Hat die Graphischen Sammlungen zu Weimar international bekannter gemacht: Der Kunsthistoriker Prof. Dr. Hermann Mildenberger geht nun in den Ruhestand. Foto: André Kühn

„Sie muss raus aus Weimar“

das Interview führte Jeanette Miltsch

Prof. Dr. Hermann Mildenberger verabschiedet sich als Leiter der Graphischen Sammlungen in den Ruhestand. Im Interview verrät der Kunsthistoriker, warum es so wichtig ist, international zu denken.

Er gilt als „ungeheuer belesen“, „hervorragender Netzwerker“, „sicherer Stilkenner“ und „ganz besondere Persönlichkeit“ – nach fast 30 Jahren verabschiedet sich Prof. Dr. Hermann Mildenberger von der Klassik Stiftung Weimar in den Ruhestand. Mit 38 Jahren übernahm er 1993 die Leitung der Graphischen Sammlungen zu Weimar, die mit 230.000 Werken zu den bedeutendsten ihrer Art in Deutschland zählen. Nach jahrzehntelangem Dornröschenschlaf begann mit Hermann Mildenberger nach der Wende ein reger wissenschaftlicher Austausch im In- und Ausland.

Herr Mildenberger, nach 30 Jahren als Leiter der Graphischen Sammlungen sind Sie nun im Ruhestand – wie fühlt sich das an?

Sehr skurril. Ganz glauben kann ich es noch nicht. Aber ich arbeite ja noch als Honorarprofessor an der Universität Jena und an Buch-Projekten. Langweilig wird mir also nicht.

Von allen Kunstgattungen haben Sie sich der Graphik verschrieben. Was fasziniert Sie so an Zeichnungen und Drucken?

Als ich mit 17 Jahren in einem Pariser Museum zum ersten Mal vor einer Zeichnung von Victor Hugo stand, war ich – wie man heute so sagt – geflasht. Das war Liebe auf den ersten Blick. Handzeichnungen verraten sehr viel von der Persönlichkeit eines Künstlers. Sie sind viel unmittelbarer als beispielsweise Ölgemälde, die immer wieder überarbeitet werden können.

Mit Victor Hugo haben Sie sich im Laufe der Jahre sehr intensiv beschäftigt…

Das stimmt. Der Franzose war ja nicht nur Schriftsteller. Er schuf auch Zeichnungen und Graphiken. Solche Mehrfachbegabungen bei Künstlern faszinieren mich. Wir hatten das Glück, der Weimarer Sammlung zwei bedeutende Werke des Franzosen zuführen zu können. „Vision“ stammte aus dem Familienbestand, „Landschaften mit Ruinen“ erwarben wir im Kunsthandel.

Victor Hugo (1802 – 1885): Vision, Pinsel in Braun auf Papier.

Victor Hugo (1802 – 1885): Vision, Pinsel in Braun auf Papier.

Victor Hugo: Landschaft mit Ruinen, Pinsel in Braun und wässriger Pinsel auf Packpapier, ca. 1847-1851

Neben Hugo gelangten dank Ihnen viele weitere Originale in die Graphischen Sammlungen nach Weimar, häufig waren das auch Schenkungen wie die von Wilhelm Winterstein. Wie ist es Ihnen gelungen, so viele wichtige Sammlungslücken zu füllen?

Im Laufe der Jahre habe ich ein gutes Netzwerk in der deutschen und internationalen Kunstszene aufbauen können, ohne das vieles nicht möglich gewesen wäre. Bei der Aufarbeitung der französischen Zeichnungen des 17. und 18. Jahrhunderts hat sich beispielsweise Pierre Rosenberg , der frühere Direktor des Louvre, bereit erklärt, das Forschungsprojekt zu unterstützen. Ganz ohne Bezahlung, aus purem Interesse, kam er mehrfach nach Weimar, um mit mir an Originalen zu forschen. Rosenberg vermittelte dann Ausstellungen in Paris und New York. Dafür bin ich ihm sehr dankbar.

Durch Ausstellungen in Paris, Rom, Madrid, Mailand, Helsinki und Amsterdam ist das Ansehen der Graphischen Sammlungen zu Weimar enorm gewachsen…

Es bringt ja nichts, hier für sich im kleinen Weimar zu forschen. Der Bestand unserer Graphischen Sammlungen ist nicht nur ungeheuer umfangreich, sondern auch sehr gut. Die Sammlung muss ein großes Publikum erreichen, sie muss raus aus Weimar, sonst wird sie nicht wahrgenommen.

Was haben Sie nun vor – ohne Ihre Arbeit bei der Klassik Stiftung Weimar?

Ich war schon immer viel auf Reisen. Ich möchte den Kontakt zu meinen wissenschaftlichen Freunden vertiefen und die Forschung vorantreiben. Wichtig ist mir auch der Austausch mit Studenten. Sie hinterfragen und zweifeln Dinge an. Das ist gut. Sie sollen Werke nicht nur aus Büchern oder dem Internet kennen – das ersetzt nicht den Umgang mit Originalen. Die haptische Erfahrung ist sehr wertvoll.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Graphischen Sammlungen?

Oh, da gibt es noch viel zu tun! Die Werke deutscher und einiger englischer Künstler sind noch nicht alle aufgearbeitet. Mir liegt aber vor allem eins am Herzen: die weitere Ergänzung dieser wunderbaren Graphischen Sammlungen zu Weimar.

Wir bedanken uns sehr herzlich bei Ihnen, lieber Herr Mildenberger, und wünschen Ihnen alles Gute im neuen Lebensabschnitt!

Mehr zum Thema: 

Aus den Graphischen Sammlungen Weimar – Eugène Delacroix

Goethe – Tischbein – Warhol: Die Herausbildung einer Ikone

Das Rätsel um den Weimarer „Dürer-Hasen“

Alle News monatlich kompakt in unserem Newsletter: Hier anmelden!