Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik · Goethe- und Schiller-Archiv
Kostbare Originale von Goethe, Schiller bis Pückler-Muskau in Weimar zu sehen
aus dem Goethe- und Schiller-Archiv
Die neue Ausstellung des Goethe- und Schiller-Archivs präsentiert kostbare Handschriften von Goethe und Schiller bis Pückler-Muskau, die das Thema Natur auf unerwartete Weise beleuchten.
Briefe, Dichtungen, Zeichnungen und Kompositionen aus den bedeutendsten Beständen des Hauses können in den 16 Vitrinen des historischen Handschriftensaals – wie stets im Original – betrachtet und befragt werden. Zu sehen sind ein Entwurf Goethes zu „Faust II“, sein Plan zur Gestaltung des Hausgartens am Stern, aber auch sein für Charlotte von Stein bestimmtes Briefgedicht „An den Mond“ sowie eine eigenhändige Rötelzeichnung, in der Goethe die Prinzipien vulkanischer Aktivität skizzierte.
Neben Friedrich Schillers Gedicht „Der Spaziergang“ und Ludwig Achim von Arnims Gedichtzyklus „Erinnerung an Freudentage in Weimar“ werden Briefe des Landschaftsgestalters Hermann von Pückler-Muskau und des malenden Dichters Hermann Hesse gezeigt, ein Herbarium aus dem Nachlass von Franz Liszt sowie Felix Mendelssohn Bartholdys Klavierfantasie über „The Last Rose of Summer“. Zugleich kehrt die Ausstellung die Perspektive um und öffnet ein Fenster in die Restaurierungswerkstatt: Natur spielt sich auch unmittelbar auf dem Papier ab. Sie rückt den Buchstaben zu Leibe. Gegen nagenden Tintenfraß und Schimmelgefahren setzt das Archiv auf die Kunst der Bestandserhaltung.
Mit einer reizvollen kleinen Landschaftsdarstellung eröffnet die Ausstellung: Die lavierte Federzeichnung stammt aus einem Skizzenbuch, das Louise von Göchhausen 1790 von ihrer italienischen Reise mit nach Weimar brachte. Von wessen Hand die Zeichnung stammt, ist ebenso unbestimmt wie der dargestellte Ort. Möglicherweise zeigt das Blatt eine Ansicht aus den Albaner Bergen oder eine Küstenlandschaft – vielleicht aber auch ein Capriccio, das ein befreundeter Künstler während einer Abendgesellschaft aus dem Gedächtnis aufs Papier bannte.
So idyllisch die Szene auf den ersten Blick scheint, ist sie doch trügerisch: Der Betrachter sieht sich mit einem durch ein Gewässer und eine hohe, baumbestandene Uferzone gleich doppelt gesperrten Vordergrund konfrontiert. Der weich konturierte Hintergrund verheißt dagegen eine traumhafte Aussicht, in die ein Hirte mit seinen beiden Schafen führt.
Das ambivalente Verhältnis zur Natur ist auch Thema der beiden wertvollsten Handschriften der Ausstellung, die aus der Feder der Namensträger des Archivs stammen. Aus Goethes Nachlass wird ein eigenhändiger Entwurf zu „Faust II“ gezeigt. Das Einzelblatt enthält die Verse 11402 bis 11423 aus der mit „Mitternacht“ bezeichneten Szene des 5. Akts von Goethes Meisterwerk. Unzufrieden mit seinem Leben als Stubengelehrter, ringt Faust zeitlebens um ein umfassendes Naturverständnis. Sein Weg führt ihn hinaus in die Welt, durch die er von Abenteuer zu Abenteuer eilt. Ebenso wenig jedoch wie Faust seinen ungestümen Tatendrang aus eigenen Kräften stillen kann, vermag er ohne Magie schaffend und gestaltend zu wirken. Immer steht ihm Mephisto mit seinen magischen Kräften beiseite, so dass er an seinem Lebensende beklagt:
Noch hab ich mich in’s Freye nicht gekämpft.
Könnt ich Magie von meinem Pfad entfernen,
Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen.
Stünd ich Natur vor dir ein Mann allein,
Da wär’s der Mühe werth ein Mensch zu seyn.
Faust wird sich seiner Abhängigkeit von magischen Kräften bewusst und spricht den Wunsch aus, der Natur ohne Magie gegenüberzutreten. So lässt sich die Frage stellen, ob er ohne Magie ein anderes Verhältnis zur Natur gefunden hätte? In seiner Zukunftsvision wenig später sieht sich Faust jedenfalls auf „freyem Grund mit freyem Volke stehn“.
Friedrich Schillers Gedicht „Der Spaziergang“ führt uns dagegen mitten in die Natur. Gezeigt wird die von Schillers Schreiber Georg Gottfried Rudolph gefertigte handschriftliche Fassung für das Druckmanuskript zur geplanten „Prachtausgabe“ der Gedichte Schillers. In 200 Versen nimmt uns der aus „des Zimmers Gefängniß“ entflohene Erzähler an einem sonnigen Tag auf eine Wanderung mit, die mit dem freudigen Anblick der Naturschönheit beim Aufstieg auf einen Berg beginnt:
Sey mir gegrüßt mein Berg mit dem röthlich strahlenden Gipfel,
Sey mir Sonne gegrüßt, die ihn so lieblich bescheint,
Dich auch grüß ich belebte Flur, euch säuselnde Linden,
Und den fröhlichen Chor, der auf den Aesten sich wiegt,
Ruhige Bläue dich auch, die unermeßlich sich ausgießt
Um das braune Gebirg, über den grünenden Wald[.]
Doch schon bald wird die Wanderung mehr und mehr zu einer traumähnlichen Bewegung durch die Höhen und Tiefen der Kulturgeschichte des Menschen, dessen einstige harmonische Einheit mit der Natur verloren gegangen ist. Mit der Aufklärung verlangt die Vernunft des Menschen nach Freiheit. Er sprengt die vorher gegebenen Fesseln. Ein Übermaß an „wilder Begierde“ kann jedoch auch zu Zerstörung und Verlust der Natur führen: „Aufsteht mit des Verbrechens Wuth und des Elends die Menschheit, | Und in der Asche der Stadt sucht die verlorne Natur.“ Dennoch endet das Gedicht hoffnungsvoll und versöhnlich, indem es auf das Beständige der Natur verweist:
Aber jugendlich immer, in immer veränderter Schöne
Ehrst du, fromme Natur, züchtig das alte Gesetz,
Immer dieselbe, bewahrst du in treuen Händen dem Manne,
Was dir das gaukelnde Kind, was dir der Jüngling vertraut,
Nährest an gleicher Brust die vielfach wechselnden Alter;
Unter demselben Blau, über dem nehmlichen Grün,
Wandeln die nahen und wandeln vereint die fernen Geschlechter,
Und die Sonne Homers, siehe! sie lächelt auch uns.
Die in der Ausstellung gezeigte Handschrift von Schillers „Spaziergang“ lädt dazu ein, diese und weitere Naturkonzepte für sich zu entdecken.
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