Winckelmanns
Werdegang
Vor 300 Jahren wurde Johann Joachim Winckelmann als einziges Kind des Schusters Martin Winckelmann und seiner Frau Anna Maria am 9. Dezember in bescheidene Verhältnisse hineingeboren. Durch sein anfangs unstetes Wanderleben sowie enzyklopädische Lektüren gelang es ihm, die vorgezeichneten Standesschranken zu durchbrechen und sich Zugang zu Bildung zu sichern. Mit europaweitem Ansehen sowie einer beachtlichen Weltläufigkeit wurde er belohnt, fiel jedoch letztlich einem überaus grausamen Schicksal zum Opfer.
Nachdem Winckelmann in seiner Heimatstadt bis 1735 die Elementar- und Lateinschule besucht hatte, zog es ihn für weitergehende Studien ans Cöllnische Gymnasium nach Berlin und an die Lateinschule von Salzwedel. Unter anderem als Mitglied eines liturgischen Laufchores sowie als Vorleser eines erblindeten Rektors und Aufseher der Schulbibliothek in Stendal musste er die notwendigen Mittel für seine Ausbildung selbst bestreiten.
Studienzeit in Halle
Im Jahre 1738 siedelte er nach Halle über, wo er ein Theologiestudium begann. Es handelte sich damals um die einzige Fakultät, die mittellosen Studenten auch ohne Gebühr Zugang gewährte. Neben Vorlesungen der Theologie und Beredsamkeit erhielt er auch Zugang zur Bibliothek des Hallenser Historiografen Johann Peter von Ludwig, die mit ihren 13.500 Bänden und 800 Handschriften seinerzeit viel größer war als die Universitätsbibliothek. Kontakt knüpfte er zu Johann Heinrich Schulze, dem Begründer der Altertumsforschung an der Universität Halle, der ihn auf antike Autoren aufmerksam machte und ihm wohl auch seine beachtliche Münzsammlung mit 2.500 Exemplaren vor Augen führte.
Seit seiner Hallenser Studienzeit galt Winckelmanns Interesse zuallererst den sogenannten »artes minores«, den Münzen beziehungsweise Gemmen aus Stein sowie den Gipsabgüssen derselben. Nicht allein die Stichwerke des 17. und 18. Jahrhunderts beeinflussten ferner seine Sicht auf die Dinge, sondern die durch Autopsie, das heißt eigene Anschauung, gewonnenen Eindrücke vor den Kunstwerken selbst.
Eine Anstellung als Hauslehrer bei der Familie Grolmann führte ihn 1740 ein Jahr lang nach Osterburg in die Altmark. In Jena begann er 1741 ein Studium der Medizin und höheren Mathematik. Die hier erworbenen anatomischen Kenntnisse sollten bei seinen minutiösen Beschreibungen antiker Skulpturen später noch eine wichtige Bedeutung erlangen. Nur ein Jahr später brach er das Studium – auch diesmal wieder ohne Abschluss – ab, um in Hadmersleben bei Magdeburg für den ältesten Sohn des Oberamtmannes Lamprecht abermals als Hauslehrer tätig zu werden.
Von 1743 kehrte er in die alte Heimat, die Altmark, nach Seehausen zurück und wurde dort als Konrektor der Lateinschule für die Fächer Latein, Griechisch, Hebräisch, Geschichte, Geografie und Logik tätig. Bei der Vermittlung der Schönheit der griechischen Dichtung legte er bisweilen allzu hohe Maßstäbe an seine Schüler, so dass er diese Station seines Lebens selbst als reines »Martyrium« empfand.
Aussicht auf eine Karriere in Rom
1748 siedelte er nach Sachsen über. In Nöthnitz bei Dresden arbeitete er sechs Jahre lang als Bibliothekar beim Reichsgrafen Heinrich von Bünau und griff ihm bei dessen letztlich unvollendet gebliebener Kayser- und Reichshistorie sowie der Katalogisierung seiner Bibliothek unter die Arme. In diesem Umfeld konnte sich Winckelmann intensiv und erstmals auch wissenschaftlich mit Quellen, Dokumenten und antiquarischen Stichwerken vertraut machen.
