Unbekannter Künstler: Henriette von Wolzogen und Gustav Zick/Anton Graff: Friedrich Schiller, um 1790

Bauerbach 2020, Foto: Thomas Müller

Gedenktafel am Wohnhaus in Bauerbach von 1859

Mutig und menschlich:
Wie Henriette von Wolzogen einen Deserteur rettete

Nach seiner dramatischen Flucht aus Stuttgart fand Schiller in Bauerbach eine sichere Unterkunft. Jetzt wurde das Landgut saniert und wiedereröffnet.

Henriette von Wolzogen war eine starke Frau. Das war schon früh zu erkennen, als sie nach dem Tod des Ehemannes ihre fünf Kinder allein erzog. Doch Stärke war es nicht allein, die diese Frau in sich trug.

Als 35-Jährige wohnte sie 1780 vorübergehend in Stuttgart. Dort ließ sie ihre Söhne auf der Karlsschule ausbilden. Neben der strengen Ausbildung auf der elitären Militärakademie begeisterte sich ihr ältester Sohn Wilhelm für die Werke seines Kommilitonen, eines gewissen Friedrich Schiller. Es dauerte nicht lange und seine Mutter war genauso fasziniert von diesem rebellischen Schiller. Vor allem dessen Skandal-Stück „Die Räuber“ hatte es den beiden angetan.

Theobald Freiherr von Oer: Schiller deklamiert im Kreise der Mitschüler aus seinen „Räubern“, um 1830

Das Stück hatte es in sich: Es brachte einen neuen Robin Hood auf die Bühne. Es kritisierte Ständegesellschaft, Günstlingswirtschaft und menschenverachtende Gesetze. Eine Aussteiger-Bande sagte darin der Autorität der Väter den Kampf an. Doch damit nicht genug! Das Stück verstieß auch noch gegen alle möglichen Theater-Konventionen der Zeit. Bei der Uraufführung am 13. Januar 1782 in Mannheim tobte das Publikum:

„Das Theater glich einem Irrenhause, rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraume! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Türe. Es war eine allgemeine Auflösung wie im Chaos, aus dessen Nebel eine neue Schöpfung bricht,“

berichtet ein Augenzeuge.

Mit diesem vielversprechenden Literaten reist Henriette von Wolzogen im Mai 1782 nach Mannheim. Dort wollen sie sich eine Aufführung der „Räuber“ ansehen. Schiller ist zu dieser Zeit hauptberuflich als Militärarzt im Stuttgarter Regiment angestellt.

Pikant ist, dass der rebellische und von seiner Arbeit als Mediziner gelangweilte Schiller schon zum zweiten Mal ohne Urlaubsbewilligung seines Vorgesetzten aufbricht. Eigenlich muss er sich als Angehöriger des Militärs jede Reise an Orte außerhalb Württembergs genehmigen lassen. Als Carl Eugen von dem unerlaubten Ausflug erfährt, verhängt er 14 Tage Arrest. Viel schlimmer ist jedoch das Schreibverbot, das der Herzog ihm auferlegt. Mit seiner Gesellschaftskritik in den „Räubern“ hatte Schiller zu viele Menschen empört.

Maximilian Stieler: Schiller auf der Flucht mit seinem Freund Streicher, 1850

Derart in die Enge getrieben, fasst Schiller den Entschluss zur Flucht nach Mannheim, wo er sich eine Anstellung am Theater erhofft. Schließlich hatte der dortige Intendant seine „Räuber“ zur Aufführung gebracht! Zusammen mit seinem guten Freund Andreas Streicher, einem Musiker, schleicht sich Schiller in einer Nacht- und Nebelaktion am 22. September 1782 aus der Stadt. Mit im Gepäck: zwei alte Pistolen, ein wenig Kleidung, Bücher und ein Klavier. Die beiden haben Glück und werden an der Grenzstation nicht kontrolliert.

Doch in Mannheim angekommen zerschlägt sich Schillers Hoffnung schnell. Der Theater-Intendant Dalberg hatte zwar die „Räuber“ auf die Bühne gebracht, will sich aber auf keinen Fall den Herzog zum Feind machen. Schiller bittet Herzog Carl Eugen daraufhin noch einmal in einem Brief um die Rücknahme des bedrückenden Schreibverbotes. Doch dieser bleibt hart und lässt Schiller am 31. Oktober mit dem Vermerk „ausgewichen“ offiziell von der Regimentsliste streichen. Damit ist das Schlimmste eingetreten: Schiller gilt nun als fahnenflüchtig, ihm drohen harte Strafen. Nur durch die finanzielle Hilfe seines Freundes Streicher kann er sich irgendwie über Wasser halten.

