Thomas Mann in die Tasche gesteckt
Torsten Unger, Thomas Mann in Weimar, Morio Verlag Heidelberg 2015, 7,95 €
Wenn digitale Kreativität dereinst eine virtuelle Spurensuche nach großen Geistern in Weimar hervorbringt, gebührt eine solche Erinnerungsroute zweifellos auch dem Schriftsteller Thomas Mann (1875-1955). Zwar mag sie gegenüber anderen Berühmtheiten vergleichsweise bescheiden ausfallen, aber seine fünf Besuche zwischen 1910 und 1955 sind durchaus ein »buchenswertes Ereignis«. Die Richtung für eine solche Route gibt der Thüringer Hörfunkjournalist und Buchautor Torsten Unger mit Band 14 der »Stationen« aus dem Heidelberger Morio Verlag vor.
Unter dem Titel »Thomas Mann in Weimar« spürt der Autor mit der Vorliebe fürs markante Detail den einzelnen Orten nach und lässt mit Auszügen aus Tagebüchern, Briefen, Zeitungen und persönlichen Erinnerungen anderer den jeweiligen Geist der Zeit erkennbar werden, der dem großen Hanseaten aus München in der Thüringer Residenz entgegenschlug. Ganz im Sinne übrigens des Literaten, der die Größe Weimars bekanntermaßen eher im Geistigen sah. Und ganz im Sinne der ambitionierten Reihe, die »Biografien für die Westentasche« bietet und darüber hinaus mit Zeittafel und Quellenverweisen zur Weiterbeschäftigung anregt.
»Die Weimarer Klassik hat Thomas Mann ein Leben lang beschäftigt“, stellt Unger eingangs fest.
Gelegentlich habe diese Epoche den Schriftsteller »aufgewühlt« oder aber »ihm ein anderes Mal als Trost und Stütze gedient«.
Beim ersten Weimar-Besuch im November 1910 konnte der 35-jährige Familienvater bereits auf literarische Meriten verweisen, hatte aber für seine Lesung weder die »Buddenbrooks“ noch die »Königliche Hoheit« im Gepäck.
Zum Echo auf den Vortrag aus frühen Novellen fand Unger in zeitgenössischen Zeitungsberichten durchaus Widersprüchliches. Einerseits das Lob für eine »klare Vortragsweise«, die »jedermann, auch in der hintersten Ecke, einen vollen Genuß ermöglichte«. Andererseits das gegenteilige Urteil eines Rezensenten, der »alles höchst monoton« fand – weil der Vortragende »Satz an Satz wie eine endlose Allee von Pappelbäumen« aneinandergereiht habe.
Thomas Mann seinerseits erlebte die Residenz mit ihren »rührenden Stübchen, die das Allerheiligste bilden«, als »strikte Bestätigung« seiner Intuitionen zum Roman »Königliche Hoheit«. Bliebe an dieser Stelle zu ergänzen, dass »dieser Versuch eines Lustspiels in Romanform« (Thomas Mann) gern mit dem Noch-Großherzogtum in Verbindung gebracht wird – nämlich mit der damals gerade erneuerten Wartburg in der Nebenresidenz Eisenach.
Thomas Mann nannte sie Grimmburg.
Doch zurück nach Weimar. 1921 las Thomas Mann aus dem noch unvollendeten »Zauberberg« und traf danach auf Elisabeth Förster-Nietzsche – ein »immerhin merkwürdiger Eindruck«, wie Unger aus dem Tagebuch zitiert. Im Goethe-Jahr 1932 indes fand der Schriftsteller die Stadt nicht nur »merkwürdig«, weil sie in seinen Augen einen »ungeheueren Fremdenzudrang« erlebt hatte.
»Ganz eigenartig berührte die Vermischung von Hitlerismus und Goethe.«
Vor diesem Hintergrund habe er das Dichterhaus am Frauenplan »voll tiefer Rührung« erlebt, bekannte er.
