Morgenröte“, mit der der Kapellmeister Polidoro eine der prima donnen besingt. Hier hat Goethe selbst mit viel Sinn für die Musik den Text des Librettisten Lorenzo da Ponte übersetzt. An anderer Stelle baute er ein eigenes Gedicht in die Oper ein, das er vom Weimarer Hofkapellmeister Johann Friedrich Kranz vertonen ließ. Daraus wurde die Arie „An dem schönsten Frühlingsmorgen“, welche die prima donna Merlina in einer Szene probt.
Ganz im Goethe´schen Sinn hat sich auch das Produktionsteam erlaubt, der Praxis des 18. Jahrhunderts folgend, Arien einzuschieben. Dabei ging es um Nummern, die das Theaterleben schildern.
Der Direktor Lorenzo singt:
Mein Libretto ist herrlich,
ich will mich nicht brüsten,
doch wenn es durchfiel,
dann liegt’s am Komponisten;
und der meint, ihm sei fraglos
ein Meisterwerk gelungen;
nur werde leider viel zu schlecht gesungen.
Und ohne dass ihm je gelingt, zu durchschaun,
aus welchem kühlen Grunde,
geht der arme Direktor sacht vor die Hunde
Diese Arie stammt aus Baldassare Galuppis Oper „L´arcadia in Brenta“ mit einem Libretto von Carlo Goldoni.
Das Finale der nun fertiggestellten Fassung des Liebhabertheaters und der lautten compagney greift eine Variation des sächsischen Hofkapellmeisters und Komponisten Friedrich Christoph Gestewitz auf. Den Text hatte Gestewitz aus der comedia per musica „L´opera seria“ von Florian Leopold Gassmann mit einem Libretto von Ranieri de´ Calzabigi übernommen, die 1769 am Wiener Burgtheater uraufgeführt wurde.
Der Direktor hat den Dienst quittiert, das übrig gebliebene Personal singt:
Wir geloben hoch und heilig
bei den Göttern, die wir kennen,
wie die Dichter sie uns nennen
in der Verse Glorienschein,
dass wir einzig danach trachten,
renitent und unverfroren
alle Herren Direktoren
ihrem Untergang zu weih’n, im Verein
ihrem Untergang zu weih’n.
Man sieht: auch eine solche Opernproduktion ist ein „Theatralisches Abentheuer“!
Und wie sagt der Dichter an einer Stelle der Oper: „Kindchen, die Welt ist ein Theater.“
Die Verfasserin des Textes, Silke Gablenz-Kolakovic, ist Künstlerische Leiterin des Liebhabertheater Schloss Kochberg, dem Theater an der Klassik Stiftung Weimar.
Auch interessant:
„Über allen Gipfeln ist Ruh …“ – Goethes Gedicht wird 240 Jahre alt
Wo die Freundschaft Früchte trägt
Schloss, Park und Liebhabertheater Kochberg