Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik
Tischbeins Wieland-Porträt
Der Name „Tischbein“ genießt in Weimar einen guten Klang, ist er doch eng mit dem berühmten Gemälde „Goethe in der Campagna di Roma“ verbunden, das dem Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein den Beinamen „Goethe-Tischbein“ eingebracht hat. Das Wieland-Porträt, das der Klassik Stiftung kürzlich von Familie Speidel gestiftet wurde, ist freilich von einem anderen Tischbein, nämlich dessen Vetter Johann Friedrich August. Beide fast gleichaltrigen Maler stammten aus derselben weitverzweigten, hessischen Künstlerfamilie, nahmen aber künstlerisch sehr unterschiedliche Wege. Während Wilhelm ein breit gefächertes Œuvre schuf, konzentrierte sich der hier gefragte Friedrich auf das Porträtfach. Die beiden Vettern begegneten sich zeitlebens nur einmal, 1777 in Rom.
Wie für viele Künstler des späten 18. Jahrhunderts bildeten Fürsprachen, Beziehungen und Empfehlungen eine wichtige Grundlage für Friedrich Tischbeins Erfolg. Ständige Ortswechsel prägten daher sein Leben: So weilte er etwa in Neapel, bei den Oraniern in Holland, am Zarenhof in Petersburg und an verschiedenen kleineren Fürstenhöfen des Heiligen Römischen Reichs. Erst seine Berufung als Akademieprofessor nach Leipzig sicherte ihm für die letzten zwölf Lebensjahre ein auskömmliches Gehalt – und später den nicht mehr zu verwechselnden Zusatznamen „Leipziger Tischbein“.
Mehrfach hielt sich Friedrich Tischbein in den 1790ern auch in Weimar auf, 1795 entstand bei einem solchen Besuch das hier betrachtete Porträt Christoph Martin Wielands. Der Maler und der Dichter hatten sich bereits zehn Jahre zuvor kurz kennengelernt. Was Tischbein im März 1785 konkret nach Weimar führte, wissen wir nicht. Die damalige Begegnung, die Wieland laut eigener Aussage „großes Vergnügen“ bereitete, bot nun jedoch einen Anknüpfungspunkt für die Erneuerung des Kontaktes.
Der strategisch gut vorbereitete Aufenthalt wurde für Tischbein ein gelungener Start seiner späten Karriere in Deutschland. Er hatte sich zunächst an den Erbprinzen August von Sachsen-Gotha-Altenburg gewandt, den er während seines Italienaufenthaltes 1778 in Rom kennengelernt hatte. Dieser setzte sich für den Maler ein, indem er in je einem Empfehlungsschreiben an Wieland und an Goethe darum bat, dass sich die beiden von Tischbein malen ließen. Freundlich werbend und auf das Talent Tischbeins verweisend, lässt Prinz August in den beiden Briefen außerdem durchblicken, dass er bereits mit Herzog Carl August gesprochen hatte:
„Ich bin so frey gewesen, dem Herzoge etwas in sein fürstl. Ohr zu sagen, das die Götter doch in Erfüllung bringen mögen!“
Ob es dabei nur um eine vermittelnde Fürsprache oder auch um weitere Malaufträge ging, wurde nicht explizit zur Sprache gebracht. Im Ergebnis aber entstanden nahezu parallel mit dem Porträt Wielands zwei großformatige Bildnisse des Herzogs und der Herzogin – die in der Komposition und im Stil dem Bild des Dichters in bemerkenswertem Maße angeglichen sind.
Seit dem späten 18. Jahrhunderts hatte sich der Typus des Gelehrtenporträts entwickelt. Geistesgröße und Inspirationskraft sollten durch physiognomischen Ausdruck und Stimmungswerte bildwirksam ausgedrückt werden. Bei den drei gleichzeitig in Weimar entstandenen Gemälden ist erkennbar, wie Tischbein auf die Bildnisse des Fürstenpaares Stilmittel dieses neuartigen Bildtyps übertrug. Gleichzeitig „adelte“ Tischbein nun Wieland und den ebenfalls porträtierten Herder durch einen etwas größeren Bildausschnitt, der ansonsten nur bei seinen Fürstenporträts zum Einsatz kam. Bei Goethe hatten die Vermittlungsversuche des Gothaer Prinzen im Übrigen kein Gehör gefunden; er verweigerte sich dem Porträtwunsch.
Neben dem Wieland-Porträt Tischbeins besitzt die Klassik Stiftung ein weiteres Gemälde, das Wieland zeigt. Es stammt von Anton Graff und ist gerade einmal ein Jahr vor Tischbeins Variante für den Verleger Göschen entstanden. Die beiden bedeutendsten Porträtisten Deutschlands im 18. Jahrhundert galten als Konkurrenten. Ein wichtiges Kriterium bei der Beurteilung ihrer Fähigkeiten spielte die Frage nach der Ähnlichkeit: Welcher Maler verstand es besser, abgesehen von der mimetischen Wiedergabe und der bloßen Erkennbarkeit auch den Charakter einer Persönlichkeit zu erfassen? Tischbein stellte für sein Wieland-Porträt eben diesen Vorzug heraus, da es ihm „nach allgemeinem Urtheil soll gelungen seyn, [Wielands] wahren Charakter zu haschen“.
Aber wie urteilte der Porträtierte selbst? Als Göschen ihn direkt fragte:
„Ich höre Tischbein hat Sie gemahlt. Welches halten Sie für ähnlicher, Tischbein oder Graffs?“,
blieb Wieland ihm in den nächsten Antwortbriefen die gewünschte Stellungnahme schuldig.