Wolfspelz, Strohhut, Lederhose
Winckelmann war ein Mann von Geschmack, nicht nur bei der Beurteilung antiker Kunstwerke. Er verwandte viel Mühe darauf, seinem Auftreten eine gewisse Haltung zu verleihen, eine lässig-nachlässige Eleganz nach adligem Vorbild, die etwas Weltläufiges und zugleich etwas Künstlerisches hatte.
Bereits im Umfeld des Dresdner Hofes, wo Winckelmann als Bibliothekar des Reichsgrafen Bünau wichtige Kontakte knüpft, gewinnt die Selbstinszenierung an Bedeutung. Noch wichtiger wird ein geschicktes ›Self-fashioning‹, als ihm schließlich der karrierestrategisch wagemutige Umzug nach Rom glückt. Für Winckelmann, der als Stendaler Schustersohn aus einfachsten Verhältnissen kommt, ist die Vorstellung, man könnte ihn dort für ärmlich halten, unerträglich. Umso mehr peinigt es ihn, als er einmal einen vornehmen Engländer besuchen will und dieser sich verleugnen lässt – wie der Gelehrte fürchtet, hält man ihn für einen »Schlucker«, der sich eine Mahlzeit erschleichen will.
Tatsächlich muss er sich in Rom auch modisch zunächst einschränken. Im Januar 1756, zweieinhalb Monate nach seiner Ankunft, berichtet er seinem Freund Francke, er trage noch immer seine »alte Tracht«, denn Rom sei ein teures Pflaster und Ausländer würden über den Tisch gezogen. Bedauerlich ist dies vor allem, weil Winckelmann gerade feststellt, dass er an Gewicht zulegt,
»denn meine Kleidung wird mir zu eng und platzet«.
Doch neue Aufgaben verlangen neue Kleidung, und schließlich teilt er Berendis, einem weiteren Freund, im Februar 1758 mit, er trage nun seit fünf Monaten die »Kleidung eines Abbate«. Allerdings hat er dieses offizielle schwarz-weiße Ensemble des vatikanischen Gelehrten im September sehr nüchtern erklärt: Er brauche es für seine Reise in die königliche Residenzstadt Neapel, um »die Kosten an diesem schimmernden Hofe« an seiner »Kleidung zu ersparen«.
Schließlich investierte er aber doch mehr in seine Reise-Garderobe und ließ sich ein lockeres »Campagne-Kleid«, ein »Reise-Kleid von Englischem Molletone« und einen »Caffe-Braunen Drap d‘ Abbeville Rock mit güldenen Brandebourgs« anfertigen, also mit kordelartig gedrehten Schnüren wie an Uniformen. Stoffe, Farben und modische Details seiner Garderobe sind ihm eine Mitteilung wert.
Offenbar waren die Einkaufsmöglichkeiten in Florenz besser als in Rom, denn Winckelmann bittet seinen dortigen Freund und Förderer Muzell-Stosch im Juni 1759:
»Ich wünschte einen Stroh-Hut zu haben weil mir die Hitze ohne Hut den Kopf einnimmt. Hier sind sie schlecht und theuer.«
Doch darf man sich nun den Gelehrten nicht mit einem ländlichen Strohhut über die Piazza Navona spazierend vorstellen, vielmehr will er sich den Hut mit schwarzer Seide »überziehen« lassen, »um ihn beständig zu tragen auf der Gaße«. Als er einen Monat später für den freundlichen Versandservice dankt, bemerkt er allerdings, der Hut sei »so ungeheuer groß«, dass er die Krempe »drei Finger breit umher werde abschneiden müssen, um ihn zu tragen«.
Ein Gemälde mit Schlapphut, wie Goethe ihn auf dem berühmten Tischbein-Portrait »in der römischen Campagna« trägt, gibt es also von Winckelmann nicht. Für das Bildnis, das Anton von Maron schließlich von dem 50jährigen Winckelmann fertigte, wählte der Gelehrte auf der Höhe seines Ruhms ganz andere Kleidung. Spektakulär erscheinen die gewaltig gebauschten Falten des rötlich changierenden Mantels mit seinem üppig hervorquellenden weißen Pelzfutter. Aber besonders der Turban, der halb herabgerutscht auf dem Kopf des Portraitierten sitzt, lässt den Betrachter zweimal hinschauen. Wollte Winckelmann wirklich so dargestellt werden?
