Tipp · Kosmos Weimar
Carl Bernhards Reise nach
Nordamerika
Mit seiner Reise nach Nordamerika (1825/26) erfüllte sich Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar-Eisenach (1792–1862), der vielseitig begabte zweite Sohn von Großherzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach, einen Kindheitstraum. Der im niederländischen Militär dienende Prinz dokumentierte seine Unternehmung in einem umfangreichen Reisetagebuch.
Ursprünglich nur für den engsten Familienkreis bestimmt, wurde es 1828 auf Initiative Goethes in einer stark gekürzten Fassung durch den Jenaer Historiker Heinrich Luden publiziert. Die nun vorliegende, von Walter Hinderer und Alexander Rosenbaum herausgegebene Edition veröffentlicht Herzog Bernhards Reisetagebuch erstmals vollständig auf Grundlage der im Landesarchiv Thüringen – Hauptstaatsarchiv Weimar überlieferten Originalhandschrift.
Das Tagebuch stellt eine der perspektivenreichsten, anschaulichsten und ebenso genauen wie spannenden Darstellungen von Nordamerika in den ersten Dekaden des 19. Jahrhunderts dar. Der Reisende schildert mit wachen Augen und einem ausgewogenen Urteil das Alltagsleben in den kleineren und größeren Städten, analysiert mit Sympathie die Sitten und Gebräuche der neuen Welt, vermittelt differenzierte Einblicke in die amerikanische Gesellschaft dieser Zeit, in die Schulen und Universitäten, in die Bibliotheken und Museen.
Sachkundig und nicht ohne Erstaunen berichtet Bernhard von der ungewohnten Vielfalt der Religionen und Sekten, von den Fortschritten in der Architektur, in den Wissenschaften, in der Technik und der Industrie. Herzog Bernhards Reisetagebuch ist nicht nur für Historiker und Literatur- und Kulturwissenschaftler voller Entdeckungen, sondern für alle Leser, die an Vergangenheit und Gegenwart der Neuen Welt interessiert sind. Die folgenden Auszüge geben erste Einblicke.
Landung in Boston, 26. Juli 1825:
So näherten wir uns endlich Boston, dieser Wiege der Amerikanischen Freiheit. […] Es war früh 10 Uhr als ich meinen ersten Fuß in Amerika auf einem breiten Stück Granit an’s Land setzte. Mein Gefühl kann ich hier nicht beschreiben; ich habe nur 2 vorzüglich angenehme Erinnerungen in meinem Leben gehabt; die erste war, als ich 17 Jahr alt das Kreuz der Ehrenlegion erhielt, und die andere, als mein Sohn Wilhelm mir gebohren wurde. Meine Ankunft in den Vereinten Staaten, dem Lande, das zu sehen von Jugend an mein heißester Wunsch war, den ich endlich realisirt sah, wird meine dritte angenehme Erinnerung bleiben. Hätte ich gewußt daß ich in diesem Augenblick sterben müßte, ich wäre gern todt niedergefallen, weil ich mich endlich, trotz aller mir in den Weg getretenen Hinderniße, in Amerika sah.
Begegnung mit dem legendären Founding Father John Adams bei Boston, 3. August 1825:
Dieser würdige 90jährige Greis, einer der Unterzeichner der Unabhängigkeitsacte am 4ten Juli 1776, lebt 10 Meilen von hier auf seinem Landhaus in der Gemeinde Quincy, gepflegt von seiner Familie, und verehrt von der ganzen Nation die ihn wie einen gemeinschaftlichen Vater betrachtet. Ich fühlte mich tief gerührt als ich diesem ehrwürdigen Mitstifter der amerikanischen Unabhängigkeit vorgestellt wurde und er mir die Hand reichte. Er ist noch im völligen Besitz seiner Geisteskräfte, hat ein sehr gutes Gedächtniß, erinnert sich nicht allein der Dinge die vor langer Zeit vorgefallen sind, wie dieß der Fall bei andern alten Leuten ist, sondern weiß auch alles was vor Kurzem geschehen ist und noch geschieht. Seine Körperkräfte nehmen jedoch ab und vorzüglich fühlt er eine Schwäche in den Beinen. […] Mit unbeschreiblicher Rührung nahmen wir von diesem würdigen Greis Abschied, und wünschten uns Glück, diesem seiner irdischen Auflösung so nahen Veteran der heilsamsten Revolution die je gewesen war, noch vorgestellt worden zu seyn.
