Bartolomeo Follin nach Giovanni Battista Casanova, Johann Joachim Winckelmann, 1766 © Klassik Stiftung Weimar

Winckelmanns
Werdegang

Vor 300 Jahren wurde Johann Joachim Winckelmann als einziges Kind des Schusters Martin Winckelmann und seiner Frau Anna Maria am 9. Dezember in bescheidene Verhältnisse hineingeboren.  Durch sein anfangs unstetes Wanderleben sowie enzyklopädische Lektüren gelang es ihm, die vorgezeichneten Standesschranken zu durchbrechen und sich Zugang zu Bildung zu sichern. Mit europaweitem Ansehen sowie einer beachtlichen Weltläufigkeit wurde er belohnt, fiel jedoch letztlich einem überaus grausamen Schicksal zum Opfer.

Nachdem Winckelmann in seiner Heimatstadt bis 1735 die Elementar- und Lateinschule besucht hatte,  zog es ihn für weitergehende Studien ans Cöllnische Gymnasium nach Berlin und an die Lateinschule  von Salzwedel. Unter anderem als Mitglied eines liturgischen Laufchores sowie als Vorleser eines  erblindeten Rektors und Aufseher der Schulbibliothek in Stendal musste er die notwendigen Mittel für  seine Ausbildung selbst bestreiten.

Studienzeit in Halle

Im Jahre 1738 siedelte er nach Halle über, wo er ein Theologiestudium begann. Es handelte sich  damals um die einzige Fakultät, die mittellosen Studenten auch ohne Gebühr Zugang gewährte. Neben  Vorlesungen der Theologie und Beredsamkeit erhielt er auch Zugang zur Bibliothek des Hallenser  Historiografen Johann Peter von Ludwig, die mit ihren 13.500 Bänden und 800 Handschriften seinerzeit viel größer war als die Universitätsbibliothek. Kontakt knüpfte er zu Johann Heinrich Schulze,  dem Begründer der Altertumsforschung an der Universität Halle, der ihn auf antike Autoren aufmerksam  machte und ihm wohl auch seine beachtliche Münzsammlung mit 2.500 Exemplaren vor Augen führte.

Seit seiner Hallenser Studienzeit galt Winckelmanns Interesse zuallererst den sogenannten  »artes minores«, den Münzen beziehungsweise Gemmen aus Stein sowie den Gipsabgüssen derselben. Nicht allein  die Stichwerke des 17. und 18. Jahrhunderts beeinflussten ferner seine Sicht auf die Dinge, sondern die durch  Autopsie, das heißt eigene Anschauung, gewonnenen Eindrücke vor den Kunstwerken selbst.

Karl Gottlieb Künstler Reinhardt, Abdrücke nach der Gemmensammlung des Baron von Stosch, um 1827 © Klassik Stiftung Weimar

Karl Gottlieb Künstler Reinhardt, Abdrücke nach der Gemmensammlung des Baron von Stosch, um 1827 © Klassik Stiftung Weimar

Eine Anstellung als Hauslehrer bei der Familie Grolmann führte ihn 1740 ein Jahr lang nach Osterburg  in die Altmark. In Jena begann er 1741 ein Studium der Medizin und höheren Mathematik. Die hier erworbenen anatomischen  Kenntnisse sollten bei seinen minutiösen Beschreibungen antiker Skulpturen später noch eine wichtige  Bedeutung erlangen. Nur ein Jahr später brach er das Studium – auch diesmal wieder ohne Abschluss – ab, um in Hadmersleben bei Magdeburg für den ältesten Sohn des Oberamtmannes Lamprecht abermals als Hauslehrer tätig zu werden.

Von 1743 kehrte er in die alte Heimat, die Altmark, nach Seehausen zurück und wurde dort als  Konrektor der Lateinschule für die Fächer Latein, Griechisch, Hebräisch, Geschichte, Geografie und  Logik tätig. Bei der Vermittlung der Schönheit der griechischen Dichtung legte er bisweilen allzu  hohe Maßstäbe an seine Schüler, so dass er diese Station seines Lebens selbst als reines »Martyrium«  empfand.

Aussicht auf eine Karriere in Rom

1748 siedelte er nach Sachsen über. In Nöthnitz bei Dresden arbeitete er sechs Jahre lang als  Bibliothekar beim Reichsgrafen Heinrich von Bünau und griff ihm bei dessen letztlich unvollendet  gebliebener Kayser- und Reichshistorie sowie der Katalogisierung seiner Bibliothek unter die Arme.  In diesem Umfeld konnte sich Winckelmann intensiv und erstmals auch wissenschaftlich mit Quellen,  Dokumenten und antiquarischen Stichwerken vertraut machen.

Als Mann mittleren Alters nutzte er ab 1754 ein Jahr lang die Möglichkeit in einer der bedeutendsten  Kunststädte nördlich der Alpen – in Dresden – die modernen und antiken Kunstschätze der  Residenzstadt, die Bibliothek und Königliche Galerie in Augenschein zu nehmen. In jener Zeit kam er  bei dem Maler Adam Friedrich Oeser, dem späteren Zeichenlehrer Goethes unter, der den Stendaler an  die Kunst heranführte.

