Goethe, Schiller und die Weimarer Klassik
Geheimratsecken: Frauenzimmer frei – Christiane und Goethe
Er ist wieder da. Johann Wolfgang von Goethe – Über die Liebe zu Christiane Vulpius und warum er ihr bis heute treu ist…
Ob ich treu gewesen sei, hat mich Maria jetzt gefragt. Wir standen im Hinterhaus vor Christianes Ölbild, und sie spürte, dass dieses Wesen mit den dunklen Locken und dem sanften Blick mir viel bedeutet hatte. Maria erinnert mich ein wenig an Christiane: ihr Sanftmut, ihr fröhliches Wesen, ihre Lieblichkeit. Und erst die praktische Veranlagung, mit der sie mir den Haushalt macht.
Aber ihre Frage fand ich vorwitzig. Ich kannte genug Damen, die ihr Herz mit mehreren teilen konnten und die Liebhaber tauschten, als sei’s ein Kartenspiel. Warum sollte ich mich da rechtfertigen?
Ich erinnerte mich einiger alter Verse, die ich einst über die Untreue der Frauen geschrieben hatte, und begann zu deklamieren:
»Wenn man zwanzig Freier zählet, keinen liebt und alle quälet, alle liebt und keinen wählet … wenn so zwanzig bettelnd stehn, oh wie lebt sich’s da so schön!«
»Mag sein«, unterbrach mich Maria, »aber ich habe dich gefragt, wie du es mit der Treue hältst! Du hattest früher ja wohl einen ganzen Strauß Freundinnen«. Mit vorwurfsvollem Blick reichte sie mir wie zum Beweis einen vergilbten Druck. Darauf war eine Galerie meiner Freundinnen versammelt unter der Überschrift »Frauengestalten aus Goethe’s Leben«.
Andächtig hielt ich das kuriose Blatt in der Hand. Wie konnte nur jemand auf die einigermaßen sinnleere Idee kommen, meine intimen Verhältnisse derart plakativ auszustellen? Was ging es die Nachwelt an, wann ich mit wem Briefe und mehr austauschte? War nicht das Werk groß genug, das ich zurückgelassen, dass man sich noch nach zweihundert Jahren über mein Privatleben beugen und mir allerlei Affären andichten musste?
Sogar mit der Majestät selbst soll ich etwas gehabt haben, hatte ein findiger Italiener behauptet.
Aber nicht nur in meinen Affären hat man geschnüffelt. Man hat ganze Bücher über meinen »Eros« verfasst, darin die wahren und die erdachten Frauen aufgezählt werden: Gretchen, Käthchen, Friederike, Hersilie, Ottilie – es klingt, als wär’ mein Liebesleben ein einziges Gedicht gewesen. Man hat sich erdreistet, mich »bindungsscheu« zu nennen und mich als »erotisch nicht so simpel« wie Freund Schiller darzustellen.
In Wirklichkeit hat sich alles, das will ich heute sagen, vom Anfang und vom Ende her betrachtet nur auf Christiane zugespitzt. In jungen Jahren war nur Sturm und Drang:
Die ich liebte, waren vergeben. Die mich liebten, denen entfloh ich bald. Bis Christiane kam. Sie blieb.
Zwei Jahrzehnte lang band sie mich nicht mit Pflicht, sondern mit Zärtlichkeit an sich. Was brauchte es da bürgerliche Ceremonien oder Weihrauch? Den 12. Juli haben wir immer als unseren Hochzeitstag gefeiert, seit wir uns im Jahre 1788 an jenem Tage zum ersten Mal begegneten im Park an der Ilm.
»Man kann in wahrer Freiheit leben, und doch nicht ungebunden sein«, habe ich mir immer gesagt, und so war es mit Christiane. Nie hat sie mich gedrängt, hat nie von Heirat gesprochen, wie’s so viele Frauenzimmer machen, die einen Mann einfangen wollen.
Wie wohl und wichtig war mir das, was sie mir schenkte in Nächten und bei Tage. Sie löste mich von der Frau mit dem Herzen von Stein, wie mich Italien vom dunklen Norden löste. Eine gute Mutter und Köchin war sie auch, die sich auf Karpfen, Hasen, Kalbskopf und auch Wild verstand. Ist das denn nichts?
Darf nicht ein Dichterfürst auch Mensch sein, der mit Wolljäckchen und Flauschpantalons im Lehnstuhl sitzt, um sich mit Frau und Kind von seiner Arbeit auszuruhen?
Aber nein, die Deutschen lieben es nicht, wenn ihre Olympier in die Niederungen der Menschlichkeit hinabsteigen. Sie setzen uns immer wieder oben auf den Gipfel, damit sie zu uns aufschauen können, bis der Nacken schmerzt. Aber da oben ist es kalt und einsam. Bei Christiane war es warm und lieb.
Aber wie hat man diese meine Frau verkannt! Der Hof zürnte und tratschte, dabei war sie eine anmutige Tänzerin auf den Redouten. Eine Zeit lang musste ich mit meiner kleinen unheiligen Familie gar vom Frauenplan weg vor die Stadt ziehen, weil unser Leben ganz Weimar skandalisierte. Nur die Witwe Schopenhauer reichte ihr die Teetasse, nachdem ich Christiane durch Heirat zur »Frau Geheimrat Goethe« gemacht hatte.
Kurz zuvor hatte sie mir mein Haus und sogar mein Leben gerettet. Resolut und mutig war sie an einem Oktobertag 1806 den marodierenden Franzosen entgegen getreten, die in mein Haus eindrangen, um es zu plündern. Ja, mein »Bettschatz« konnte mit ihren lieben Äugelchen so böse funkeln, dass selbst einem welschen Grenadier das Herz in die Hose rutschte.
Sicher war es der Neid, der ihr zu Lebzeiten Verleumdungen und nach dem Tod Vergessen eintrug. Ihr Grab hat man in den Jahrzehnten nach ihrem Tod verkommen lassen und sogar ihr Konterfei verwechselt mit dem der Friederike Vohs (vorzügliche Schauspielerin, aber – mein Gott – keine Ähnlichkeit mit Christiane). Diese Irrtümer sind korrigiert, wie ich zufrieden feststellen musste, als ich neulich meine Gemächer inspizierte. Sogar eine eigene kleine Kabinett-Ausstellung in Weimar hat man ihr gewidmet, erzählte mir Maria.
Ihr fragt nach Treue? Freiheit? Sie war ein freies Frauenzimmer, das sich bei allem gelegentlichen Kummer nicht von Etikette und Gerede betrüben ließ in ihrer Lebenslust. Inzwischen sind sogar Bücher über uns geschrieben worden. Meine Christiane war ihrer Zeit voraus, und wir Männer hinken ihr immer noch hinterher. Ihr bin ich treu bis heute – und lass’ ihr gern den Vortritt.