Verdächtigen Büchern auf der Spur. Wie die Klassik Stiftung mit NS-Raubgut in ihren Sammlungen umgeht
Auch in den Beständen der Klassik Stiftung Weimar finden sich Kulturgüter, die im Nationalsozialismus unrechtmäßig entzogen wurden – zum Beispiel Bücher thüringischer SPD-Ortsvereine. Für sie wurde jetzt eine Lösung gefunden.
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Seit 2010 überprüft die Klassik Stiftung Weimar ihre Bestände systematisch auf Kulturgüter, die während des Nationalsozialismus ihren Eigentümerinnen und Eigentümern verfolgungsbedingt entzogen und damit unrechtmäßig für die Weimarer Sammlungen erworben wurden. Dass das NS-Regime dabei auch politische Gegner unnachgiebig verfolgte und ihres Eigentums beraubte, bezeugt folgender Fall:
Bei der Suche nach Hinweisen auf Enteignungen während des Nationalsozialismus wurden die Zugänge der Thüringischen Landesbibliothek Weimar überprüft, der größten Vorgängereinrichtung der heutigen Herzogin Anna Amalia Bibliothek. Dabei fiel ein Verzeichnis auf, das mit „Überweisung aus Thüring. Biblioth. früherer sozialdemokratischer Ortsgruppen u.ä.“ überschrieben ist. Dahinter verbergen sich mehr als 600 Zugänge mit teils mehrbändigen Büchern, die zwischen April 1934 und Juni 1937 verzeichnet wurden.
Mit Hilfe der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Herzogin Anna Amalia Bibliothek begannen die Provenienzforscher der Klassik Stiftung, diese Bestände akribisch zu untersuchen: Dafür wurde jedes einzelne Buch autopsiert, also auf Hinweise geprüft, die über seine Herkunft Auskunft geben könnten. Die so identifizierten Merkmale, vor allem Stempel, handschriftliche Vermerke oder andere Besitzerzeichen, wurden sorgfältig im Bibliothekskatalog dokumentiert und ausgewertet.Verdächtige Erwerbungen
Die Autopsien förderten verschiedene Informationen zutage: Einige ließen auf unverdächtige Erwerbungsumstände schließen, eine größere Zahl jedoch lieferte klare Hinweise auf verfolgungsbedingte Entziehungen. So konnten 54 Bände anhand von Besitzstempeln und handschriftlichen Einträgen eindeutig ehemaligen thüringischen SPD-Bibliotheken zugeordnet werden.
Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands gehörte zu jenen politischen Vereinigungen, die vom NS-Regime mit aller Härte verfolgt wurden. Reichsinnenminister Wilhelm Frick verbot am 22. Juni 1933 die SPD als „volks- und staatsfeindliche Organisation“. Wenig später wurde per Gesetz die Neubildung von Parteien untersagt und die Einziehung des SPD-Vermögens im gesamten Deutschen Reich angeordnet.
Beschlagnahmte Bücher
In Thüringen hatte das Innenministerium bereits am 26. April 1933 verfügt, die sogenannten Arbeiterbibliotheken der örtlichen kommunistischen und sozialdemokratischen Vereinigungen aufzulösen. Ab 1934 überstellten Polizeidienststellen, Kreisämter und Gemeindevertretungen Buchbestände nach Weimar, die bei der Auflösung der SPD-Ortsvereine teils beschlagnahmt, teils in Verwahrung genommen worden waren. Die Bände wurden der Thüringischen Landesbibliothek übergeben.
Zurück ins Heute: Nachdem eindeutig feststand, dass es sich bei den Bänden aus SPD-Bibliotheken um unrechtmäßig erworbene Kulturgüter handelt, war nun zu klären, was mit den Büchern geschehen soll.
Im Dezember 2018 legitimierte der SPD-Bundesparteivorstand die parteinahe Friedrich-Ebert-Stiftung als Restitutionsempfängerin für Buchbestände, die während des Nationalsozialismus verfolgungsbedingt entzogen wurden. Mit ihr vereinbarte die Klassik Stiftung im Oktober 2020 im Rahmen einer gütlichen Einigung, dass die 54 SPD-Bände als Dauerleihgabe der Friedrich-Ebert-Stiftung in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek verbleiben und weiterhin für alle Interessierten verfügbar sein sollen.
Spezialkatalog zu NS-Raubgut
Um auf die bewegte Geschichte der Bände und ihrer vormaligen Eigentümer hinzuweisen, werden sie in eigens angefertigten und mit einem Etikett versehenen Buchschachteln aufbewahrt. Die Herzogin Anna Amalia Bibliothek weist sie in einem Spezialkatalog nach, der Zugang zu allen bereits ermittelten NS-Raubgut-Beständen bietet.
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