„Nur drei Wochen überlebte sie ihre Verschleppung“
von Cora Chall und Rüdiger Haufe
Emma Frankenbacher aus Nürnberg starb 1942 im Konzentrationslager Theresienstadt. Die Klassik Stiftung Weimar hat jetzt zwei Liszt-Notenhandschriften an ihre Erben restituiert.
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Die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung in Deutschland begann unmittelbar nach der nationalsozialistischen Machtübernahme im Januar 1933. Die sogenannten Nürnberger Rassengesetze, die im September 1935 erlassen wurden, erhöhten den Druck dann ganz erheblich. Viele Verfolgte mussten ihr Hab und Gut verkaufen, um ihr Überleben zu sichern, um Zwangsabgaben zu leisten oder um ihre Emigration zu finanzieren. Oft konnten sie dabei keine angemessenen Preise erzielen. In dieser Situation bot Emma Frankenbacher aus Nürnberg dem Weimarer Liszt-Museum im Oktober 1937 zwei Notenhandschriften zum Kauf an.
Emma Frankenbacher, geb. Hirschmann, stammte aus einer jüdischen Familie. Sie wurde 1875 im fränkischen Ansbach geboren. Seit 1899 war sie mit Jakob Frankenbacher verheiratet. Auch er war jüdischer Herkunft. Das Ehepaar wohnte seit 1903 in Nürnberg. Dort wurde im selben Jahr die Tochter Elisabeth geboren.
Jakob Frankenbacher starb 1936. Elisabeth und ihr Ehemann Richard Zimmer emigrierten im August 1937 nach Argentinien. Zum Zeitpunkt des Angebots an das Liszt-Museum lebte Emma Frankenbacher verwitwet und zwangsweise von ihrem einzigen Kind getrennt allein in Nürnberg.
Aus der Zeit der Verfolgung sind bis auf eine Ausnahme keine persönlichen schriftlichen Äußerungen Emma Frankenbachers bekannt. Diese Ausnahme ist ein Brief, den sie im April 1941 an ihre Tochter und den Schwiegersohn in Argentinien geschrieben hat. Da hoffte sie noch, sich ins Ausland in Sicherheit bringen zu können. Sie wollte zu ihrer Tochter nach Südamerika. Zusätzlich hatte sie sich um eine Einwanderungserlaubnis für die USA bemüht. Auf diese Pläne Bezug nehmend schloss sie den Brief: „So lebt denn wohl für heute, möchte ich bald gute Post von Euch erhalten.“
Ihre Hoffnungen erfüllten sich nicht
Es gelang Emma Frankenbacher nicht mehr, Deutschland zu verlassen. Ab Oktober 1941 wurde jüdischen Deutschen die Ausreise durch das NS-Regime generell verboten. Wenig später begannen die Deportationen in die Vernichtungslager. Emma Frankenbacher wurde am 10. September 1942 in das Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt. Dort starb sie am 3. Oktober 1942 im Alter von 67 Jahren.
Elisabeth Zimmer erfuhr erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs vom Schicksal ihrer Mutter. Gemeinsam mit ihrem Mann gab sie in der in New York erscheinenden deutsch-jüdischen Zeitschrift „Aufbau“ eine Todesanzeige auf. Sie enthält einen Satz, der die unsäglichen Bedingungen erahnen lässt, unter denen Menschen wie Emma Frankenbacher in Theresienstadt leben und sterben mussten: „Nur drei Wochen überlebte sie ihre Verschleppung.“
Bei den Notenhandschriften, die Emma Frankenbacher 1937 nach Weimar verkaufte, handelt es sich zum einen um eine von Franz Liszt (1811−1886) umfassend überarbeitete Abschrift seines 1. Klavierkonzertes Es-Dur, die als letztgültige Fassung für den Erstdruck von 1857 als sogenannte Stichvorlage verwendet wurde.
Das zweite Manuskript ist eine Abschrift des 1859 aus Anlass von Friedrich Schillers 100. Geburtstag entstandenen „Festliedes zu Schillers Jubelfeier“. Es enthält eine eigenhändige Widmung des Komponisten an Heinrich Porges (1837−1900). Der Musiker und Musikkritiker Porges war ein begeisterter Anhänger Franz Liszts und ein Mitstreiter Richard Wagners.
Die Ankaufsverhandlungen liefen 1937 über das Goethe-Nationalmuseum, dem das Liszt-Museum in der Verwaltung zugeordnet war. Als Vorbesitzer der Manuskripte nannte Emma Frankenbacher den Dirigenten und Komponisten Max Erdmannsdörfer (1848-1905), der sowohl zu Liszt als auch zu Porges Kontakte pflegte. Emma Frankenbacher erhielt für die beiden Notenhandschriften insgesamt 150 Reichsmark. Zunächst kamen die Blätter ins Liszt-Museum. Später wurden sie in den Liszt-Bestand des Goethe- und Schiller-Archivs überführt.
Das Goethe-Nationalmuseum, das Liszt-Museum und das Goethe- und Schiller-Archiv gehören heute zur Klassik Stiftung Weimar. Die Klassik Stiftung überprüft seit 2010 ihre Bestände systematisch, das heißt chronologisch und bestandsübergreifend, auf NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter (sogenanntes NS-Raubgut). Auch die Herkunft der Liszt-Notenhandschriften wurde eingehend untersucht. Der Verkauf 1937 wurde als NS-verfolgungsbedingter Verlust zu Lasten von Emma Frankenbacher bewertet. Die Klassik Stiftung folgte den „Washingtoner Prinzipien“ zum Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern und beschloss, gemeinsam mit den heutigen Erben Emma Frankenbachers eine gerechte und faire Lösung zu finden.
Die Suche nach den Erben stellte sich als eine Herausforderung dar. Emma Frankenbachers Tochter hatte selbst keine Kinder. Dokumente zur Rechtsnachfolge lagen in Argentinien nicht vor. Erst durch aufwändige Recherchen im Umfeld der Familie konnte aufgrund eines älteren Zeitungsartikels ein entfernter Verwandter in Guatemala gefunden werden. Er vermittelte den Kontakt zu weiteren Angehörigen in Argentinien. So ließ sich schließlich feststellen, dass Elisabeth und ihr Mann einen Cousin und dessen Familie zu ihren Erben bestimmt hatten.
Klassik Stiftung nun rechtmäßige Eigentümerin
Im Januar 2021 konnte mit den Erben eine Vereinbarung über die Restitution der Notenhandschriften unterzeichnet werden. Aufgrund der Bedeutung der Objekte für die heutigen Sammlungen der Klassik Stiftung verständigte man sich auf einen Rückkauf. So können die Manuskripte im Kontext des umfangreichen Nachlasses von Franz Liszt für die internationale Forschung und Öffentlichkeit im Goethe- und Schiller-Archiv bewahrt werden – nunmehr als rechtmäßiges Eigentum.
Der Ankauf wurde aus Mitteln der Thüringer Staatskanzlei sowie dank einer Unterstützung durch die Freundesgesellschaft des Goethe- und Schiller-Archivs ermöglicht. Die kompletten Notenhandschriften von Franz Liszt sind über die Archivdatenbank digital zugänglich.
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