Visualisierung des Grünen Labors am Tempelherrenhaus im Park an der Ilm, © Studio Boom, Jakob Müller

Das Grüne Labor: Kein Bau für die Ewigkeit

TEXT Ulf Lippitz  FOTOS Sebastian Wanke

Gedacht als temporärer Veranstaltungsort möchte das Grüne Labor im Weimarer Park an der Ilm Menschen zusammenbringen. Bei Diskussionen, Workshops und Spaziergängen soll über das Verhältnis zur Natur nachgedacht werden. Zoff ist ausdrücklich erlaubt.

Noch picken Meisen nach Insekten. Ruhen die Travertinsteine unter dem Moos. Ragt die krumme Gestalt der Esche in den Himmel. „Sturmgebeutelt“, so nennt Susann Paduch den Baum, „nicht mehr verkehrssicher“, heißt er bei Regina Cosenza Arango. Paduch gehört als Produktdesignerin zum Architektenteam, das im Park an der Ilm einen Pavillon entworfen hat, Cosenza Arango arbeitet für die Klassik Stiftung Weimar, die für die Grünanlage verantwortlich ist.

Ein Experiment oder der Zyklus der Natur – gegossen in die Architektur des Gebäudes, Illustration: Jakob Müller

Die Konsequenz beider Diagnosen: Demnächst muss der etwa zehn Meter hohe Riese fallen. Auch aus seinem Holz fertigen anschließend geschickte Hände Quader, die im Baukastensystem zu einem Pavillon zusammengefügt werden, der ab dem Frühling auf einem Holzpodest stehen und die Wiesenfläche um die Steine herum besetzen wird – gleich hinter der Ruine des Tempelherrenhauses in Weimar. Der Kreislauf des Lebens, er könnte kaum besser veranschaulicht werden. Aus dem Holz des Parks und des umliegenden Waldes wird ein Gebäude im Park, das bei Bedarf dem Park zurückgegeben werden kann. Das Grüne Labor, so werden es die Weimarerinnen und Weimarer nennen.

Erfurt will das Gewächs im Boden, Weimar das Gewimmel im Kopf

Eine temporäre Veranstaltungs- und Ausstellungshalle, erdacht nach den Prinzipien der Nachhaltigkeit, gestaltet nach den Ideen japanischer Zyklusarchitektur – wo Tempel nach Jahrzehnten wieder neu gebaut und das alte Holz zu Schreinen weiterverarbeitet wird.

Von wegen Romantikruine – einst wurden im Tempelherrenhaus Reden geschwungen und Ideen zerlegt

Die Stadt der Klassiker macht es diesmal ganz und gar nicht klassisch. Kein Bau für die Ewigkeit, kein Anspruch auf Pomp. Der fünf Meter hohe Holzquader mit Lüftungslöchern anstatt Fensterscheiben ist als Station der Bundesgartenschau konzipiert, die dieses Jahr 30 Kilometer entfernt in Erfurt eröffnet. „Die Schau in Erfurt ist ja ein bisschen klassisch gedacht“, sagt Cosenza Arango, die zuständige Projektleiterin im Referat Kulturelle Bildung. Blumen, Beete, Büsche. Erfurt will das Gewächs im Boden, Weimar das Gewimmel im Kopf. Denn trotz ihres Namens wollte die Stiftung genau das nicht: in Ehren ergraute Kultur anbieten. Lieber dachte man an das Arbeitsethos der berühmten Zeitgenossen jener überberühmten Epoche: Goethe, Schiller, Herder schrieben, dichteten, dachten modern im Kontext ihrer Zeit. Selbst der Monarch mochte progressive Ideen – wohldosiert. Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach ließ den Park an der Ilm einst als öffentlichen Ort der Begegnung anlegen und ermöglichte so ein Aufeinandertreffen der Schichten. Raus aus dem höfischen Zeremoniell, rein ins bürgerliche Leben. Der Knicks musste vermutlich trotzdem sein.

„Es gibt kaum einen Ort, an dem ein heterogeneres Publikum zusammenkommt“

„Wir verstehen den Park als Versuchsraum“, sagt Projektleiterin Regina Cosenza Arango vom Referat Kulturelle Bildung

