Heike Hanada über Monument und Moderne
Der Deutsche Pavillon der Werkbund Ausstellung 2014 in Venedig
»Wenn von der Entwicklung der modernen Form gesprochen wird, so geschieht es aus der Sehnsucht nach einem eigenen Formausdruck unserer Zeit. Unsere Zeit hat die Einheitlichkeit in ihrer Formerscheinung noch nicht gewonnen, die die Bedingung und das Zeugnis zugleich für einen Stil ist.«¹
Peter Behrens, 1914
Peter Behrens stellte auf der großen Werkbundausstellung 1914 sein Werk in einem eigens dafür konzipierten Raum aus. In der Haupthalle hingen über Aughöhe überdimensionale Photographien der Deutschen Botschaft in Petersburg von 1912 und vis á vis die Ansicht der AEG Hochspannungsfabrik Wedding/Berlin von 1910. Das gleichwertige Gegenüberstellen profaner und repräsentativer Architektur mit dem gleichen architektonischen Anspruch und die damit verbundene Suche nach einem neuen Stil der Zeit entspricht den Überlegungen, die Behrens bereits 1908 in seinem Vortrag »Was ist monumentale Kunst« darlegte. »Die monumentale Kunst ist der höchste und eigentliche Ausdruck der Kultur einer Zeit.«, mit diesen Worten hob er das Wesen der Monumentalität aus dem Kunstverständnis einer Epoche heraus und begriff sie als zeitloses Phänomen. In seinem Vortrag argumentierte
Behrens, dass für die Erarbeitung eines neuen Stils nicht »irgendeine vorhandene oder benötigte materielle Größe« ausschlaggebend seien, sondern die »Intensität« eines einmütigen »Empfindens«.
1913 thematisierte der Werkbund »Die Kunst in Handel und Industrie«. Photographien schroffer massiver anonymer Getreidesilos aus Beton in Nord- und Südamerika bildeten den Auftakt für die Reflexion moderner Industriebaukunst. Bauten chemischer Fabriken, Gaswerke, Elektrizitätswerke, die AEG Turbinenhalle, Fagus-Werke, Webereien etc. vermittelten das Bild einer sich ändernden monumentalen Ästhetik, welche sich auch auf der
Werkbundausstellung 1914 beispielhaft zeigte.
»Gerade der völlig neue Charakter der Industriebauten muß die lebendige Phantasie des Künstlers reizen, denn keine überlieferte Form fällt ihr hemmend in die Zügel.«²
Walter Gropius, 1913
Walter Gropius beschrieb bereits 1911 im Folkwang Museum in seinem Vortrag »Monumentale Kunst und Industriebau« die Monumentalität als eine formbildende wuchtige Kraft. Er zitierte in seinem Essay »Die Entwicklung neuer Industriebaukunst« die »Majestät« amerikanischer Industriebauten, »welche sich in ihrer monumentalen Gewalt den Bauten des alten Ägypten nähern«. Auch er, ebenso wie Behrens, dementierte jedoch die reine
materielle Größe als Maßstab für ihre überzeugende Monumentalität. Vielmehr seien exakt geprägte Form, Klarheit und damit verbunden eine innere Selbstverständlichkeit Beweis für die Überlegenheit ihrer künstlerischen Form, welche in Europa 1914 noch kaum Entsprechung gefunden habe.
Gegen Ende des 20zigsten Jahrhunderts werden ehemalige Industrie- und Verkehrsgebäude zu Kunsttempeln. Harald Szeeman erinnerte im Jahr 2000 in seinem Vortrag »Ausstellungen Machen« in Weimar, wie viel mehr die Hallen von Tony Garnier für die Ausstellung zeitgenössischer Kunst geeignet seien als bürgerlich geprägte Kunsthallen und Museen. In Folge von PS 1/ New York wurden Kathedralen des Verkehrs und der Industrie (Hamburger Bahnhof Berlin, Deichtorhallen Hamburg, KW Berlin, Halle 14 Leipzig, Tate Modern …) im Sinne Szeemans zu Tempeln der Kunst. Der Rückbau des Palais de Tokyo in einen Rohbau 2002 vollzog einen nächsten radikalen Schritt in Richtung einer Reduktion auf das Notwendigste bei gleichzeitiger Hervorhebung und Überhöhung des Raumes. Die Hallen des neoklassizistischen Palais de Tokyo bleiben in Ihrer Erhabenheit jedoch unberührt von den radikalen architektonischen Eingriffen.