»Thomas Mann saugte hier eine Atmosphäre ein, die in den Vereinigten Staaten ›Lotte in Weimar‹ eine Seele geben würde«, schreibt Unger. Der promovierte Germanist sieht in dem Roman von 1939 denn auch »ein Dokument des Heimwehs und des Widerstands«. Denn die Geschichte um die Wiederbegegnung Goethes mit seiner Jugendliebe Charlotte Kestner sei aus der Ferne des amerikanischen Exils auch ein politisches Statement gewesen gegen das nationalsozialistische Regime in Deutschland.
Die daraus resultierende »Würde und Bürde« als »Repräsentant und literarischer Widerständler« waren Thomas Mann bei den Nachkriegsbesuchen in seiner Heimat durchaus bewusst, konstatiert Unger. Ausführlich zeichnet er nach, wie der Schriftsteller 1949 und 1955 auch in Weimar zwischen die Fronten des aufziehenden Kalten Krieges geriet.
Bei beiden Besuchen hielt Thomas Mann als Mahner einer ungeteilten Humanität nahezu identische Reden in West- und in Ostdeutschland – und konnte dennoch eine politische Vereinnahmung nicht verhindern.
Seine sehr differenziert gesetzten Worte etwa zum Kommunismus drehten ihm ostdeutsche Funktionäre so lange im Mund herum, bis selbst im Westen geglaubt wurde, Thomas Mann habe tatsächlich gesagt, »der Antikommunismus ist die Grundtorheit unserer Epoche«. Als ob der sorgsam ziselierende Meister einzigartiger Wortgirlanden jemals Sätze formuliert hätte, die für platte Propagandaplakate taugten.
Von den Episoden um Thomas Manns letzte Weimar-Besuche erwähnt Unger eine mehr nur beiläufig: die Spende für den Wiederaufbau der 1945 zerstörten Stadtkirche St. Peter und Paul. Aus der Sicht Ungers war diese Entscheidung mehr »als nur ein verbales Bekenntnis zu systemunabhängigem Humanismus«.
Weimar hatte dem Schriftsteller am 1. August 1949 mit der Ehrenbürgerschaft und dem Goethe-Nationalpreis ein Preisgeld von 20.000 Mark verliehen.
Die spontane Verwendung für den Kirchenbau, der weithin als Herderkirche bekannt ist und seit 1998 zum Unesco-Weltkulturerbe gehört, fand zwar bei den Empfängern ungeteilte Zustimmung. Irritiert aber zeigte sich die sowjetische Besatzungsmacht. Sie hatte eine Spende für die »Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes« erhofft. Thomas Manns Preisgeld wurde für den Dachstuhl und den Reformationsaltar aus der Cranach-Werkstatt verwendet. Am Wiederaufbau der Kirche mitgeholfen zu haben sei ihm »eine wahre Genugtuung«, schrieb Thomas Mann später an den Weimarer Superintendenten Richard Kade.
Noch einmal schien Thomas Mann in Weimar allgegenwärtig, als die DDR-Filmgesellschaft DEFA zum 100. Geburtstag des Autors dessen Geschichte um Lotte und Goethe in authentischer Umgebung verfilmte – mit dem West-Star Lilly Palmer in der Titelrolle.
Am Hotel »Elephant« freilich mussten Kulissenbauer das historische Ambiente nachempfinden: Mit dem berühmten Gasthof der Goethezeit hat das Haus nichts mehr zu tun, seit 1937 ein Diktator namens Hitler nach seinem Geschmack am gleichen Ort einen Neubau errichten ließ, der lediglich den alten Namen weiterführte. Doch das ist eine andere Geschichte.
“Katja Mann” ist das auf dem Foto oben nicht. Und wenn, dann hieße sie “Katia Mann”.
Lieber Herr Zimmermann, vielen Dank für Ihren Hinweis, die Bildunterschriften wurden eben angepasst.
Viele Grüße
Ihre Online-Redaktion