Ludwig Fulda u. a., An die Kulturwelt!, 04.10.1914, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB)

Ludwig Fulda u. a., An die Kulturwelt!, 04.10.1914, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB)

Ludwig Fulda u. a., An die Kulturwelt!, 04.10.1914, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB)

Ludwig Fulda u. a., An die Kulturwelt!, 04.10.1914, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena (ThULB)

Krieg der Worte

Rechtfertigungsschriften mit gegenseitigen Schuldzuweisungen hatten im Ersten Weltkrieg bei allen Kriegsparteien Konjunktur. Im intellektuellen Krieg um die öffentliche Meinung spielte die Ableitung des deutschen Verhaltens aus der spezifischen nationalen Kultur eine entscheidende Rolle.

 »An die Kulturwelt!«

Diese Debatte hatte gleich zu Kriegsausbruch der französische Philosoph Henri Bergson mit seiner These vom Rückfall der Deutschen in die Barbarei angestoßen und sie nahm im Verlauf der ersten Kriegsmonate an Schärfe zu. Für viele alliierte und neutrale Kommentatoren erhielt diese Sicht Bestätigung durch den von 93 deutschen Persönlichkeiten aus Kultur und Wissenschaft unterzeichneten Protest »An die Kulturwelt!« (1914), der nicht nur eine deutsche Kriegsschuld abstritt und die völkerrechtswidrige Verletzung der belgischen Neutralität verharmloste, sondern auch dem Vorwurf der Kriegsgräuel und der mutwilligen Zerstörung von Kulturdenkmälern durch deutsche Truppen widersprach.

Verfasser des am 4. Oktober 1914 in zahlreichen Tageszeitungen abgedruckten und ins Ausland verschickten Aufrufs war der Dramatiker Ludwig Fulda; zu den Unterzeichnern gehörten Max Planck, Ernst Haeckel, Rudolf Eucken, Max Liebermann, Hans Thoma, Gerhart Hauptmann und Max Reinhardt, wobei viele der betroffenen ohne die genaue Kenntnis des Textes ihre Zustimmung gegeben hatten und sich davon nach Kriegsende distanzierten.

Der apodiktische Ton des Aufrufs und seine Schlussthese, der Militarismus sei ein fester Teil der deutschen Kultur, wurden vielerorts als weiterer Beleg dafür gewertet, dass in deutschen Denktraditionen bereits der Kern zur Aggression angelegt sei.

Die auch auf Deutsch erschienene Broschüre »Why We Are at War« (1914) stammt von Oxforder Historikern: Ihre These lautet, dass Deutschland den Krieg zur politischen Staatsraison erhoben habe, was unter anderem anhand der Schriften des preußischen Historikers Heinrich von Treitschke belegt wird. Die Debatte über Deutschlands »zivilisierte Barbarei« dokumentierte die kurz zuvor gegründete und im Verlag der »New York Times« erscheinende Zeitschrift »Current History« vom Dezember 1914, indem sie die öffentliche Korrespondenz zwischen Romain Rolland und Gerhart Hauptmann sowie den »Aufruf der 93« nachdruckte.

Literatur: Brocke 1985; Hoeres 2004; J. u. W. v. Ungern-Sternberg 1996.


Ein Artikel aus dem Katalog zur Ausstellung »Krieg der Geister. Weimar als Symbolort deutscher Kultur vor und nach 1914«.

Ausstellung »Krieg der Geister. Weimar als Symbolort deutscher Kultur vor und nach 1914« | 1. August bis 9. November 2014 | Neues Museum Weimar

Rößler, J.: Krieg der Worte, S. 184 in: Hrsg. Wolfgang Holler, Gudrun Püschel , Gerda Wendermann unter Mitarbeit von Manuel Schwarz, KRIEG DER GEISTER. Weimar als Symbolort deutscher Kultur vor und nach 1914, Sandstein Verlag 2014