Das Y in der sonntäglichen Roulade
Das Kultur:Labor der Klassik Stiftung Weimar erforscht typografisch die regionalen Mundarten in der Thüringischen Rhön. Dazu arbeiten die Kolleg*innen mit Lernenden des Rhöngymnasiums in Kaltensundheim.
Von Laura Meinhardt
aus der Abteilung Kulturelle Bildung
Die Fahrt von Weimar nach Kaltensundheim dauert ungefähr eineinhalb Stunden. Nachdem wir den Thüringer Wald südöstlich durchquert haben, eröffnen sich vor uns die malerischen Wiesen und Wälder des Biosphärenreservats Rhön. In dieser Region grenzen drei Bundesländer aneinander: Bayern, Hessen und Thüringen. Das ist auch der Grund für die Vielfalt der Mundarten, die hier gesprochen werden.
Die Schülerinnen und Schüler der Klasse 9c des Rhöngymnasiums in Kaltensundheim leben mit ihren Familien mehrheitlich seit vielen Generationen in dieser Gegend. Sie kennen und sprechen die regionalen Dialekte. Wir lernen viele neue Worte, z.B. dass „noachtsobende“ für „gestern“ benutzt wird und dass Klöße hier „Hütes“ heißen.

Alphabet der Schüler*innen – entwickelt aus regionalen Formen. Foto: Laura Meinhardt/ Klassik Stiftung Weimar
Mit Marie Czeiler und Antonia Dieti, zwei Grafikerinnen und Schriftgestalterinnen der Bauhaus-Universität Weimar, erkunden die Jugendlichen in zwei individuell konzipierten Workshops typografisch die regionalen Sprechweisen. Inspiriert von regionalen Formen und Begriffen gestalten sie ihr eigenes Schriftbild. So entsteht ein individuelles Alphabet, das für weitere grafische Experimente die Grundlage liefert.

Schüler*innen der 9c bei der Schriftgestaltung. Foto: Laura Meinhardt/ Klassik Stiftung Weimar
Regionale Gerichte, Gebäude, das erste eigene Moped oder das Kriegsdenkmal nutzen die Schüler und Schülerinnen zum formalen Ausgangspunkt für die individuelle Schriftgestaltung. Einer von ihnen findet ein Y in der sonntäglichen Roulade. Aber auch die regionale Natur wird zur Inspiration: aus Wolkenformen und Gewächsen entstehen individuelle Buchstabenformen.
Neben der Auseinandersetzung mit regionaler Sprache denken wir mit den Schülerinnen und Schülern auch darüber nach, wie unterschiedlich Schriften wirken können und welche Assoziationen sie in uns freisetzen. Typografie und ihre Wirkung hatten auch schon Goethe beschäftigt. Er veröffentlichte je noch Kontext sowohl in lateinischer Antiqua-Schrift und nicht nur in den damals üblichen Frakturschriften. Seine Mutter hingegen präferierte die Frakturschrift, die lateinischen Buchstaben hielt sie für „fatal“.

Antiqua- und Frakturschriftschnitte im Vergleich. Grafik: Laura Meinhardt/ Klassik Stiftung Weimar
Darüber hinaus erproben die Kollge*innen des Kultur:Labor im Zuge des neuen Themenjahrs 2022 “Sprache” mit den Schülerinnen und Schülern in ländlichen Räumen, was man mit Sprache alles „machen“ kann. Dies dient der Inspiration und zum Testen neuer Formate für die Neukonzeption der mobilen Vermittlungsstationen des “Co-Labor unterwegs” – dem Nachfolger des “Grünes Labor unterwegs”.

Grafik: Klassik Stiftung Weimar
Auf dem Rückweg nach Weimar sind wir froh über die vielen neuen Perspektiven, die wir in Kaltensundheim kennenlernen durften. Die Thüringer Landschaft zieht an uns vorbei, bevor Weimar wieder vor uns liegt. Wir freuen uns auf den nächsten Anlass, wenn es wieder heißt: raus aus Weimar, rein nach … Thüringen!
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