Er wollte, und zwar unbedingt! Über die Pläne zu seinem Portrait schreibt er dem Freund Stosch, für den es gedacht war:
»Um den Kopf wird ein seidenes Tuch, an statt der Mütze, verlohren [also verrutscht] gebunden geleget. Die Bekleidung ist mein weißer Rußischer Wolfs-Pelz mit Cramoisi überzogen.«
Bettina Werche hat in einem Beitrag im aktuellen Jahrbuch der Klassik Stiftung diese Accessoires, die uns so sehr wie eine Kostümierung erscheinen, anschaulich entschlüsselt. Im 18. Jahrhundert galt es als absolut chic, sich als Gelehrter im Hausmantel und mit einer verwegenen Kopfbedeckung portraitieren zu lassen. Das modische Statement betonte selbstbewusst die Nähe des Gelehrtendaseins zum Künstlertum, denn für Künstlerportraits waren Hausmantel und originelle Kopfbedeckung die typischen Darstellungsmerkmale.
Tatsächlich erwähnte Winckelmann stolz die freundschaftlichen Kontakte zu Künstlern und inszenierte ebenso gerne seine gesellschaftliche Unabhängigkeit, doch ein Künstleroutfit wie auf dem Portrait hatte auch praktische Gründe. Zu Hause trug der Herr nämlich damals meist nicht die sonst übliche Perücke – er brauchte also einen Schutz gegen Zugluft am gelehrten Haupt.
Wer in einem unsanierten Altbau gewohnt hat, wird den Nutzen eines pelzgefütterten Hausmantels am Schreibtisch unmittelbar nachempfinden. Darüber hinaus galt aber der Hausmantel im 18. Jahrhundert europaweit auch in aristokratischen Kreisen als überaus geschmackvoll, wenn man sich in den eigenen Sammlungszimmern mit Besuchern über Kunst austauschte.
Indem Winckelmann sich mit diesem Must-Have in durchaus herrschaftlichem Interieur portraitieren ließ, inszenierte er zugleich, dass er wie ein Gentleman unabhängig über seine Zeit verfügen konnte, um dem Studium der Antike nachzugehen. Der Betrachter wird zum imaginären Besucher des Gelehrten – und ist hoffentlich angemessen gekleidet. Wie sehr modische Accessoires zu Winckelmanns Zeit sozial bedeutsame Zeichen waren, zeigt nicht zuletzt 1766 sein rückblickender Bericht über die Landaufenthalte in der Villa eines Kardinals, bei dem stets große Freiheit im gesellschaftlichen Umgang geherrscht habe: Man speiste dort
»mit dem Hut auf dem Kopfe, in Pantoffeln, in der Schlafmütze, und wie ein jeder wollte«.
Bei seiner Ermordung trug Winckelmann übrigens ein Hemd mit goldenen, karneolverzierten Knöpfen und dazu schwarze Lederhosen mit schwarzseidenen Strümpfen, wie ein Schneider, der aus Neugier herbeigelaufen war, zu Protokoll gab. Seltsam nur, dass der Mörder (der es freilich mit der Wahrheit nicht so genau nahm) behauptete, Winckelmann habe ihm erzählt, er sei in eben diesen Kleidern von Kaiserin Maria Theresia zur Audienz empfangen worden.
Das Inventar der Nachlassstücke in der Prozessakte lässt aber Hoffnung, dass der stilsichere Gelehrte den Dresscode in Wien nicht verfehlt hatte. In seinem Reisekoffer befand sich, neben einem »Schlafrock aus Seide mit roten Streifen, mit weißer Leinwand gefüttert«, »2 Taschentüchern aus gestreifter schwarzer Seide mit rotem Rand« und allerlei Alltagshemden, Strümpfen, Kragen und Schnallen auch ein kostbarer Anzug: »Schoßrock, Unterkleid und Hose aus zimtfarbenem Tuch mit Knöpfen aus Goldfäden«. Vielleicht war er also ›ganz in Zimt‹ vor der Kaiserin erschienen – immerhin nicht in der Lederhose.