Überleben mit Formgebäck
Lydia Foucar hatte die Keramische Fachschule in Höhr absolviert und schloss die Münchner Kunstgewerbeschule im April 1919 mit 24 Jahren ab. Dort lernte sie den jungen Kunststudenten Johannes Driesch kennen, dem sie kurze Zeit später ans Bauhaus in Weimar folgte. Beide verpflichteten sich, für die aufgebaute Keramikwerkstatt des Bildhauers Gerhard Marcks in Dornburg zu arbeiten. Es entwickelte sich ein inniges Verhältnis zu Marcks, der Driesch »Lehrer, Freund und Förderer« war.
Johannes Driesch und Lydia Foucar heirateten Pfingsten 1921, bereits im September wurde der erste Sohn Michael geboren. Nach der Geburt war Lydia Driesch-Foucar für die Küche der acht bis zehn Werkstattmitglieder zuständig, was in Zeiten der Inflation nicht zu unterschätzen sein dürfte. Ihr Mann wandte sich in dieser Zeit von den modernen Bauhausideen ab und verließ Dornburg mit dem Anspruch, »der beste Maler Deutschlands« zu werden. Das Ehepaar lebte in den darauffolgenden Jahren häufig getrennt, Lydia Driesch-Foucar hielt sich mit den Kindern meist bei ihren Eltern auf. Auch wenn Johannes Driesch immer wieder Auftraggeber und Gönner fand, war die Armut in den oft doppelt geführten Künstlerhaushalten beachtlich.
Als Johannes Driesch im Februar 1930 überraschend verstarb, hinterließ er eine praktisch mittelose Frau und vier Kinder. Die Witwe musste sich deshalb etwas für ihren Lebensunterhalt einfallen lassen. Bereits vor diesem Schicksalsschlag hatte Lydia Driesch-Foucar sich mit der Herstellung von handgenähten Ledertieren über Wasser gehalten. Zunächst entwickelte sie erfolglos ein ›Schnipp-Schnappspiel‹, schrieb Kinderbücher und entwarf einen Prospekt für Milchflaschen und Einwickelpapier, der zwar gedruckt wurde, aber nicht zu Folgeaufträgen führte. »Nichts gelang«, bilanzierte Lydia Driesch-Foucar wenig später.
Erst als Bäckerin des sogenannten Formgebäcks – Lebkuchen, Honigkuchen, Pfefferkuchen in bestimmten Formen – konnte sie den Unterhalt für sich und ihre Familie sichern. Rückblickend schildert sie ihr Backwerk folgendermaßen:
»Zum ersten Mal auch versuchte ich mich im Lebkuchenbacken, d.h. ich schnitt allerlei Figuren aus dem braunen Teig und backte sie. Es war sozusagen der Anfang meiner späteren Lebkuchenwerkstatt und dazu eines Brauches, der sich zwischen der Familie Marcks und uns jahrelang erhalten hat: des weihnachtlichen Austauschs von Kuchen mit dazu passenden Sprüchen.«
Diese Art der essbaren Geschenke zwischen den Familien bestand bereits 1923. Zur Jahreswende 1932 tauchten die Lebkuchen erneut in ihrer Korrespondenz auf. Maria Marcks, die Gattin des Bildhauers, forderte Lydia Driesch-Foucar auf, 100 Lebkuchen für einen Weihnachtsmarkt in Halle zu schicken, da diese Kuchen gut ankämen. Lydia Driesch selbst schrieb ihr: »Die Sache lohnt sich nicht genug, um davon zu leben«. Sie betreibe jetzt einen kleinen Pralinen- und Zigarettenladen.
Anderthalb Jahre später – im März 1934 – konnte sie trotz etlicher Hürden seitens der Behörden unter dem Namen ›Werkstatt für künstlerische Formhonigkuchen‹ auf der Leipziger Frühjahrsmesse ausstellen. Wichtig dabei war, dass ihre Honigkuchen als Kunsthandwerk anerkannt wurden. Form und Dekor hatten einen großen Anteil an der Verwandlung der Honigkuchen in Kunst. Mit flüssigem farbigen Zucker sowie Zuckerperlen schaffte sie es, der Form Leben zu verleihen. Später erinnerte sie sich:
»Der Erfolg war unerwartet groß. Ich bekam so viele Aufträge, daß ich sie kaum bewältigen konnte. Im Seitenflügel des Hauses wurde eine Werkstatt eingerichtet und ein paar weibliche Hilfskräfte angelernt. Begüterte Freunde verhalfen mir zu einem größeren Backofen«,
Die Produktion war jedoch stark saisonabhängig und drängte sich vor Ostern und Weihnachten zusammen. Für die aufgewandte Zeit und Mühe blieb vom Verdienst nur wenig übrig. Zunehmend professionalisierte sie Herstellung, Vertrieb, Werbung und Verkauf, ließ Prospekte und Preislisten drucken und beantragte Gebrauchsmusterschutz, um etwaige Imitationen abwehren zu können.
1936 berichtet Gerhard Marcks, dass zu Weihnachten ganz Berlin mit ihren Kuchen dekoriert sei. Ein Jahr später gab sie die Lizenz zur Herstellung an einen Herrn aus Kopenhagen weiter. Die Kriegsjahre gingen nicht spurlos an ihr vorbei: die eigene Werkstatt als auch die Zweigstelle in Dänemark mussten schließen. Das Überleben mit den künstlerischen Formkuchen war ab 1942 unmöglich. Driesch-Foucar schilderte die Alternative:
»Der Honig meiner Bienen, der Garten und das Lädchen halfen uns im Verein mit einer Ziege über die Kriegsjahre.«
Nach 1945 nahm Lydia Driesch-Foucar ihre Bäckerei als Weihnachtshobby wieder auf und schickte ihre Honigkuchen 1965 in die USA. Sie seien »in bester Bauhaustradition« hergestellt worden. Jetzt wurden Walter und Ise Gropius auf sie aufmerksam. Hier erfahren wir noch einmal vom Ende der Bäckerei, aber auch von einer Aktion zur Verewigung der Kunstkuchen, die heute im Bauhaus-Archiv Berlin verwahrt liegen.
Magdalena Droste arbeitete bis 2017 an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg. Sie ist Herausgeberin und Autorin zahlreicher Bücher, Aufsätze und Ausstellungen zu Themen des Bauhauses und zur Designgeschichte. Aktuell arbeitet sie am DFG-Projekt »Bewegte Netze. Bauhaus-Angehörige und ihre Beziehungsnetzwerke in den 1930er- und 1940er-Jahren«.
Im Rahmenprogramm der Ausstellung »Wege aus dem Bauhaus. Gerhard Marcks und sein Freundeskreis« hält sie am 28. September 2017 einen Vortrag zu Lydia Driesch-Foucar und das Überleben mit Formgebäck.