Als Mann mittleren Alters nutzte er ab 1754 ein Jahr lang die Möglichkeit in einer der bedeutendsten Kunststädte nördlich der Alpen – in Dresden – die modernen und antiken Kunstschätze der Residenzstadt, die Bibliothek und Königliche Galerie in Augenschein zu nehmen. In jener Zeit kam er bei dem Maler Adam Friedrich Oeser, dem späteren Zeichenlehrer Goethes unter, der den Stendaler an die Kunst heranführte.
Die Aussicht auf eine Karriere am katholischen Dresdner Hof und darauf aufbauend auch in Rom, brachte den Protestanten Winckelmann schließlich dazu, nach jahrelangem Hadern 1754 zum Katholizismus zu konvertieren. In Winckelmanns Dresdener Zeit datiert seine Erstlingsschrift Gedancken über die Nachahmung der Griechischen Werke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst (1755), die er Friedrich August II. von Sachsen widmete und daraufhin ein zweijähriges Stipendium für seinen so lang ersehnten Italienaufenthalt zugesprochen bekam.
Im Herbst 1755 verließ Winckelmann die Residenzstadt Dresden. Seine Bestimmung führte ihn in seine spätere Wahlheimat Italien, genauer nach Rom, wo er rasch Kontakt zu dem sächsischen Oberhofmaler Anton Raphael Mengs aufnahm und damit Zugang zu den angesehensten Künstler- und Gelehrtenkreisen erhielt. In den Bibliotheken von Kardinal Domenico Silvio Passionei und Kardinal Alberico Archinto, in der Vatikanischen Bibliothek und in der des Altertumkenners Kardinal Alessandro Albani konnte Winckelmann seine Kenntnisse der Kunstliteratur weiter vertiefen. Als Oberaufseher über alle Altertümer Roms samt Umgebung sowie als einer der Schreiber an der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek wurden ihm hohe Ehren zu Teil. Nebenbei hielt er Eindrücke seiner Reisen in die Albaner Berge, nach Tivoli, dem Golf von Neapel und den gerade entdeckten antiken Ausgrabungsstätten Pompeji, Herculaneum, Portici und Paestum in Form von Berichten und Briefen fest.
Vor allem das Studium der antiken Kunstwerke, so insbesondere der zahlreich überlieferten Skulpturen in den Villen und Palazzi Roms, so vor allem des Laokoon, des Apollo und des Torso von Belvedere, aber auch das eingehende Studium von 28.000 Gemmen und Gemmenabdrücken der Sammlung des Baron Philipp von Stosch in Florenz, die er 1758/59 katalogisierte, machten ihn zu einem sachkundigen Kenner antiker Artefakte. Alle Erkenntnisse und Einzelbeschreibungen fanden Eingang in die Geschichte der Kunst des Alterthums (1764), seinem Hauptwerk, mit dem er zum Begründer der modernen Kunstwissenschaft und Archäologie und zu einem Vermittler zwischen den Kulturen und Fachwissenschaften avancierte.
Im April 1768 reiste Winckelmann über den Brenner nach Deutschland, um seine allerorts verteilten Freunde wiederzusehen. Jedoch schon in Regensburg entschloss er sich überraschend zur Umkehr, wobei er über Wien nach Rom zurückzureisen beabsichtigte. Von Kaiserin Maria Theresia mit wertvollen Gnadenmedaillen für seine wissenschaftlichen Leistungen ausgezeichnet, machte Winckelmann auf seiner Rückreise Halt in Triest. Dort muss er seinen Schatz einem »falschen Freund« gezeigt haben, der ihn am 8. Juni offenbar aus Habgier auf hinterlistige Weise mit fünf Messerstichen tödlich verletzte. In Triest befindet sich das aus weißem Marmor ausgeführte Grabmonument Winckelmanns, einem der einflussreichsten europäischen Gelehrten und Wegbereiter des Klassizismus.
“Aber Winckelmann hätte lange Zeit in den weiten Kreisen altertümlicher Überbleibsel nach den wertesten, seiner Betrachtung würdigsten Gegenständen umhergetastet, hätte das Glück ihn nicht sogleich mit Mengs zusammengebracht. Dieser, dessen eigenes großes Talent auf die alten und besonders die schönen Kunstwerke gerichtet war, machte seinen Freund sogleich mit dem Vorzüglichsten bekannt, was unserer Aufmerksamkeit wert ist. Hier lernte dieser die Schönheit der Formen und ihrer Behandlung kennen, und sah sich sogleich aufgeregt, eine Schrift vom “Geschmack der griechischen Künstler” zu unternehmen…”