Schillerzimmer, Foto: Thomas Müller

Achteckzimmer, Foto: Thomas Müller

Goethegalerie im Weimarer Schloss, Foto: Thomas Müller

Angelica Facius (nach einer Vorlage von Bernhard Neher): Supraporte in der Goethegalerie

Schillerzimmer im Weimarer Schloss, Foto: Thomas Müller

Achteckzimmer im Weimarer Schloss, Foto: Thomas Müller

Ein Pantheon für Weimars
Dichter

So entstanden die Dichterzimmer im Weimarer Schloss.

Ein rauschendes Fest mit Feuerwerk am Stuttgarter Hof nutzte der junge Schiller, um aus seinem beengenden Umfeld zu fliehen – ein Deserteur! Heute steht seine Büste von einem Ehrenkranz umgeben in einem ihm zum Gedächtnis eingerichteten Zimmer des Weimarer Residenzschlosses. Der Weg dorthin war ein weiter:

Ein Brand vernichtete 1774 das Schloss der Weimarer Herzöge. Erst am 1. August 1803 konnte Herzog Carl August von Sachsen-Weimar-Eisenach mit seiner Familie feierlich in das wiederhergestellte Residenzschloss einziehen. Dabei war ihm der Bau des neuen Westflügels ein besonderes Anliegen, denn damit wollte er das alte beengte Schlossgebäude noch erweitern. Hatte er doch seiner Schwiegertochter Maria Pawlowna versprochen, für eine angemessene Wohnung zu sorgen. Immerhin war die junge Frau als Schwester des russischen Kaisers Petersburger Verhältnisse gewohnt! Der Bau verzögerte sich jedoch immer mehr, nicht zuletzt aufgrund ungeklärter finanzieller Zuständigkeiten. Erst 1831 konnte Maria Pawlowna, nun selbst Großherzogin, ihre neuen Wohnzimmer beziehen. Trotzdem stand ein Großteil der Räume im Westflügel noch leer und wurde nun doch nicht benötigt.

Richard Lauchert: Maria Pawlowna von Sachsen-Weimar-Eisenach, 1854

Mit finanzieller Unterstützung aus St. Petersburg ließ Großherzogin Maria Pawlowna 1835 einige Stücke aus der Antikensammlung im venezianischen Palazzo Grimani ankaufen. Darunter zwei Sarkophag-Reliefs mit Darstellungen aus der Iphigenie-Geschichte, die lebensgroßen Figuren der Muse Thalia und des Gottes Äskulap, eine Doppelherme wie zwei Kandelaber. Diese Werke wollte die kunstbegeisterte Großherzogin in der noch nicht ausgebauten Galerie des Westflügels präsentieren.

Wandfresken mit Szenen aus Goethes antiken Texten sollten den Charakter der Sammlung als Hintergrund unterstreichen. Für diesen ambitionierten Plan ließ Maria Pawlowna Rat beim preußischen Architekten Karl Friedrich Schinkel einholen. Unter Schinkel waren im Berliner Stadtschloss beispielsweise der Sternensaal sowie der Teesalon für das preußische Kronprinzenpaar umgesetzt worden. Davon flossen Gestaltungselemente mit in die Weimarer Planungen ein.

Entwurf zur Hauptwand der Goethegalerie

Karl Friedrich Schinkel: Entwurf zur Hauptwand der Goethegalerie des Weimarer Schlosses mit Szenen aus Goethes “Prometheus” und “Achilleis”, 1836

Da sich unter Goethes mythologischen Texten nur wenig selbsterklärendes Bildmaterial fand, sollten schließlich Szenen aus seinem Gesamtwerk den Inhalt der Wandfresken bilden. Das dichterische Werk, das ursprünglich nur als Beiwerk der Antikensammlung gedacht war, rückte damit mehr und mehr ins Zentrum des Zimmers. Die Idee der Goethegalerie war geboren! Da lag es auf der Hand, weitere Gedächtnisräume auch für Schiller, Wieland und Herder einzurichten. Die Kosten übernahm die Hofkasse der Großherzogin. Gelder also, die ihr aus Steuereinnahmen zur Verfügung standen.

