Intervention Goethe-Nationalmuseum © Klassik Stiftung Weimar

Die leidvolle Geschichte hinter einer Schenkung

Sechs Zeichnungen von Christoph Heinrich Kniep werden erstmals im Goethe-Nationalmuseum ausgestellt. Die Exponate erzählen viel über den Künstler und Reisebegleiter Goethes, sie erzählen aber auch vom tragischen Schicksal ihres Vorbesitzers.

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Vor 81 Jahren, am 13. Oktober 1939, erhielt die Goethe-Gesellschaft einen Brief, in dem Heinrich Mayer aus Hamburg dem Goethe-Nationalmuseum „19 Handzeichnungen von Kniep” als Geschenk anbot. Goethe-Fans ist der Hildesheimer Christoph Heinrich Kniep (1755-1825) als Zeichenlehrer und Reisebegleiter Goethes nach Sizilien bekannt.

Mit einer Kabinettausstellung präsentieren jetzt die Kuratorinnen Nora Belmadani und Marie Florentine Holte die kleinformatigen, unaufgeregten Zeichnungen nicht nur erstmals in einer eigenen Schau, sie würdigen damit auch ihren Vorbesitzer Heinrich Mayer. Der zentral im Ausstellungsraum platzierte Schenkungsbrief regt dazu an, die Zeichnungen mit dem Wissen um das persönliche Schicksal des Vorbesitzers zu betrachten.

1942 ins KZ deportiert

Die Provenienzforscher der Klassik Stiftung haben die Herkunft des Kniep-Konvoluts genauer untersucht. Dazu betrachteten sie zunächst den Eintrag im Neuerwerbungsbuch des Goethe-Nationalmuseums: „Geschenkt von Heinrich Mayer in Hamburg, Sierich-Str. 126.“ Keine weiteren Informationen. Im Goethe-und Schiller-Archiv stießen sie auf den Schenkungsbrief an die Weimarer Goethe-Gesellschaft. Darin erläutert Mayer, dass er die Zeichnungen von seinem Bruder geerbt hat. Dieser wiederum habe sie vom Sohn eines Zeichenschülers von Kniep in Florenz erworben.

Brief von Heinrich Mayer an die Goethe-Gesellschaft, 10. Oktober 1939, © Klassik Stiftung Weimar

In einer Internetrecherche ließen sich weitere biografische Infos aufspüren: Heinrich Mayer (1866-1942) war Kaufmann in Hamburg und besaß eine Firma für Kaffee-Import. Er und seine Frau wurden aufgrund ihrer jüdischen Herkunft von den Nationalsozialisten verfolgt. Bereits 1933 verlor Mayer die Mitgliedschaft in der Goethe-Gesellschaft. In den folgenden Jahren trieben die Nationalsozialisten ihn in den finanziellen Ruin. 1939 war er dazu gezwungen, seine Firma zu verkaufen.

Als Mayer die Zeichnungen dem Goethe-Nationalmuseum schenkte, hatte er bereits sein gesamtes Vermögen verloren. 1942 wurde das Ehepaar ins KZ Theresienstadt deportiert, wo Heinrich Mayer im selben Jahr starb. Seine Frau wurde später im KZ Auschwitz umgebracht.

Marie und Heinrich Mayer in Hamburg, nach Oktober 1938 © Die Patriotische Gesellschaft von 1765, Hamburg

„Wir müssen annehmen, dass Heinrich Mayer Angst um seine letzten verbliebenden Besitztümer hatte. Dazu gehörte das Konvolut der Kniep-Zeichnungen“, erläutert Sebastian Schlegel, Provenienzforscher an der Klassik Stiftung Weimar. Im Goethe-Nationalmuseum wähnte Mayer die Skizzen in Sicherheit.

Für das heutige Team der Provenienzforschung stand rasch fest: Die Schenkung ist im Zusammenhang einer individuellen Verfolgung und Notlage zu sehen. Die Stiftung entschied sich daher für die Rückgabe der Zeichnungen an die Erben Heinrich Mayers und kaufte sie von ihnen an. So ist das Kniep-Konvolut seit 2018 – nach fast 80 Jahren – rechtmäßig im Besitz des Goethe-Nationalmuseums.

Christoph Heinrich Kniep (1755–1825), Landhäuser (1821), Bleistift auf Papier, © Klassik Stiftung Weimar

Bei den jetzt ausgestellten Zeichnungen, etwa 35 Jahre nach Knieps Reise mit Goethe entstanden, handelt es sich um sehr akkurat ausgeführte Studien der italienischen Landschaft. Auf der Bleistiftzeichnung „Landhäuser“ von 1821 beispielsweise ist die typische Architektur der Häuser Süditaliens genau wiedergegeben. Die Bäume lassen sich als Zypressen und Pinien identifizieren. Die Zentralperspektive ist korrekt.

Verkauf an vornehme Reisende

„Studien wie diese, sogenannte Veduten, entstanden für den Verkauf an gebildete und vornehme Reisende auf der Grande Tour“, erklärt Hermann Mildenberger, Leiter des Fachbereichs Graphische Sammlungen an der Klassik Stiftung Weimar. Kunsthistorikerin Nora Belmadani ergänzt: „Zugleich waren die Skizzen eine Art Wörterbuch, in dem Kniep Motive nachschlagen konnte.“ Denn der spezialisierte sich darauf, in Rückgriff auf sein Skizzen-Repertoire großformatige Zeichnungen mit idealen italienischen Landschaften zu schaffen.

Christoph Heinrich Kniep (1755–1825), Heroische Landschaft mit Apoll und Midas (1789), Feder in Grauschwarz über minimalen Spuren von Bleistiftvorzeichnung, Pinsel in Braun, mit Feder in Grauschwarz abgesetzte Randleiste, getönt Pinsel in Graugrün © Klassik Stiftung Weimar

Ein Beispiel hierfür ist das Bild „Heroische Landschaft mit Apoll und Midas“ (1789), durch Herzogin Anna Amalia während ihrer Italienreise von Kniep erworben: Motive aus verschiedenen Skizzen sind miteinander vereint und bilden eine großformatige arkadische Landschaft. Bilder wie dieses dürften als die eindrucksvolleren Werke Knieps gelten.

„Die Skizzen aus Mayers Besitz gehören indes nicht zu den herausragenden Zeichnungen und waren damals wahrscheinlich wenig im Handel, sondern eher auf verschiedene Sammlungen verteilt“, erläutert Hermann Mildenberger. Das sei „absolutes Spezialinteresse“ gewesen.

Mayers Schicksal berührt

Als Goethe-Verehrer und Mitglied der Goethe-Gesellschaft Hamburg wusste Mayer um den Sammelwert der Zeichnungen. Er wollte einen sicheren Ort für sie. Und entschied sich, selbst in höchster finanzieller Not, das Konvolut zu verschenken. „Das Schicksal Mayers berührt – und man kann sich in wenigen Gedankenschritten hineinversetzen in diese Situation: in der Ausweglosigkeit dennoch aus freier Willensentscheidung etwas zu bewirken, eine Entscheidung zu treffen“, sagt der Provenzienzforscher Schlegel. Dafür gebührt Heinrich Mayer Dank.

 

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