Reinhard Laube im Interview
Dr. Reinhard Laube, Direktor der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg, wird neuer Direktor der Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Im Interview erklärt er, was ihn an seiner neuen Aufgabe reizt und weshalb Goethes »Wahlverwandtschaften« zu seinen Lieblingsbüchern zählt.
Was tun Sie an Ihrem ersten Arbeitstag in Weimar?
An meinem ersten Tag möchte ich gerne einen Eindruck vom Ort, den Räumen und vor allem den Menschen in der Bibliothek gewinnen. Ein Gefühl für diese Zusammenhänge ist tragend für die neue Aufgabe und entwickelt sich dann über den Tag hinaus. Die Ankunft in den Beständen ist nur über einen längeren Zeitraum, über intensive Arbeit und mit Hilfe der Kolleginnen und Kollegen möglich.
Was reizt Sie an der neuen Aufgabe?
Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek ist eine Archiv- und Forschungsbibliothek par excellence. Das verdankt sie nicht nur einem historischen Gebäude, fulminanten Beständen und der Einbettung in das Weimarer Ensemble von Sammlungen. Von dieser Bibliothek gingen in den letzten Jahrzehnten entscheidende Impulse aus, den überaus attraktiven Typ »Forschungsbibliothek« und die damit verbundenen bibliothekarischen Aufgaben zu beschreiben und zu entwickeln.
Namentlich hervorgehoben seien die Beiträge von Michael Knoche und Jürgen Weber. Das sind bereits vorliegende Leistungen und Diskussionszusammenhänge einer Institution. Mir ist es eine Freude, daran anschließen zu dürfen.
Was hat die HAAB, was vergleichbare Bibliotheken nicht haben?
Sie hat ihren Namen mit Hinweis auf den prägenden Zeitraum um 1800, ihren Rokokosaal, ihre historisch gewachsenen Bestände, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit ihrem hervorragenden Wissen um die Sammlungen, um ihre Ergänzung und ihre Erhaltung.
Die Einbindung des Hauses in ein Ensemble von Archiv, Bibliothek, Museen, Schlössern und Gärten ermöglicht immer neue Fragen an die Materialien.
Digitalisierung – Fluch oder Segen für das alte Buch?
Mit der Digitalisierung bestehen neue Möglichkeiten für das alte Buch: Neben der objektschonenden Bereitstellung kann das Digitalisat für die intensive Arbeit am Bildschirm einen neuen Blick auf Details gewähren. Mit der virtuellen Verknüpfung physisch verteilter Bestände können alte und neue Zusammenhänge hergestellt werden.
Das Original bleibt dabei in seinem Eigenrecht erhalten, durch Fragen, die nur durch die Wahrnehmung des dreidimensionalen Objekts und seiner Aura beantwortbar sind. Die Vorstellung, dass das Objekt durch das Digitalisat ersetzt werden kann, greift zu kurz.
Was bedeutet dies für eine Einrichtung wie die HAAB?
Für die Herzogin Anna Amalia Bibliothek besteht die Chance, in digitalen Sammlungen weltweit für den Ort und die Bestände zu werben und Forschungen sowie Forschungsaufenthalte in Weimar anzuregen.
Die Orientierung im analogen Raum und am analogen Objekt bleibt, aber die digitale Präsenz ermöglicht nicht nur neue Formen der Wahrnehmung und der Erzeugung von Zusammenhängen, sondern auch die Gestaltung der Zukunft der Sammlungen in der globalisierten Forschungskultur des digitalen Zeitalters.
Worin sehen Sie die vorrangigen Aufgaben auf diesem Gebiet?
Ausgehend von der engen Zusammenarbeit der Weimarer Institutionen kann der »Kosmos Weimar« über einen gemeinsamen Online-Katalog erschlossen werden, unter Einbeziehung von gedruckten und handschriftlichen Materialien und mit Nutzung digitaler Präsentationen.
Der Forschungsverbund Marbach Weimar Wolfenbüttel bietet die Chance, bundesweit eine Forschungsinfrastruktur aufzusetzen und mit Projekten wie zu den Autorenbibliotheken das fortzuentwickeln, was in Weimar maßstabsbildend für Forschungsbibliotheken entworfen wurde: Provenienz- und Sammlungserschließung.
Welche Autorin/welchen Autor wünschen Sie sich für eine Veranstaltung in der HAAB?
Ich wünsche mir in den kommenden Jahren eine Vielzahl von Vortragenden aus dem In- und Ausland, aus Wissenschaft, Kunst und Politik, die den »Kosmos Weimar« in seiner weltoffenen und multiperspektivischen Anlage anschaulich machen und dabei mit Blick auf die Sammlungen auch blinde Flecke thematisieren, die – wie im Fall von Weimar und Buchenwald – schmerzen können.
In Weimar spricht man von einem Bibliothekar, der von der Leiter fiel. Was war Ihr bibliophiles Schlüsselerlebnis?
Der Sturz von der Leiter ist natürlich ein bibliothekarischer Dienstunfall von geradezu literarischer Bedeutung. Da ich in einem westfälischen Pfarrhaus mit Blick auf großformatige Bibeldrucke groß geworden bin, ist für mich der Tod durch herabstürzende Folianten naheliegender.
Diese phantasievolle Inszenierung des dienstbeflissenen Ablebens mag dem heroischen Selbstverständnis des Bibliothekars entsprechen, zielführender scheint mir jedoch die Freude an der Arbeit für Leser und Besucher sowie die Bewahrung und Vermehrung der Sammlungen.
Welches ist Ihr Lieblingsbuch?
Ich habe kein Lieblingsbuch, sondern Lieblingsbücher. Dazu zählen auch Goethes »Wahlverwandtschaften«. Dieser Roman bietet Zeitdiagnostik mit Mitteln der Literatur, die sensibel Umbrüche in den verschiedensten sozialen Beziehungen registriert und auch die Zukunft der Erinnerung mit einem neuen Blick auf die überlieferten Objekte zum Thema hat – einfach ein großartiges Leseerlebnis.
Mehr über die Herzogin Anna Amalia Bibliothek:
Robert Darnton on the Future of Libraries
Der Bibliothekar als Gatekeeper der Wissenschaft
»Zukunft bewahren« Imagefilm der Herzogin Anna Amalia Bibliothek