„Die übersandten Blätter sind mir von unendlichem Werth“
Unsere Zeit ist geprägt durch digitale Nachrichten. Zum internationalen Tag des Briefeschreibens am 1. September tauschen wir einmal die Tastatur gegen ein typisches Schreibset aus der Zeit um 1800. Doch wie muss man sich das Briefeschreiben zu dieser Zeit vorstellen?
Von Anne-Marie Düfert
aus dem Goethe- und Schiller-Archiv
„Die übersandten Blätter sind mir von unendlichem Werth, denn da mir die sinnliche Anschauung durchaus unentbehrlich ist, so werden mir vorzügliche Menschen durch ihre Handschrift durch eine magische Weise gegenwärtig.“
Dies schrieb Goethe am 10. Mai 1812 an den Philosophen und Schriftsteller Friedrich Heinrich Jacobi.
Im 18. Jahrhundert entstand eine neue Form des schriftlichen Austauschs, die sich von umständlichen Formeln und Konventionen löste: der Privatbrief. Diese Briefform verbreitete sich allmählich ständeübergreifend, was vor allem der vorangeschrittenen Alphabetisierung und dem Ausbau des Postwesens zuzuschreiben ist.
Der Brief entwickelte sich zum populärsten Mittel der schriftlichen Kommunikation, weil er Schreibende und Lesende einander nahebrachte, ohne dass eine physische Nähe bestehen musste. Der Brief stellte nicht nur ideell, sondern auch materiell eine Verbindung zwischen den Briefpartnern her.
Der meistgenutzte Beschreibstoff um 1800 war Hadernpapier, das aus Lumpen hergestellt wurde. Mitte des 19. Jahrhunderts etablierte sich die industrielle Papierproduktion aus Holzfasern. Da Holzschliffpapier sehr brüchig ist, kam es zunächst noch nicht als Briefpapier zum Einsatz. Die Größe des Bogens, seine Dicke, Qualität und Tönung konnten Rückschlüsse über die Beziehung und den sozialen Status des Absenders und des Adressaten liefern. Das Blattformat begrenzte den Raum für den Brieftext. Der Schreiber musste sich somit bereits vor der Niederschrift darüber gewiss sein, wie er den Text auf dem Blatt anordnen wollte.
Für den Privatbrief war im 18. Jahrhundert das Folioformat (etwa 27 mal 19 Zentimeter) üblich, oft zu einem Doppelblatt gefaltet. Zeitgenössisch ließen sich jedoch unterschiedliche Formate finden. Die verwendeten Bögen unterschieden sich auch hinsichtlich der Papierstärke, was ausschlaggebend für die Blickdichte war. Bei zu dünnem Papier bestand die Gefahr, dass die Schrift durchschlug und der womöglich vertrauliche Inhalt des Brieftextes so ungewollt sichtbar wurde.
Um eine besonders gute Lesbarkeit zu gewährleisten, wurde bevorzugt helles Papier verwendet. Besondere Anlässe erforderten auch damals besondere gestalterische Ausfertigungen. Ein gängiges, nicht ausschließlich dekoratives Element bildete das Wasserzeichen, eine im durchscheinenden Licht sichtbar werdende Prägung im Papierbogen. Das Wasserzeichen ist nicht nur wegen seines symbolhaften Charakters interessant. Es ermöglicht als Herstellersignatur auch historische Zuordnungen.
Weitere Gestaltungsmittel boten farbige Tönungen des Papiers sowie Verzierungen wie Goldschnitt oder schwarze Trauerbordüren. Je nach Anlass unterstrich die Verzierung den Inhalt optisch. Geschrieben wurde um 1800 überwiegend mit dem Kiel einer Gänsefeder und Tinte. Bevor der Gänsekiel als Schreibgerät benutzt werden konnte, wurde er gehärtet und zugeschnitten. Hierfür war handwerkliches Geschick erforderlich, wie es Schreibmeister besaßen. Die Flexibilität der Feder ermöglichte es dem Schreiber, dünnere Auf- und stärkere Abstriche zu ziehen, um so das Schriftbild ästhetisch zu gestalten. Angestrebt war eine zierlich gesetzte und gut lesbare Handschrift – ohne Verunreinigungen wie etwa Tintenkleckse.
Tinte galt als das gebräuchlichste Mittel, um die Schrift mit dem Schreibgerät auf dem Papier zu fixieren. Es kursierten diverse Rezepte für „gute Dinte“, die vom Schreibmeister oder dem Schreiber selbst hergestellt wurde. Damit die Schrift gut lesbar erschien, sollte die Tinte möglichst dunkel sein. Hauptbestandteile waren oft Galläpfelextrakt, Eisenvitriol, Gummi Arabicum und Wasser. Abweichungen in den Rezepturen führten zu verschiedenen Farben, die ebenfalls einen dekorativen oder symbolhaften Charakter besitzen konnten.
Zur Aufbewahrung der Schreibflüssigkeit diente das Tintenfass, welches fester Bestandteil eines Schreibsets um 1800 war. Dazu gehörte auch eine kleine Dose mit Löschsand, mit dem überschüssige Tinte getrocknet werden konnte.
Schreibsets besaßen damals einerseits einen praktischen Nutzen, andererseits erfüllten sie durch hochwertige Materialen und eine kunstvolle Verarbeitung auch repräsentative Zwecke. Vielleicht sollten wir von Zeit zu Zeit den Bildschirm gegen das Papier und die Tastatur gegen die „Feder“ tauschen, um den materiellen Reiz des Briefes wieder zu erfahren, wie er um 1800 spürbar war.
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