Was dem Intendant Dalberg viel zu gefährlich ist, kümmert Henriette von Wolzogen wenig. Auch auf die Gefahr hin, sich selbst und ihren Kindern immens zu schaden, gewährt sie dem inkognito Reisenden Zuflucht in ihrem Haus in Bauerbach. Dorthin war der mittellose Schriftsteller am 30. November zu Fuß und trotz klirrender Kälte nur in leichter Sommerbekleidung aufgebrochen.

„Wie ein Schiffbrüchiger, der sich mühsam aus den Wogen gekämpft hat“,

schreibt Schiller später. Endlich im 300-Seeelen-Dorf bei Meiningen angekommen, findet er am 7. Dezember 1782 frierend und völlig übermüdet bei Henriette von Wolzogen die so lebensnotwendige Wärme und Sicherheit.

R. Weibezahl: Bauerbach, um 1860

Dabei ist ihr als Dame, die am württembergischen Hof verkehrt, durchaus bewusst, welche Folgen es nach sich ziehen kann, einem Deserteur zu helfen. Trotzdem weitet Henriette von Wolzogen ihre Hilfe noch aus. Schiller darf unbefristet bleiben. Obwohl sie selbst nicht reich ist, leiht sie ihm außerdem Geld und rettet ihn so vor dem finanziellen Ruin. Monatelang ermöglicht sie ihm, in Ruhe an dem bürgerlichen Trauerspiel „Louise Millerin“ (später „Kabale und Liebe“) zu arbeiten und Studien für den „Don Carlos“ zu betreiben. Auch das Geld für seine Abreise aus dem einsamen Exil am 24. Juli 1783, als die Wogen im Streit mit dem Herzog geglättet sind, leiht sie ihm. Zurück in Mannheim erhält Schiller endlich die ersehnte Anstellung am Theater und kann selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen.

Seine Mäzenin stirbt am 5. August 1788 im Alter von 43 Jahren. Rückblickend schreibt Schiller über das Glück, in Krisenzeiten eine Freundin wie Henriette von Wolzogen gehabt zu haben:

„Was ich Gutes haben mag ist durch wenige Vortrefliche Menschen in mir gepflanzt worden, ein günstiges Schicksal führte mir dieselben in den entscheidenden Perioden meines Leben entgegen, meine Bekanntschaften sind auch die Geschichte meines Lebens.“

Das Haus in Bauerbach heute

Das Wohnhaus in Bauerbach 1860 und 2013, Foto: T. Lieberenz

Zum Andenken an Schillers Flucht und seine lebensrettende Aufnahme im Haus Henriettes von Wolzogen wurde an Schillers 100. Geburtstag 1859 eine Gedenktafel am Giebel des Hauses angebracht. Das Bauerbacher Haus war damit eine der ersten Dichter-Gedenkstätten überhaupt. Die Verehrung von Schiller als dem Dichter der Freiheit war gerade zur Zeit der Revolution von 1848 und des erstarkenden Nationalbewusstseins auf ihrem Höhepunkt. Auch zuvor hatte man schon versucht, sein Arbeits- und Schlafzimmer im ursprünglichen Zustand zu erhalten und im Rahmen von privaten Führungen zugänglich zu machen.

Als man in den 1960er-Jahren das Fachwerk freilegte und Zierelemente ergänzte, veränderte sich das Aussehen des Hauses erheblich. Dass man sich bei den 2019 begonnenen Instandsetzungsarbeiten durch das Architekturbüro Studio Gründer Kirfel nun entschied, das Fachwerk wieder zu verputzen, hat vor allem konservatorische Gründe. Feuchtigkeit war an einigen Stellen in die Balken eingedrungen. Eine Putzschicht schützt vor solchen Schäden künftig besser.

Denkmalpflegerinnen und Denkmalpfleger versuchen zudem, in akribischer Detektivarbeit zu rekonstruieren, wie das Gebäude wohl in Schillers Zeit ausgesehen haben mag. War es tatsächlich verputzt? Es gibt keine Quellen. Früheste Darstellungen aus dem 19. Jahrhundert zeigen allerdings eine Putzfassade – wie aktuell auch wieder.

(Die biographische Darstellung basiert auf Peter-André Alt: Schiller. Leben – Werk – Zeit. München 2000.)

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