Frau Cosenza Arango hat diesen liberalen Ansatz für das Grüne Labor übernommen. „Es gibt kaum einen Ort, an dem ein heterogeneres Publikum zusammenkommt.“ Joggerinnen, Spaziergänger, Hundehalterinnen. Studentinnen, Touristen, Weimarerinnen. Und nicht zu vergessen die Liebhaberinnen und Liebhaber entspannender Rauch mittel. Kifferwiese oder kurz „Ki-Wi“ nennen die Einheimischen das satte Grün vor dem Tempelherrenhaus. Eigentlich darf man sie nicht betreten, aber geahndet wird ein Verstoß nicht, so Cosenza Arango. Gerade sitzen mehrere Jugendliche im Kreis auf dem Rasen, dahinter spielen zwei Kinder Frisbee, ein Mann schiebt sein Fahrrad zu einem Platz in der Sonne. Am Ende der Sichtachse steht die Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Und an dieser Kreuzung des Lebens soll nun demnächst der Austausch der Ideen beginnen. „Wir verstehen den Park als Versuchsraum“, sagt Cosenza Arango. Früher sollten die geschwungenen Wege, Skulpturen und künstlichen Grotten die Empfindsamkeit der Menschen anregen. Heute redet die ganze Gesellschaft von Achtsamkeit und Naturbewusstsein. Wie wäre es, dafür ein Zentrum am Tempelherrenhaus einzurichten? Als Begegnungsstätte mit Platz für Workshops, einer offenen Bühne, als Versuchslabor eben. Ein Lyrikworkshop für Kinder, ein philosophischer Spaziergang für die Erwachsenen, Hauskonzerte von Meisterschülerinnen und -schülern der Hochschule für Musik. Und natürlich soll dazwischen auch gezofft werden. Wer bestimmt, was Erbe heutzutage bedeutet? Wie lange darf ein Baum leben? Die Esche hätte es interessiert.

Das Architektenteam Julius Tischler, Hannes Schmidt und Susann Paduch (v.l.n.r.) vom Studio Boom in ihrer Werkstatt

Noch ächzt der wettergeformte Baum. Produktdesignerin Paduch und Architekt Hannes Schmidt vom Studio Boom, das den Wettbewerb um das stationäre Grüne Labor gewonnen hat, schauen zu ihr hoch. Beide geben zu, dass sie, nach langen Jahren in Weimar, die fotogene Ruine gar nicht mehr wahrgenommen hätten. Brautpaare lassen sich davor ablichten, der Musiker Moby hat sie auf einem Plattencover verewigt, Joggerinnen und Jogger flitzen an ihr vorbei. „Sechs Minuten von hier bis zum Parkende“, sagt Langlauflaie Schmidt. Aber dass in dem Haus einst ein Salon geführt wurde, Reden geschwungen und Ideen zerlegt wurden, dass der Bauhaus-Meister Johannes Itten hier rauschende Feste gefeiert haben soll, davon wissen nur noch die wenigsten. Die Bomben des Zweiten Weltkriegs haben das Gebäude zerstört. Nachfolgende Generationen halten es bereits für eine jener Romantikruinen, die sich italienbesoffene Fürsten in ihre Parks stellten.

Kein Anspruch auf Pomp: Das Architektenteam vom Studio Boom präsentiert die Pavillonentwürfe des Grünen Labors vor dem Tempelherrenhaus

„Wer kann schon vorher sagen, ob so ein Kompostziegelstein zum Insektenhotel mutiert?”

Um sich auf das Projekt vorzubereiten, hat das Architektenteam nicht nur historische Dokumente gewälzt, sondern Trainee-Tage absolviert. Sie haben sich die Hände schmutzig gemacht. Sind mit den Parkpflegerinnen und Parkpflegern mitgegangen, haben Hecken geschnitten, Müll weggeräumt, Rasen gemäht und immer wieder Fragen gestellt, um Materialien für ihren Entwurf herauszufiltern. Wann fallen normalerweise Äste herunter? Welcher Baum könnte demnächst umkippen? Wann sammelt sich das meiste Laub auf den Wiesen? Die Antwort war, so erinnert sich Paduch, ganz eindeutig: „Das kommt darauf an.“ Hat gerade ein Sturm gewütet, ist wenig Regen gefallen, reicht das Wasserreservoir noch für die Pflanzen. Also musste das Architektenteam flexibel denken. Daraus entstand die Idee, die Fensterlücken sukzessive mit organischer Bausubstanz aufzufüllen. Dort kommen Kompostbriketts aus Biomasse hinein – Grundstoffe, die der Park je nach Saison hergibt. Über das Jahr hinweg wird sich der Raum verdunkeln und somit den Zyklus der Natur zum Gegenstand der Architektur machen. Ob das nicht fürchterlich rieche? „Bestimmt“, sagt Paduch begeistert. „Das ist die neue Natur.“ Und Schmidt ergänzt, dass genau darin auch das Experiment ihres Gebäudes bestehe. Wer kann denn schon vorhersagen, wie sich Pflanzen und Tiere im kommenden Jahr verhalten? Ob so ein Kompostziegelstein zum Insektenhotel an der Fassade mutiert oder zum Stinkekäse an der Holztheke? Die beiden freuen sich jedenfalls auf die große Unbekannte: das Klima. „Ultraspannend“ findet Paduch diesen Pavillon, „denn sonst ist die Stadt manchmal ein bisschen wie Disneyland.“