Entwurf zur Goethegalerie

Bernhard Neher: Entwurf zur Hauptwand der Goethegalerie

Die Dichter Zimmer stehen nunmehr vollendet in ihren Glantze da und nehmen sich gut aus.“ Maria Pawlowna

Dass Maria Pawlowna mit den Dichterzimmern von Anfang an gleichzeitig ein didaktisches Ziel verfolgte, zeigt sich an Tafeln, die den szenischen Inhalt der Fresken erklärten. Kulturreisende oder auch Klassen höherer Töchterschulen waren es, die sich vom Schlosskastellan durch die Zimmer führen ließen.

Beginn des Rundganges war das heutige Löwenportal. Pompejanische Malereien verbanden Portal, Treppe und Entree gestalterisch. Auftakt der Dichterzimmer bildete das Achteckzimmer, in dessen Wandschränken Devotionalien, wie Handschriften oder Haarlocken, der vier Dichter ausgestellt wurden. Neben den Gästebüchern lag außerdem ein Album aus, das Königin Augusta von Preußen gestiftet und Alexander von Humboldt mit einem eigenhändigen Vorwort versehen hatte. Rechter Hand folgte das Schillerzimmer, dessen Wandvertäfelungen damals noch steingrau gebeizt waren, linker Hand die Goethegalerie. Der Rundgang setzte sich über den Roten Samtsaal mit szenischen Ansichten aus der Geschichte des Großherzogtums über das Herderzimmer fort. Schlusslicht bildete das kleine Wielandzimmer, hinter dem die sogenannte Wielandtreppe die Besucher wieder nach draußen führte.

Gerne traten die Weimarer Großherzöge als stolze Förderer von Kunst und Musik auf. Bereits Carl August gestattete es, dass sich Gäste durch die fürstlichen Wohnzimmer führen ließen. Hier gab es nicht nur exquisite Möbel, sondern auch Kunstwerke großer Meister und einheimischer Künstler zu sehen. Neben dem Willen zur Repräsentation trat nun der Gedanke einer Musealisierung der fürstlichen Sammlungen. Dieser verstärkte sich in der Idee der vier Dichterzimmer als ausschließliche Sammlungsräume. Mit ihnen reagierte der Weimarer Hof zudem auf ein öffentliches Bedürfnis nach Erinnerungskultur im Zuge der erstarkenden deutschen Nationalbewegung. Noch bevor die Dichterdenkmäler auf den Plätzen Weimars aufgestellt wurden, hatte der Hof öffentliche Gedächtnisräume für die vier Schriftsteller geschaffen.

Zu Goethes 100. Geburtstag konnten die Dichterzimmer drei Tage lang unentgeltlich besucht werden. Das Weimarer Fürstenhaus wusste also auch die Verehrung Goethes, Schillers, Wielands und Herders geschickt für sich selbst zu nutzen. Konnten Herzogin Anna Amalia und ihr Sohn Carl August noch als Förderer und Wegbereiter der Weimarer Klassik auftreten, blieb der zweiten Generation um Carl Friedrich und Maria Pawlowna nur die Erinnerung an sie wach zu halten. Lesungen und Konzerte in den Dichterzimmern unterstützten dieses Anliegen.

Decke des Herderzimmers, Foto: Thomas Müller

Nach aufwändigen Reinigungen von jahrhundertealtem Staub erstrahlen die vier Dichterzimmer heute fast wieder in altem Glanz. Beinahe unverändert können wir sie noch immer erleben und versuchen, die Szenen auf den Wandfresken zu entschlüsseln. Doch lohnt auch ein Blick nach oben, wo polierte Bronzeleuchter an zierreichen Decken hängen oder nach unten auf die prächtigen Parkettfußböden. Fasziniert und nachdenklich verlassen wir die Zimmer wieder.