Die Aussicht auf eine Karriere am katholischen Dresdner Hof und darauf aufbauend auch in Rom, brachte den  Protestanten Winckelmann schließlich dazu, nach jahrelangem Hadern 1754 zum Katholizismus zu  konvertieren. In Winckelmanns Dresdener Zeit datiert seine Erstlingsschrift Gedancken über die  Nachahmung der Griechischen Werke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst (1755), die er Friedrich  August II. von Sachsen widmete und daraufhin ein zweijähriges Stipendium für seinen so lang  ersehnten Italienaufenthalt zugesprochen bekam.

Karl Gottlieb Künstler Reinhardt, Abdrücke nach der Gemmensammlung des Baron von Stosch, um 1827 © Klassik Stiftung Weimar

Karl Gottlieb Künstler Reinhardt, Abdrücke nach der Gemmensammlung des Baron von Stosch, um 1827 © Klassik Stiftung Weimar

Im Herbst 1755 verließ Winckelmann die Residenzstadt Dresden. Seine Bestimmung führte ihn in seine spätere Wahlheimat Italien, genauer nach Rom, wo er rasch Kontakt zu dem sächsischen Oberhofmaler Anton Raphael Mengs aufnahm und damit  Zugang zu den angesehensten Künstler- und Gelehrtenkreisen erhielt. In den Bibliotheken von  Kardinal Domenico Silvio Passionei und Kardinal Alberico Archinto, in der Vatikanischen Bibliothek  und in der des Altertumkenners Kardinal Alessandro Albani konnte Winckelmann seine Kenntnisse  der Kunstliteratur weiter vertiefen. Als Oberaufseher über alle Altertümer Roms samt Umgebung  sowie als einer der Schreiber an der Vatikanischen Apostolischen Bibliothek wurden ihm hohe Ehren  zu Teil. Nebenbei hielt er Eindrücke seiner Reisen in die Albaner Berge, nach Tivoli, dem Golf von  Neapel und den gerade entdeckten antiken Ausgrabungsstätten Pompeji, Herculaneum, Portici und  Paestum in Form von Berichten und Briefen fest.

Vor allem das Studium der antiken Kunstwerke, so insbesondere der zahlreich überlieferten  Skulpturen in den Villen und Palazzi Roms, so vor allem des Laokoon, des Apollo und des Torso von  Belvedere, aber auch das eingehende Studium von 28.000 Gemmen und Gemmenabdrücken der  Sammlung des Baron Philipp von Stosch in Florenz, die er 1758/59 katalogisierte, machten ihn zu  einem sachkundigen Kenner antiker Artefakte. Alle Erkenntnisse und Einzelbeschreibungen fanden  Eingang in die Geschichte der Kunst des Alterthums (1764), seinem Hauptwerk, mit dem er zum  Begründer der modernen Kunstwissenschaft und Archäologie und zu einem Vermittler zwischen den  Kulturen und Fachwissenschaften avancierte.

Antonio Bernatti nach Vincenzo Sgualdi und Antonio Lazzari, von Antonio Bosa entworfene Denkmal für Johann Joachim Winckelmann in Triest, nach 1827 © Klassik Stiftung Weimar

Antonio Bernatti nach Vincenzo Sgualdi und Antonio Lazzari, von Antonio Bosa entworfene Denkmal für Johann Joachim Winckelmann in Triest, nach 1827 © Klassik Stiftung Weimar

Im April 1768 reiste Winckelmann über den Brenner nach Deutschland, um seine allerorts verteilten  Freunde wiederzusehen. Jedoch schon in Regensburg entschloss er sich überraschend zur Umkehr, wobei er über Wien nach Rom zurückzureisen beabsichtigte. Von Kaiserin Maria Theresia mit wertvollen Gnadenmedaillen für seine wissenschaftlichen Leistungen ausgezeichnet, machte Winckelmann auf seiner Rückreise Halt in Triest. Dort muss er seinen Schatz  einem »falschen Freund« gezeigt haben, der ihn am 8. Juni offenbar aus Habgier auf hinterlistige Weise mit fünf Messerstichen tödlich verletzte. In Triest befindet sich das aus weißem Marmor ausgeführte Grabmonument Winckelmanns, einem der einflussreichsten europäischen Gelehrten und Wegbereiter des Klassizismus.

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Ein Kommentar

  • “Aber Winckelmann hätte lange Zeit in den weiten Kreisen altertümlicher Überbleibsel nach den wertesten, seiner Betrachtung würdigsten Gegenständen umhergetastet, hätte das Glück ihn nicht sogleich mit Mengs zusammengebracht. Dieser, dessen eigenes großes Talent auf die alten und besonders die schönen Kunstwerke gerichtet war, machte seinen Freund sogleich mit dem Vorzüglichsten bekannt, was unserer Aufmerksamkeit wert ist. Hier lernte dieser die Schönheit der Formen und ihrer Behandlung kennen, und sah sich sogleich aufgeregt, eine Schrift vom “Geschmack der griechischen Künstler” zu unternehmen…”

    Ron -