Besuch der Niagarafälle, 21. August 1825:
Kaum angekommen, eilten wir sogleich nach dem Waßerfall auf der amerikanischen Seite, deßen gewaltiges Getöse uns seine Nähe verrieth. Plötzlich standen wir am Abgrund und sahen links von uns die gewaltige Maße in eine Tiefe von 176 Fuß stürzen. Beschreiben läßt sich dieser Anblick nicht, so wie auch die Gefühle die sich meiner hier an diesem Platz, wohin ich mich seit meiner zartesten Kindheit wünschte, bei diesem größten Wunderwerk der Natur, bemeisterte. Die Felsen an beiden Seiten gehen hier schroff hinab, und man hat am Platz wo wir standen eine bedeckte hölzerne Treppe angebracht, auf der man sehr bequem bis nach dem untern Theil des Flußes gelangt. Diese Einrichtung ist neu und äußerst angenehm weil man früher auf einer gefährlichen, und für Damen sehr unbequemen Leiter herabsteigen mußte, und dabei vom feinen Regen, der von dem vom Waßerfall stäubenden Schaum entstand, durchnäßt wurde, wenn der Wind von dieser Seite herwehete.
Besuch eines in deutscher Sprache gehaltenen Gottesdienstes in New York, 2. Oktober 1825:
Es traf sich sonderbar daß als ich in die Kirche trat, ein altes Lied, vom Herzog Wilhelm von Sachsen-Weimar gedichtet, gesungen wurde. Mein in Gott ruhender Vorfahre hätte wohl nicht gedacht daß der unwürdigste seiner Nachkommen in der neuen Welt erst erfahren daß er geistliche Lieder gedichtet, und dieses Lied dort zuerst zu Gesicht bekommen würde. Wie man sich doch in der Welt noch treffen kann!
Ankunft in Baltimore, 26. Oktober 1825:
Ich bemerkte eine ungewöhnliche Anzahl Neger in den Straßen. Der Staat Maryland ist der erste südliche in dem die Sclaverei der Neger gesetzmäßig beibehalten worden ist, und von nun an werde ich nur in Staaten reisen in denen die Sclaverei herrscht. Es kömmt mir nicht zu mich über diesen delicaten Gegenstand pro oder contra zu äußern. Auf dieser Reise habe ich von Neuem die Erfahrung gemacht wie leicht es ist, irrige Urtheile über Gegenstände zu fällen die man nicht selbst gesehen und geprüft hat.
Besichtigung der Hauptstadt Washington, 2. November 1825:
Ich hatte mir keine Idee von Washington gemacht, fand aber was ich sah unter meiner Erwartung. Das Capitol […] steht auf einer Anhöhe und soll in die Mitte der Stadt zu stehen kommen; bis jetzt ist es nur von kleinen unansehnlichen Häusern und Feldern umgeben, auf denen kleine Häuser stehen, so daß die Gegend vom Capitol mich an die Weimarischen Krautländer erinnerte, wobei mir durch eine sonderbare Ideen-Aßociation der Galgen meiner lieben Vaterstadt einfiel. Von hier gehen mehrere Alleen aus; wir fuhren in die Pennsylvania-Avenue und kamen endlich an Häuser, die so weitläuftig stehen daß der Theil von der Stadt den ich bis jetzt gesehen, einem neu angelegten Badeort gleicht. Die Gegend ist übrigens recht schön, und man genießt mehrerer schönen Aussichten auf den breiten Potowmac. […] Der Plan nach welchem Washington angelegt werden soll ist coloßal und wird nie ausgeführt werden; nach ihm könnte es eine Bevölkerung von einer Million Menschen faßen, während es jetzt gegen 13000 nur enthalten soll und schwerlich mehr bekommen wird.