Unser Verhältnis zur Monumentalität und damit zu dem Begriff des Erhabenen ist heute gebrochen. Es scheint, dass die architektonische Überhöhung und der damit verbundene politische Missbrauch durch den Nationalsozialismus uns den offenen Zugang zur Monumentalität verwehrt hat. Nichts desto trotz war die klassische Moderne unbefangen in ihrem Umgang mit monumentalen Räumen. Le Corbusier, Gropius, Kahn, Terragni, Mies verhehlten nicht ihren direkten Bezug zur Erhabenheit der Antike. Die Fortführung dieser Baukultur in den Bauten der Industrie sind zu Beginn der Moderne fraglos Teil der Erneuerung in der Suche nach einem neuen Stil.
»Darstellung des gleichbleibenden, in sich Ruhenden, Hohen, Einfachen, vom Einzelreiz weit Absehenden«³
Friedrich Nietzsche, 1878
Heute liegt die Möglichkeit der Annahme monumentaler Raumstrukturen in einer Umkehrung der Werte. Das Monumentale liegt nicht in dem Moment räumlicher Größe allein. Es geht um die Entwicklung eines abstrakten Raumstiles, welcher den Ersatz des Erhabenen manifestiert. Die still gelegten Bauten der Industrie ermöglichen den Wert monumentaler Architektur anzuerkennen ohne diesen zu benennen. Die Installationen in der Eingangshalle der Tate Modern sind radikal monumental. Sie bedienen unsere Sehnsucht nach einem Gefühl der Erhabenheit, das mit dem Ende der klassischen Moderne in bewusste Vergessenheit geriet.
Der Entwurf für einen neuen Deutschen Pavillon thematisiert Monumentalität als ein modernes und zeitloses räumliches Phänomen, das sich in seiner Erhabenheit der Landschaft entgegenstellt und doch gerade in diesem Entgegenstellen Artefakt und Natur in Harmonie vereint.
Der deutsche, der französische und der britische Pavillon formieren heute einen Dreiklang bezüglich Präsenz, Materialität und architektonischer Sprache. Monumentalität und Ornament sind allen drei Gebäuden zu eigen, dem Deutschen Pavillon in bewusst übersteigerter Form. Diese Übersteigerung aufzugreifen und gleichzeitig in ein angemessenes Maß zu rücken ist Ziel des neuen Entwurfs. Der sich über die Lagune erhebende Hügel bildet
eine topografische Eigenschaft, die in Venedig außergewöhnlich ist. Die Rudimente der Backsteine des 1902 eingestürzten Campanile von San Marco liegen als Schutt am Rand der Giardini, verformt zu einem Artefakt: Das höchste Gebäude von Venedig wurde zum höchsten Topos der Lagune. Mit der vorgeschlagenen Aushöhlung des Hügels wird der venezianische Backstein des Campanile ausgegraben und wiederverwendet. Er verkleidet
alles Äußere des Pavillons und verwandelt béton brut in ein malerisch venezianisch anmutendes Ereignis. Der neue deutsche Pavillon findet in der Geschichte des Ortes der Giardini seine ihm eigene architektonische Präsenz und reflektiert die Frage nach Monumentalität und Landschaft, Monumentalität und Kunst und damit nach Monumentalität und Moderne.
Der Vortrag im Rahmen des Jubiläumsprogramms »15 Jahre Kolleg Friedrich Nietzsche«
Anlässlich seines 15-jährigen Jubiläums lädt das Kolleg Friedrich Nietzsche vom 21. bis 24. Oktober 2014 unter dem Titel »Ereignis und Spekulation – Philosophische Momente« zu einem umfassenden Programm mit Vorträgen und Podiumsdiskussionen und vielem mehr an Veranstaltungsorten in ganz Weimar ein. Ehemalige Fellows in residence und Freunde des Kollegs kommen erneut nach Weimar und setzen ihre hier begonnenen Gespräche fort.
Prof. Heike Hanada war 2009 Fellow in residence des Kollegs. Am Donnerstag, 23. Oktober 2014, um 15 Uhr spricht sie im Rahmen des Jubiläumsprogramms über »Monument und Moderne« in der ACC Galerie. Der Text »Monument und Moderne« entstand für die diesjährige Werkbund Ausstellung »this is modern« in Venedig im Rahmen des gemeinsamen Entwurfs von Jan Kleihues und Heike Hanada zum Deutschen Pavillon. Am 5. November 2014 eröffnet zum selben Thema Heike Hanadas Ausstellung »Monumente« in der Architektur Galerie Berlin.