Mythos Caroline:
Der Stern von Weimar
Die Bevölkerung war begeistert, als das frisch vermählte großherzogliche Paar am 2. Juni 1903 in Weimar ankam: Überraschend hatte sich der Großherzog mit Caroline Reuß zu Greiz verlobt, wodurch nicht bloß der Fortbestand des Hauses Sachsen-Weimar-Eisenach gesichert, sondern auch eine Frau gefunden schien, die den Erwartungen der Bevölkerung entsprach.
Die junge Prinzessin war standesgemäß, galt als gebildet, feingeistig und charmant.
Mit ihrem Ehemann teilte sie das Schicksal, bereits in jungen Jahren Vollwaise geworden zu sein.
Ihr Glück fand Caroline jedoch auch in Weimar nicht: Die Ehe mit Wilhelm Ernst gestaltete sich schwierig. Charakterlich unterschieden sich die beiden ebenso wie in ihren Interessen. Caroline war introvertiert und besaß einen gewissen Eigensinn, Wilhelm Ernst galt als cholerisch.
Er begeisterte sich für Technik und besonders für die Jagd, die Caroline ablehnte.
Sie brannte für Literatur und Musik und liebte Gesellschaften, die ihm wiederum lästig waren. Zudem schien seine Zuneigung zu ihr stärker als umgekehrt.
Auch zum Hofstaat pflegte sie ein schwieriges Verhältnis, Vertraute fand sie aber unter anderem in Hans Olde, Henry van de Velde und Harry Graf Kessler. Die Protagonisten des Neuen Weimar hofften in Caroline eine Fürsprecherin für ihre Pläne am Hof zu finden.
Und auch in der Bevölkerung genoss sie aufgrund ihrer volksnahen Art hohes Ansehen.
Kaum 19 Monate in Weimar, erkrankte Caroline an einer Lungenentzündung und starb am 17. Januar 1905 im Alter von nur 20 Jahren.
Der frühe Tod rief allseits tiefe Bestürzung hervor.
Rasch verbreitete sich das Gerücht, die unglückliche Großherzogin habe sich das Leben genommen oder ihren Tod zumindest herausgefordert, obwohl die Ehe zuletzt eine positive Wendung zu nehmen schien.
Die Falschmeldung stammte wohl aus der italienischen Zeitung »Giornale d’Italia« und wurde auch in deutschen Zeitungen publiziert; die genauen Todesumstände variierten jeweils. Wilhelm Ernst veranlasste deshalb die Veröffentlichung des Obduktionsberichts.
Doch die Gerüchte ließen sich nicht mehr aus der Welt schaffen – der Monarchie war die Kontrolle über die eigene Inszenierung endgültig entglitten.
Bereits auf der Hochzeitsreise von Caroline und Wilhelm Ernst im Frühjahr 1903 war ein solcher Fall eingetreten: Aus Zeitgründen war es nicht möglich gewesen, das Großherzogliche Paar gemeinsam abzulichten.
Der Hofphotograph Louis Held erstellte eine Montage aus zwei Einzelporträts – er berücksichtigte dabei sogar die Beförderung des Großherzogs zum Generalmajor und montierte neue Epauletten –, um die große Nachfrage nach einem Foto des Paares zu bedienen.
Doch aufgrund der Montage wirkte das Bild starr und lieblos und wurde später fälschlicherweise als Beleg für die unglückliche Verbindung herangezogen.
Bereits kurz nach Carolines frühem Tod setzte eine Verklärung ihrer Person ein.
»Die schönen Künste in den Tempeln wachzurufen,
Und huldvoll sie zu hegen an des Thrones Stufen […]
Und Not und Elend wandeln um in Wohlergehen,
Das alles hofften wir von Deinem hehren Kommen […].«,
schrieb die »Weimarer Landeszeitung Deutschland« und verlieh damit den enttäuschten Hoffnungen der Bevölkerung Ausdruck.
Ihre kurze Regentschaft wurde, auch im Verhältnis zu ihren Vorgängerinnern, gewürdigt. Sogar mit der Heiligen Elisabeth wurde sie verglichen.
»Der Roland von Berlin« veröffentlichte unter dem Titel »Der Stern von Weimar« eine besondere Würdigung der Verstorbenen:
»Die Stätte ist uns heilig. Wer sie uns von neuem heiligt, der mag als Genius der Deutschen angebetet werden. Die Großherzogin Karoline schien zu dieser Mission berufen, das Volk glaubte es gewiß. Sie ging wahrhaft auf wie ein neuer Stern über dem alten, vermorschten Weimar«
Mit ihrem Tod ging zwar eine wichtige Fürsprecherin der modernen Künste am Hof verloren, ihre Bedeutung wurde im Nachhinein jedoch überhöht.
Auch nach ihrem Tode unterstützte Wilhelm Ernst die Künste weiter.
Eine wohl realistischere Beschreibung des Paares lieferte Kessler im Jahr 1903, noch vor seinem Zerwürfnis mit Wilhelm Ernst:
»Die Grossherzogin naiv und spontan im Kunstgenuss; zuerst immer kleiner Kampf zwischen Etikette und impulsiver Hingabe; diese dann immer siegreich. Grosse Natürlichkeit. Der Grossherzog ist überlegt und kälter, aber aufmerksam und entschlossen, mitzugehen.«
Weitere Informationen zur Thüringer Landesausstellung finden Sie unter »Die Ernestiner. Eine Dynastie prägt Europa«