Aufenthalt in New Orleans, 22. März 1826:
Mittwoch den 22sten März indignirte ich mich früh über die niederträchtige Behandlung der Neger, wovon man übrigens fast täglich Beispiele sieht. In unserm boardinghouse ist eine junge, virginische Sclavin als Hausmädchen, eine reinliche, aufmerksame, stille und sehr ordentliche Person. Einer im Hause wohnender Spanier rief früh nach Waschwaßer; da es nicht gleich kam, ging er die Treppe hinunter, traf auf dieses arme Mädchen das gerade eine andere Beschäftigung hatte und schlug sie mit der Faust in’s Gesicht daß ihr das Blut an der Stirn herunterlief. Dieses unglückliche Geschöpf, durch diese unverdiente Mishandlung empört, setzte sich zu’r Wehr und packte den Spanier bei der Gurgel der um Hülfe schrie, die ihm aber niemand leisten wollte. Dieser Kerl packte seine Sachen zusammen und wollte das Haus verlaßen; als unsre Wirthin, Mrs Herries, dieses hörte, beging sie, um diesen elenden Spanier zufrieden zu stellen, die Infamie dem armen Mädchen 26 Hiebe mit dem Ochsenziemer geben zu laßen, und trieb die Grausamkeit so weit, den Geliebten des Mädchens, einem im Haus dienenden jungen Negersclaven zu zwingen, ihr diese Strafe zu geben.
Begegnung mit deutschen Auswanderern in New Lancaster, 13. Mai 1826:
Es gefällt ihnen gut hier im Lande, was ich gern glaube, und wenn meine Kinder mich nicht so mächtig an die Rückkehr nach dem rangsüchtigen Europa mahnten, möchte ich mich lieber unter diesen Biedermännern niederlaßen und versuchen ob ich nicht selbst das Land bebauen, und so ein nützlicherer Mensch werden könnte als ich es bis jetzt bin.
Letzte Tage in Philadelphia, 16. Juni 1826:
Zu meinem innigen und großen Bedauern hatte die Stunde geschlagen daß ich dieses glückliche Land, wo ich so viel gelernt und gesehen, und wo es mir so wohl gefallen hatte, verlaßen mußte um nach dem veralteten und morschen Europa zurückzukehren. Das Schicksal will es nun einmal so und nicht anders, und ohne Murren muß ich mich seinen Fügungen unterwerfen. […] Dabei habe ich die angenehme Überzeugung, das mir freiwillig selbst aufgelegte Pensum von Arbeit vollbracht zu haben, und mit gutem Gewißen zu den Meinigen zurückkehren zu können. Nach einer ziemlich genauen Berechnung finde ich daß ich seit meiner Landung in Boston eine Distanz von 7135 Meilen durchreiset habe. Das verlohnt sich doch der Mühe einer Erwähnung.
Rückkehr nach Weimar, 24. August 1826:
Mit den reinsten Dankgefühlen wende ich mich zu’m großen Baumeister der Welten um Ihm für den mir auf dieser langen Reise verliehenen Beistand zu danken. Vom geneigten Leser empfehle ich mich; bin ich so glücklich gewesen ihm einige Stunden, die er nicht beßer anzuwenden wußte, abzukürzen, so soll es mich freuen, so wie ich mich glücklich schätze wenn es mir gelungen wäre durch diese Mittheilungen manche irrige Ideen die über jenes herrliche und freie Land obwalteten, zu beseitigen. Mit des großen Franklin Spruch, der seit meiner Reise durch gewonnene Überzeugung mein Motto geworden ist, bitte ich schließen zu dürfen – er enthält zugleich mein Glaubensbekenntniß: Where liberty dwells, there is my country!
Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar-Eisenach: Das Tagebuch der Reise durch Nord-Amerika in den Jahren 1825 und 1826. Hrsg. von Walter Hinderer und Alexander Rosenbaum. Würzburg: Königshausen & Neumann 2017 (= Stiftung für Romantikforschung; Band LX), 78 Euro.