„Ultraspannend“ sei der Pavillon – „denn sonst ist die Stadt manchmal ein bisschen wie Disneyland“

Werden sie fürchterlich riechen? Kompostbriketts aus Biomasse werden zu organischer Bausubstanz des Grünen Labors

Mitten in diesem Bilderbuch-Weimar, zehn Minuten Fußweg entfernt, sitzt Kirsten Münch in ihrem Büro der Klassik Stiftung Weimar. Ein schöner Raum im barocken Wittumspalais, die Fassade graugrün gestrichen, Blumenbeete vor den Fenstern, einen Steinwurf entfernt stehen Goethe und Schiller Seite an Seite. Und während die Besucherinnen und Besucher Fotos von dem hübsch herausgeputzten Denkmal machen, erzählt Münch von Plattenbauten und Riesenparkplätzen. Sie redet von Weimar-West.

Mitten in diesem Bilderbuch-Weimar, zehn Minuten Fußweg entfernt, sitzt Kirsten Münch in ihrem Büro der Klassik Stiftung Weimar. Ein schöner Raum im barocken Wittumspalais, die Fassade graugrün gestrichen, Blumenbeete vor den Fenstern, einen Steinwurf entfernt stehen Goethe und Schiller Seite an Seite. Und während die Besucherinnen und Besucher Fotos von dem hübsch herausgeputzten Denkmal machen, erzählt Münch von Plattenbauten und Riesenparkplätzen. Sie redet von Weimar-West.

Dort will das Parkprojekt einen mobilen Veranstaltungsort einrichten, das „Grüne Labor Unterwegs“. Es untersteht Münch. Sie hat sich zu Beginn erst einmal gefragt: Wen erreichen wir eigentlich nicht mit unserem Programm? Etwa die, die hinter den Bahngleisen wohnen, die möglicherweise ein niedriges Einkommen und eine andere Muttersprache als Deutsch haben. Für die eine Eintrittskarte ins Museum zu teuer und das Grillverbot auf den Parkwiesen eine Lebenseinschränkung ist. Also hin zu den Ungehörten und ihnen zuhören, sie ernst nehmen, sie anregen – aber dieses Wort wäre Münch bestimmt zu didaktisch.

Bald auf großer Fahrt durch die Weimarer Quartiere: die Lastenräder des Teilprojekts „Grünes Labor Unterwegs“ mit Workshopangeboten, Illustration: Stiftung Freizeit

„Weimar ist wie eine Pizza, jedes zweite Stück ist mit Spinat belegt“, erklärt die Projektleiterin den Stadtaufbau. Die grünen Dreiecke sind Parks, die anderen Wohngebiete. Und Menschen aus manchen Stadtteilen finden eben nicht den Weg zu der Spinatecke. Also fahren ab April drei Lastenräder mit verschiedenen Aufbauten in die Quartiere und bieten Workshops an. Wie riecht die Natur? Wie schmeckt sie? Welche Extrakte kann ich aus einer Pflanze gewinnen – und wofür? Ganz genau kann man das im Moment nicht definieren. Alles noch im Fluss begriffen, wie die Natur auch. Das Unterwegs-Labor tankt noch Ideen.

„Weimar ist wie eine Pizza, jedes zweite Stück ist mit Spinat belegt“

Münch hofft auf einen „Eiswageneffekt“. Dass die Räder attraktiv genug sind, um Aufmerksamkeit zu generieren. Nicht weil sie von der Stiftung kommen, sondern weil die Gefährte von sich aus interessant wirken – eine visuelle Irritation zwischen den Plattenbauten. Pädagogisch geschultes Personal soll dabei mit den Weimarerinnen und Weimarern ins Gespräch kommen. „Im besten Fall haben die Teilnehmer und Teilnehmerinnen zehn Minuten Spaß gehabt, noch mit einem Fremden gesprochen“, so fasst Münch ihre Erwartungen zusammen, „und haben dabei über das eigene Verhältnis zur Natur nachgedacht.“ Unterschwellig läuft dieser Ansatz mit, nur eben „verkaufen“ wolle man mit den Lastenrädern nichts.

Mitte April soll das Grüne Labor starten, dann wird der Pavillon eingeweiht, beginnen die Lastenräder ihre Fahrten. Und wenn sich das Jahr 2021 langsam wieder dem Winter nähert, landet das temporäre Gebäude aus Holz im Lager, findet eine neue Bestimmung an anderer Stelle – oder wird eines Tages komplett zersägt und Mutter Erde wieder zugeführt. „Weniger Fußabdruck geht gar nicht“, sagt Architekt Schmidt.

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